Flüchtlinge in der Region Ein weites Feld für Helfer

BONN/REGION · Eine Helferin aus Endenich, eine Lehrerin von der Ahr und eine Vermieterin aus Bornheim im Porträt.

 Die Flüchtlingscontainer in Bornheim-Hersel sind noch leer und werden in den nächsten Wochen bezogen.

Die Flüchtlingscontainer in Bornheim-Hersel sind noch leer und werden in den nächsten Wochen bezogen.

Foto: Volker Lannert

Helena Nguyen ist hier bestens bekannt: Vom Balkon aus winkt ihr ein junger Kosovoalbaner zu, eine Ecke weiter grüßt der Mittvierziger aus Sri Lanka, strahlt über das ganze Gesicht. "Ja, ich kenne beinahe jeden persönlich", lacht sie. Kein Wunder, schließlich ist die 52-Jährige fast täglich in der Bonner Sebastianstraße unterwegs. Denn Helena Nguyen arbeitet seit Mitte 2014 ehrenamtlich im ökumenischen Arbeitskreis "Flüchtlinge in Endenich" der Trinitatisgemeinde, der katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena, mit. Die freiwilligen Helfer kümmern sich primär um die Flüchtlinge, die im Paulusheim untergebracht sind. Mittlerweile leben dort Menschen aus mehr als 25 Nationen unter einem Dach.

"Der junge Mann dort oben hat uns erst vor wenigen Tag beim Auszug einer ägyptischen Familie geholfen", erzählt sie weiter. Genau das ist es, was sie Tag für Tag motiviert. "Ich bin überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Flüchtlinge untereinander." Natürlich sei das Zusammenleben nicht immer konfliktfrei. "Das ist nicht anders als bei uns." Aber wenn jemand Hilfe oder Unterstützung braucht, dann könne er sich auf seine Mitbewohner verlassen. "Menschen aus unterschiedlichen Nationen, die sich oft noch nicht einmal unterhalten können, achten hier aufeinander. Diese Fürsorge ist wirklich ganz besonders. Ob Muslime, Jesiden oder Christen, hier leben alle friedlich zusammen, respektieren sich gegenseitig."

Dabei kennt Helena Nguyen die Probleme von Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt, vertrieben wurden, nur allzu gut. Sie weiß aus eigener Erfahrung, welche Sorgen, Nöte, Zukunftsängste sie in eine vollkommen fremde Welt begleiten. Bereits als 16-Jährige engagierte sie sich in ihrer Heimatstadt Koblenz in der Flüchtlingshilfe. Damals lernte sie ihren späteren Mann Ba Hai Nguyen aus Vietnam kennen, der nach einer abenteuerlichen Flucht als "Boatpeople" nach Deutschland kam. 1992 zog das Paar nach Bonn, beide studierten hier, bekamen drei Kinder. Doch vergessen konnten sie die Not, die Einsamkeit, die Hilflosigkeit von Flüchtlingen nie.

Während Ba Hai Nguyen auch von Bonn aus verschiedene Initiativen in Koblenz unterstützt, die sich um kranke, behinderte Kinder in Vietnam kümmern, bemüht sich Helena Nguyen um die 180 Bewohner des Paulusheimes, unter ihnen 45 Kinder. In den letzten Monaten gab es bereits Nachwuchs im Haus: "Wir haben schon fünf Kinder bekommen", erzählt sie strahlend. In einem Fall hat eine Studentin des Arbeitskreises eine Bewohnerin sogar in den Kreißsaal begleitet. "Die Frau war ganz alleine, hatte niemand. Auch in solch einer Situation sind wir da, organisieren zudem Hebammen für die Vor-, Nachsorge." Normalerweise begleiten die Ehrenamtlichen die Flüchtlinge bei Arztbesuchen oder helfen bei Behördengängen. Täglich kommen unzählige offizielle Briefe an, auf die reagiert werden muss. Allerdings: "Anfangs haben viele keinen Zugang zu Deutschkursen, sie können die Schreiben deshalb nicht verstehen oder gar beantworten." Da Integration jedoch nur über die Sprache funktioniert, unterrichten mittlerweile 40 "Deutschlehrer" des Arbeitskreises die Bewohner.

Aber, das ist Helena Nguyen besonders wichtig: "Alles findet auf Augenhöhe statt." Kontakt zu den Erwachsenen bekommen die Helfer oft erst über die Kinder. Deshalb organisieren sie regelmäßig Ausflüge, Museumsbesuche, Sport- und Spielnachmittage. "So kommen wir ganz allmählich auch mit den Eltern ins Gespräch. Inzwischen arbeiten in unserem Arbeitskreis viele Studenten mit, die wiederum schnell einen guten Draht zu den jungen Erwachsenen bekommen." Doch das braucht Zeit. Denn nach den traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit würden viele nur schwer wieder Vertrauen zu anderen Menschen aufbauen.

Auch wenn Else Sarter auf dem Stuhl der Lehrerin sitzt, so ist sie Aziz, Omar, Milan, Sabrije, Gazal und Weronika so nah wie eine Großmutter. "Oma" dürfen die Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren aus Syrien, Polen, Ungarn und Albanien zu der alten Dame sagen. "Oma" - ein Wort, das alle verstehen. Die rüstige ehemalige Diplom-Dolmetscherin, die im Sommer 90 Jahre alt wird, kommt zwei mal pro Woche für eine Stunde in die Altenahrer Ahrtalschule, um den deutschen Wortschatz der Flüchtlingskinder, die nun in Ahrbrück, Lind und Kreuzberg leben, zu erweitern.

Die Frau mit dem weißen Haar und dem wachen Blick gibt der Willkommenskultur ein Gesicht. Die Bewohnerin des benachbarten Maternusstift macht durch ihr Engagement in der Realschule plus mit ihrem unkonventionellen Unterricht ein Mehrgenerationenprojekt. "Wir wollten die Zusammenarbeit zwischen Schule und Altenheim ohnehin intensivieren. So macht die Schulband Musik im Stift, dafür besucht uns ein Altenpfleger, um seinen Beruf vorzustellen", so Schulleiter Hubert Stentenbach. Als sich dann die sprachbegabte Else Sarter, die nach dem Krieg schon amerikanischen Diplomaten-Frauen Deutsch-Unterricht erteilte und später bei der Westdeutschen Rektorenkonferenz für die Verschlagwortung englischer und französischer Literatur zuständig war, meldete, um die Flüchtlingskinder unter ihre sprachlichen Fittiche zu nehmen, bekam die Ursprungsidee einen völlig neuen Aspekt.

Seit dem Winter 2014 sucht sich die 89-Jährige nun wöchentlich neue Themen aus. Ergänzt damit das bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) angesiedelte Programm "DAZ" - Deutsch als Zweitsprache - ihrer Lehrer-"Kollegen". Heute nimmt sie die jungen Menschen, von denen manche erst fünf Monate, andere wiederum schon zwei Jahre da sind, auf einen gedanklichen Spaziergang von Altenburg nach Altenahr mit. "Geht Ihr auf der Straße oder auf dem Bürgersteig?", fragt Else Sarter in die Runde. Sie kann ihren Bochumer "Slang" nicht verleugnen, obwohl sie schon 1949 nach Bonn zog, dort 1952 ihren Mann heiratete, der vor drei Jahren im Maternusstift verstarb. "Eines unserer drei Kinder lebt in Kreuzberg, mein Mann kannte an der Ahr jeden Stein. Daher lag es nahe, im Alter von Friesdorf hierher zu ziehen."

Das Wort "Friedhof", der auf dem imaginären Weg liegt, kennen ihre Schüler nicht, sie tun sich noch schwer mit der deutschen Sprache. Else Sarter, Großmutter von sieben Enkeln, erklärt: "Da gibt es viele Menschen, die weinen. Das habt Ihr auch in Syrien erlebt", baut sie eine Brücke, die verstanden wird. Die Begriffe "Rathaus", "Bürgermeister" und "Burg Are" kennen sie auch noch nicht, aber als es um die Bahnfahrt gen Bad Neuenahr geht, da können Aziz und Omar alle Stationen aufzählen.

Mit der Bitte ihrer Deutschlehrerin, mal in ihrer Landesprache bis 20 zu zählen, damit auch sie, die Englisch, Französisch und Spanisch beherrscht, was dazu lernen kann, sprudeln die Schüler über vor Eifer. "Das war eine tolle Idee mit dem Spaziergang", wird Else Sarter von Schulleiter Stentenbach gelobt. "Beim nächsten Mal können Sie die Schüler das auch schreiben lassen. Das müssen sie ja auch können. Und wir sagen Plural statt Mehrzahl und Minus statt Abziehen", bittet er die 89-Jährige um Berücksichtigung.

Wenn die bescheidene Frau, die hohe Ansprüche an sich selbst stellt, ihre Motivation beschreiben soll, dann betont sie: "Ich war selbst Flüchtling. Ich habe mein Deutsch-Abitur zum Thema 'Mozart auf der Reise nach Prag' im Krieg in den Dünen von Usedom geschrieben. Ich weiß, wie man sich fühlt."

Die Wohnung, in der die sechsköpfige georgische Familie Jagatasvili untergebracht ist, wirkt unglaublich aufgeräumt. Auf dem Herd der kleinen Küche kocht eine Dosen-Suppe leise vor sich hin. Im angrenzenden Wohn- und Schlafbereich sind die Betten ordentlich gemacht, verstreute Klamotten oder Kinderspielzeug? Fehlanzeige. Was soll auch herumliegen? Die Eltern Maka und Nikolai sind mit ihren Kindern Natali (13), Eelene (7) und Gabriel (1) sowie Großmutter Elena ohne jeden Besitz nach Deutschland gekommen. Mit ihrer Zuweisung nach Bornheim hatten sie großes Glück.

Im Ortsteil Walberberg wurden sie ebenso wie das serbische Ehepaar Ibrahim und Kostana Zeirovic in einer privaten Wohnung untergebracht: Überfüllte Flüchtlingsheime oder Wohncontainer bleiben den beiden Familien vorerst erspart. Zu verdanken haben sie diesen Umstand Agi Olligschläger-Loedel, die sich bereit erklärte, zwei Wohnungen für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die 54-jährige freut sich, dass sie helfen kann, betont aber, dass sich durch die Vermietung auch für sie ein Vorteil ergibt. "Es ist sozusagen eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten", erklärt die gebürtige Walberbergerin, die in Bornheim-Hemmerich lebt. "Die Stadt bekommt dringend benötigten Wohnraum, die Flüchtlinge werden menschenwürdig untergebracht und ich bin froh, die Wohnungen sicher vermietet zu haben", erklärt sie.

Dass es dazu kam, war purer Zufall: Ein Mitarbeiter der Bornheimer Stadtverwaltung hatte die Physiotherapeutin, die unter anderem die Kicker des SSV Merten fit hält, während eines Fußballspiels angesprochen. "Weißt du jemanden, der aktuell eine Wohnung oder ein Zimmer frei hat?", lautete die Frage, die sie spontan mit "Ja, ich!" beantwortete. Dass in den etwa 60 und 128 Quadratmeter großen Wohnungen Flüchtlinge eine vorübergehende Bleibe finden sollten, stellte für sie kein Problem dar. "Mieterin ist die Stadt, der Mietpreis ist angemessen und der Vertrag läuft jeweils über ein Jahr", fasst die Mutter eines erwachsenen Sohnes zusammen. Erst im Oktober hatte sie das Haus, das unmittelbar an das Grundstück ihres Elternhauses grenzt, erworben.

Bevor die Familien Anfang des Jahres einzogen, wurden die Räumlichkeiten von der Stadt renoviert und mit dem Nötigsten ausgestattet. Die beiden Küchen und einige Möbel stellte die Vermieterin zur Verfügung. Hin und wieder sieht Agi Olligschläger-Loedel nach dem Rechten und versucht zu helfen, wenn etwas benötigt wird. Die Nachbarschaft, die sie vor dem Einzug der Familien informierte, habe sich unglaublich offen und hilfsbereit gezeigt, berichtet sie: "Da war niemand, der Vorbehalte hatte." Im Gegenteil. Spontan wurden zur Verschönerung der Wohnung Gardinen vorbeigebracht und auch Kleidung gespendet. "Wir erinnern uns gut daran wie es war, als wir nichts hatten und auf die Hilfe Anderer angewiesen waren." - Diese Aussagen hört Olligschläger-Loedel oft von älteren Walberbergern, die nach dem Krieg mit leeren Händen dastanden.

Auch sie berührt das Schicksal der Flüchtlinge sehr: "Diese Menschen haben alles aufgegeben und ihre Heimat, ihre Familien und ihr Hab und Gut zurückgelassen. Das macht niemand freiwillig." Inzwischen besuchen die beiden älteren Kinder der Familie Jagatasvili die Schule, Mutter Maka bemüht sich, die deutsche Sprache zu lernen und hofft, irgendwann als Krankenschwester arbeiten zu können.

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