Interview zu G9 Elternvertreter Ulrich Meier sieht G9 als Gewinn und Chance

Die Landeselternkonferenz von Nordrhein-Westfalen sieht das zusätzliche Schuljahr als Gewinn und Chance, sagt der Elternvertreter Ulrich Meier aus Bonn. Es komme jetzt darauf an, wie G9 an den Gymnasien gestaltet werde

 Ulrich Meier

Ulrich Meier

Foto: Benjamin Westhoff

Was halten Sie von der Rückkehr zu G9?

Ulrich Meier: Die Diskussion ging ja landesweit schon lange hin und her. Man hat überlegt, G8 zu modifizieren, den Lernstoff zu reduzieren, man sprach über Ganztagskonzepte. Zuletzt war G8 nicht mehr zu halten. Alle waren dafür, zu G9 zurückzukehren. Das finde ich gut, denn es hat viele Vorteile. Wir müssen aber jetzt erreichen, dass wir es richtig machen.

Was meinen Sie mit „richtig“?

Meier: Wir dürfen nicht nur eine Strukturdebatte über den Übergang von G8 zu G9 und die Gymnasialzeitverlängerung von acht auf neun Jahre führen, sondern müssen auch über das Wie der Rückkehr sprechen. Die Anforderungen an die Schulen haben sich gewandelt. Die Familienstrukturen haben sich verändert. Es gibt viele Alleinerziehende und Paare, wo beide berufstätig sind. Nur noch gut 70 Prozent der Schüler wachsen mit Vater und Mutter auf. Wir haben die Themen Inklusion und Integration. Das alles müssen wir verarbeiten. Wir dürfen nicht nur über Strukturen sprechen, sondern auch über Inhalte.

Was bedeutet die Rückkehr zu G9 für die Schüler?

Meier: Es dürfte eine gewisse Entschleunigung sein, wenn die gleichen Inhalte wieder auf mehr Schuljahre verteilt werden. Es ist die Chance, Inhalte auch mal sacken zu lassen und zusätzliche Schwerpunkte anzubieten.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Schulen?

Meier: Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung sowie die Lehrpläne müssen vom Schulministerium umgestaltet werden und anschließend in den Schulen in entsprechende schulische Lehrpläne umgesetzt werden. Man muss die Frage klären, wie viele Wochenstunden die Schulen anbieten sollen. Oder nehmen wir das Beispiel zweite Fremdsprache. Die startet seit G8 in der sechsten Klasse. Da sind die meisten Schulen aber noch dabei, den unterschiedlichen Lernstand der Gymnasialanfänger auf eine gemeinsame Basis zu bringen. Dies ist ein Grund, warum viele Eltern den Start der zweiten Fremdsprache erst in der siebten Klasse wünschen.

Ministerin Gebauer will das ja jetzt.

Meier: Das ist auch gut so. Dann können die Kinder in der zweijährigen Erprobungsstufe durch Förderung ohne zusätzliche Belastung durch eine zweite Fremdsprache auf ein Level gebracht werden. Dann gäbe es weniger Kinder, die das Gymnasium wieder verlassen müssen. Auch sozial Schwächere könnten so gezielt fit gemacht werden.

Wieso muss es neue Lehrpläne geben? Bis 2013 gab es doch noch G9-Jahrgänge, so dass noch alles in den Schubladen liegen müsste!

Meier: Die Lehrpläne wurden in den letzten Jahren gegenüber den alten G9-Lehrplänen wesentlich verändert. Aus diesem Grund können die alten Lehrpläne nicht wieder verwendet werden. Somit müssen die G8-Lehrpläne auf G9 umgestellt werden, was aber nicht nur eine zeitliche Streckung um ein Jahr bedeutet. Und dann gibt es die Forderung der Landesregierung, das Thema Wirtschaft als eigenständiges Fach einzuführen.

Was sind Ihre Kernforderungen?

Meier: Wir wollen, dass alle Schulen konsequent nur G9 anbieten! Dann ist das eine klare Sache, und es gibt etwa keine Schwierigkeiten, wenn eine Familie umzieht und das Kind die Schule wechseln muss. Die Kompatibilität mit den anderen Schulformen würde auch verbessert. Für besonders Begabte gäbe es ja nach wie vor die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen. Das kann man vor allem in den Klassen 9 und 10 vorsehen. Die zweite Fremdsprache sollte erst in der siebten Klasse starten. Die Erprobungsstufe würde dann wieder in Reinform die fünfte und sechste Klasse umfassen. Das Thema Wirtschaft wird zwar immer wichtiger, muss aber nicht als eigenständiges Fach eingeführt werden. Wir fordern, dass dieses Thema verstärkt als Querschnittsthema in die Sozialwissenschaften, Erdkunde und Politik einfließen soll. Die Lehrpläne der Fächer sollten die Entwicklungsphasen der Schüler besser berücksichtigen.

Was sagen Sie zur Personalausstattung der Schulen?

Meier: Wir brauchen mehr Lehrerstellen. Die Wochenstundenzahlen sollten insgesamt ausgeweitet werden. Das wäre eine Chance auf vielen Ebenen. Die vorhandenen Lehrer müssen durch die Unterstützung durch Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen entlastet werden.

Was ist mit der Raumsituation?

Meier: Grundsätzlich waren die Schulen ja für G9 ausgestattet. Die unter G8 frei gewordenen Räume wurden überwiegend als Differenzierungs- oder zusätzliche Fachräume sowie als Aufenthaltsräume für Schülerinnen und Schüler genutzt. Für den neu zu schaffenden zehnten Jahrgang in der Sekundarstufe I müssen diese Räume wieder als Klassenräume zur Verfügung gestellt oder neue Räume geschaffen werden. Die müssen dann wieder anders verwendet werden.

Durch G8 wurde die Übermittagsbetreuung eingeführt oder ausgeweitet. Wie soll es dort weitergehen?

Meier: Die Übermittagsbetreuung in der Unter- und Mittelstufe sollte beibehalten werden, weil viele Eltern wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf darauf angewiesen sind. Nachmittagsunterricht sollte wie bisher fürs Fördern und Fordern und für Schwerpunkte wie Sprachen, Musik und Sport genutzt werden.

Was ist mit den Schülern, die jetzt schon auf dem Gymnasium sind? Kommen die auch noch in den Genuss von G9?

Meier: Nein, die werden unter G8 abschließen. Wir wollen keine überstürzte Rückkehr, sondern einen geordneten Übergang. Die Zeit dafür ist ohnehin knapp. Deshalb wollen wir niemandem Hoffnung machen, dass jetzige Gymnasiasten noch G9 bekommen.

Wohin entwickelt sich das dreigliedrige Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium angesichts der wachsenden Zahl von Gesamtschulen?

Meier: Das Ganze ist ja inzwischen durch die Gesamtschulen aufgeweicht. Die Kernfrage ist doch: Was ist mit den Haupt- und Realschulen? Werden wir bald nur noch Gesamtschulen und Gymnasien haben? Meine Antwort: Ein Vorteil von Haupt- und Realschulen ist ihre im Gegensatz zu den Gesamtschulen überschaubare Größe. Wichtig ist auch die Profilierung. Es kommt ganz stark darauf an, wie profiliert Haupt- und Realschulen sind. Es gibt immer Schulen, die stark nachgefragt sind, wenn sie etwa einen starken Praxisschwerpunkt haben und somit den Übergang in die berufliche Ausbildung vorbereiten und erleichtern. Das spricht sich herum. Für das schulische Weiterkommen sind diese Schulformen keine Sackgasse; es gibt inzwischen viele Möglichkeiten auch indirekt einen höheren schulischen Abschluss zu erlangen.

Die Schulverwaltung rät den Eltern vor dem Übergang auf weiterführenden Schulen: 1. Ruhe bewahren und 2. Es gibt in unserer Gegend keine schlechten Schulen. Stimmt das?

Meier: Das kann ich unterschreiben. Wir haben hier überall gute Schulen. Der Lernerfolg steht und fällt letztlich konkret mit dem Lehrer und seinem Unterricht. Und ob das Kind mit dem Lehrer klarkommt. Da kann man auch Pech haben, aber das ist selten ein prinzipielles Problem. Unterm Strich gilt: Wir sollten mehr Geld in die Bildung unserer Kinder stecken, dann ist die Schulform und die Struktur zweitrangig. Heutzutage ist das Schulsystem sehr durchlässig geworden, so dass ein Wechsel immer gut möglich ist.

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