Flüchtlingspolitik mit drei Prinzipien Eine selbstbewusste Bundeskanzlerin skizziert ihre Prämissen

BERLIN · Angela Merkel nimmt einen langen Anlauf. So lange, dass sich mancher Zuhörer im Bundestag fragt, ob das Flüchtlingsthema in dieser Generaldebatte noch vorkommt. Aber die Kanzlerin ist ganz bei der Sache. Auch wenn sie auf das stetige Wachstum in Deutschland hinweist, auf den boomenden Export, die sinkende Arbeitslosigkeit und die Rekord-Beschäftigung, auf den neuen Pflegebegriff und die Breitbandverkabelung.

 Generaldebatte: Angela Merkel gestern im Bundestag.

Generaldebatte: Angela Merkel gestern im Bundestag.

Foto: dpa

Das mündet nämlich in ein Argument: Es sei ein "Glück und Privileg" über einen solchen Haushalt, soll heißen: über ein solches Land sprechen zu können. "Aber in der Welt sieht es anders aus." Dann kommt's: der IS-Terror, der Krieg in Syrien, 250 000 Tote, sieben Millionen Syrer sind Vertriebene im eigenen Land, vier Millionen in Nachbarländer geflohen. Das sind die Prämissen für einen Schluss: "Deutschland steht in der Verantwortung." Es gehe um eine "nationale Aufgabe" und um die zu bestehen, "können wir nicht weitermachen wie bisher".

Im Hohen Haus muss sie damit niemanden überzeugen. So viel Einigkeit war nie. Die Opposition muss sich anstrengen, Anlass zur Kritik zu finden. Immerhin lässt sich die Frage von Linke-Fraktionschef Gregor Gysi nicht vom Tisch wischen, der wissen will, "wie all die Staaten heute aussehen, in denen der Westen Krieg geführt hat: Afghanistan, Irak, Libyen". Ein Hinweis darauf, dass das entstandene Machtvakuum den Terror begünstigt hat, der heute die Menschen vertreibt. Die Grünen preisen weniger die Regierung als die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Katrin Göring-Eckardt spricht von einem "Sommermärchen".

Da der Koalitionspartner SPD in der Flüchtlingspolitik an Merkel nichts auszusetzen hat, kann sie sich jenseits des Parteienstreits ganz ihrem Anliegen widmen: Sie will den Deutschen Sorgen und Befürchtungen nehmen. Wenn jetzt keine Fehler gemacht werden, kann Deutschland von der massiven Zuwanderung profitieren - das ist die zentrale Botschaft. Nach drei Prinzipien. Erstens: Wer verfolgt oder Kriegsflüchtling ist, der braucht unsere Hilfe. Zweitens: Wer aus wirtschaftlicher Not, nicht aber wegen Verfolgung und Krieg kommt, der kann nicht bleiben. Drittens: Wer bleibt, muss sich integrieren. In Merkels Worten: Es dürfe keine falsche Toleranz geben, "wenn sich Milieus verfestigen und Parallelgesellschaften bilden". Dazu kommt noch eine nachdrücklich vorgetragene Fußnote: Fremdenhass, Angriffe auf Asylsuchende seien "abstoßend und beschämend" und müssten "mit der ganzen Härte des Rechtsstaats verfolgt werden".

So offensiv geht das weiter. Auch im Blick auf die mangelnde Begeisterung für den Merkel-Kurs bei einigen europäischen Nachbarn. Deutschland werde weiter "mutig vorangehen", das soll dann für andere ansteckend wirken. Allein aber könne Deutschland die Flüchtlingsfrage nicht lösen. Die EU müsse gemeinsam agieren, sonst ginge "ein entscheidender Gründungsimpuls eines geeinten Europas verloren, nämlich die enge Verbindung mit den universellen Menschenrechten, die Europa von Anfang an bestimmt hat".

So selbstbewusst und bestimmt hat Merkel vielleicht noch nie einen Führungsanspruch formuliert. Da bleibt für den Koalitionspartner SPD sehr wenig Spielraum zur eigenen Profilierung. Um erkennbar zu bleiben, bringt Fraktionschef Thomas Oppermann wieder das schon lange von ihm geforderte Einwanderungsgesetz ins Spiel, "mit dem wir die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften steuern können". Die Sache ist nur, dass angesichts der vehementen Zuwanderung nicht ganz ersichtlich ist, warum man sich im Ausland noch weiter umschauen muss. Sein Unionskollege Volker Kauder sagt ihm das auch ganz offen. So bleibt der SPD letztlich nicht viel mehr, als den Kanzlerkurs auch für sich zu reklamieren.

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