Erzieherinnen gehen am Krückstock

Seit zwei Jahren arbeiten die Leiterinnen von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen mit dem neuen Kinderbildungsgesetz. Die Landtagsabgeordnete Ilka von Boeselager und die Kreistagsabgeordnete Brigitte Donie informierten sich im Dialog mit den Leiterinnen der Swisttaler Kindertageseinrichtungen über die Erfahrungen in der Praxis.

  Zur qualitativ guten Betreuung von Kindern haben sich Erzieherinnen Gedanken gemacht.  Brigitte Donie (2. von links) und Ilka von Boeselager (rechts) hören sich die Klagen an.

Zur qualitativ guten Betreuung von Kindern haben sich Erzieherinnen Gedanken gemacht. Brigitte Donie (2. von links) und Ilka von Boeselager (rechts) hören sich die Klagen an.

Foto: Wolfgang Henry

Swisttal. Seit zwei Jahren arbeiten die Leiterinnen von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen mit dem neuen Kinderbildungsgesetz (KiBiz, siehe Kasten). Im Jahr 2011 steht dessen Novellierung an - Grund für die Landtagsabgeordnete Ilka von Boeselager und die Kreistagsabgeordnete Brigitte Donie (beide CDU), sich im Dialog mit den Leiterinnen der Swisttaler Kindertageseinrichtungen über die Erfahrungen mit KiBiz in der Praxis zu informieren und aus erster Hand zu erfahren, wo es hakt.

Die Einrichtungsleiterinnen hatten für das Treffen im Familienzentrum Maria Magdalena in Heimerzheim sowohl Positives wie Negatives zusammengetragen und daraus Änderungsvorschläge erarbeitet. Grundsätzlich bestand Einigkeit darin, dass das Ziel des Gesetzes, früher und mehr Bildung für Kinder und damit mehr Chancengleichheit zu schaffen, unverzichtbar sei. Auch seien zweifellos mehr Arbeitsplätze für Erzieherinnen entstanden und mehr Leiterinnen anteilig freigestellt worden.

Problematisch sei jedoch die jährliche Wahlfreiheit der Eltern bei der Anzahl der Betreuungsstunden. Da dies Bemessungsgrundlage für Arbeitsstunden und im Extremfall sogar entscheidend für den Fortbestand von Arbeitsplätzen ist, werden vielfach nur noch Zeitverträge abgeschlossen. Dies wiederum führe zu großer Unsicherheit bei den Mitarbeiterinnen und teilweise durch wechselnde Bezugspersonen auch zur Verunsicherung bei den Kindern. Die Qualität der Arbeit in den Gruppen gerate in Gefahr.

Besonders beklagt wurde eine erhebliche Mehrbelastung für das gesamte Personal durch zusätzliche Aufgaben im Rahmen des verbindlichen Sprachtests "Delphin 4" für Vierjährige, durch die Bildungsdokumentation sowie durch die Betreuung von unter Dreijährigen. Durch Zweijährige kommen automatisch pflegerische Aufgaben für die Erzieherinnen hinzu, die etwa für den Windelwechsel aus ihrer pädagogischen Arbeit herausgerissen würden.

Eine Kinderpflegerin und zwei Erzieherinnen je Gruppe wären ideal. "Wir sind jetzt an einem Punkt zu sagen, es muss da eine andere Regelung her, weil wir Erzieherinnen am Krückstock gehen", sagte Gisela Drexler, Leiterin des Elterninitiativ-Kindergartens Quellenstraße.

Übereinstimmend beklagten die Leiterinnen auch die "enorme Arbeitsfülle" weit über der vertraglichen Arbeitszeit.

"Aus Idealismus" werde viel private Zeit beansprucht. "Wir sind heute viel mehr mit Verwaltung und tatsächlichen Management-Aufgaben beschäftigt", so der einhellige Tenor. Dadurch verlören die Erzieherinnen den Kontakt zu den Kindern. Vernünftige pädagogische Konzepte seien so nicht zu erstellen.

Besonders frustrierend: Die der Tätigkeit und Verantwortung nicht angemessene Vergütung. Der Gehaltsunterschied zwischen Gruppenleiterin und Einrichtungsleiterin liegt bei etwa 50 Euro monatlich. "Das Gehalt ist gekoppelt an die Kinderzahl, aber die Arbeit ist gleich", so die Leiterinnen.

Zusätzliche Probleme machen Vorschriften des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst zur Rückstufung bei einem Stellenwechsel. Das müsse auf jeden Fall geändert werden, betonte Ilka von Boeselager. Das Land NRW schieße aber bereits jetzt mehr als eine Milliarde Euro in die vorschulische Kinderbetreuung.

Änderungsbedarf machten die Erzieherinnen bei der der Festlegung der Elternbeiträge durch die Kommunen aus. Denn den Unmut der Eltern bekämen die Erzieherinnen zu spüren. Die Elternbeiträge müssten wieder Landessache sein. Die Kommunen bräuchten jedoch die Sicherheit, dass die 19 Prozent der Betriebskosten über Elternbeiträge gesichert sind.

Grundsätzlich mahnten die Leiterinnen die finanzielle Verantwortung des Bundes für die U3-Betreuung an. Der Bund habe die Einrichtung solchergruppen zur Pflicht gemacht und müsse daher die Länder bei der Finanzierung unterstützen.

Das KibizSeit 1. August 2008 ist in Nordrhein-Westfalen das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) in Kraft, das das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) abgelöst hat. Mit Kibiz will die Landesregierung mehr Bildung, eine bessere Betreuung und eine frühere Förderung von kleinen Kindern erreichen. Dafür soll unter anderem der Ausbau von Betreuungsangeboten für unter Dreijährige und die Kindertagespflege sorgen. Davon profitieren sollen auch Familienzentren, in denen sich Betreuung, Bildung und Beratung von Familien bündeln. Darüber hinaus sieht das Gesetz eine zusätzliche Sprachförderung vor. Eltern sollen mehr Wahlmöglichkeiten erhalten, was den Umfang der Betreuung angeht.

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