Eine Reise in die Vergangenheit

SIEGBURG · Yvonne Burry wandelt in Siegburg auf den Spuren ihrer jüdischen Großeltern, die bis 1941 an der Kaiserstraße lebten. Ohne die "134" an der Hauswand wäre sie wohl vorbeigegangen.

 Das Elternhaus von Yvonne Burrys Mutter (links, 2. von rechts). Repro: Holger Arndt

Das Elternhaus von Yvonne Burrys Mutter (links, 2. von rechts). Repro: Holger Arndt

"Die Fassade ist anders", sagt Yvonne Burry, blickt auf das Foto in ihrer Hand, dann wieder auf das Haus, vor dem sie steht. Dort, wo heute asiatische Lebensmittel verkauft werden, haben ihre jüdischen Großeltern einst eine Metzgerei betrieben. Bis 1936, dann mussten sie den Betrieb einstellen.

Zwei Steine im Trottoir erinnern an Amalia und Albert Marcus. Beide wurden 1941 im Lager Much interniert und im Juni 1942 erst nach Bonn und dann mit dem Zug nach Belzec oder Sobibór deportiert, wo sie schließlich von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Yvonne Burry wie am Dienstag den Weg von Columbus im US-amerikanischen Staat Ohio in die Kreisstadt findet. Sie war dabei, als ihre Mutter Margot 1961 das erste Mal nach ihrer Emigration im Jahr 1939 in die Heimat zurückkehrte. Und vor 30 Jahren brachte Yvonne Burry ihre zwei Söhne und den Ehemann mit.

Beide Male habe ihre Mutter alte Freunde wiedergetroffen. "Sie haben nach dem Krieg den Kontakt wieder aufgenommen und sich regelmäßig Briefe geschrieben", erinnert sich Yvonne Burry. Es seien nicht alle Menschen schlecht gewesen, sondern sehr viele auch gut. So wie die Bäckersfamilie Schmidt, die neben den Großeltern gewohnt hat: "Die wollten meine Familie verstecken."

Heinrich Schmidt war es auch, der Yvonnes Mutter Margot dabei half, herauszufinden, was mit Albert und Amalie Marcus geschehen war. "Sie hat geahnt, dass sie tot waren, aber was genau geschehen war, wusste sie lange nicht." Yvonne Burry blickt auf die zwei güldenen Steine, die Patina angesetzt haben und die an ihre Großeltern erinnern.

Wegen dieser Stolpersteine hat die 66-Jährige Kontakt mit dem Kreisarchiv aufgenommen. Kreisarchivarin Claudia Arndt, die zugleich die Gedenkstätte Landjuden an der Sieg in Windeck leitet, hat in der Folge Informationen über ihre Familie zusammengetragen und sie am Dienstag an Yvonne Burry übergeben.

Claudia Arndt hat das Paar aus den USA am Dienstag begleitet, unter anderem auch zur Gedenkstätte, und sie hat ihnen erstmals das Tor zum Jüdischen Friedhof an der Heinrichstraße geöffnet. Dort liegen Yvonnes Ur- und Ururgroßeltern mütterlicherseits begraben. "Beeindruckend", ein Wort nur braucht Yvonne Burry, um ihre Gefühle angesichts der Grabsteine zu beschreiben. Sie wandelt still zwischen den Gräbern, legt die Hand auf den zerfallenen Stein und hält einen Moment inne.

Ihre Mutter Margot hat Ende 1938 Kurt Tobias geheiratet, dessen Familie in Köln-Porz beheimatet war. Im Juli 1939 war das junge Paar nach London emigriert, berichtet die 66-Jährige später, als Landrat Frithjof Kühn die Eheleute Burry zusammen mit Michael Solf und Harald Eichner vom Förderverein der Gedenkstätte im Kreishaus begrüßt. "Sie konnten nur sehr wenig mit nach London nehmen, darunter war das Cello meiner Mutter." Das erkennt Burry auf einem Foto wieder, das Claudia Arndt im Archiv hat. Eine Aufnahme des Fotografen Bernauer, das ein bislang unbekanntes, junges Mädchen mit einem Cello zeigt - Yvonne Burrys Mutter Margot.

Die Großeltern wollten ihre Eltern nachholen, so Yvonne Burry, die 1946 in London geboren wurde. "Aber sie haben es nicht geschafft." 1948 wanderte die Familie nach Denver aus, wo die Eltern eine Metzgerei betrieben. Und wo sich 1950 viele Familienmitglieder niederließen. Yvonne Burry selbst, die als Wissenschaftsjournalistin arbeitete, zog es nach der Hochzeit mit Richard und der Geburt ihrer Söhne nach Columbus.

Zwei Wochen lang sind Yvonne und Richard Burry in Europa auf den Spuren ihrer Ahnen gewandelt. Siegburg gefällt ihnen: "Meine Mutter hat die Stadt in guter Erinnerung gehalten." Sie selbst nimmt am Freitag auch ein Erinnerungsstück mit: Ein Foto des alten Rathauses, in dem ihre Eltern geheiratet haben, und eine Flasche Abteilikör.

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