Frischluft kommt im Notfall per Handkurbel
In 21 Anlagen können 39 000 Bonner Zuflucht suchen - Der Bund investiert nicht mehr in die Modernisierung der Schutzräume - Die Technik stammt zum Teil noch aus dem Zweiten Weltkrieg
Bonn. Bernd Krahe ist als Verwaltungsangestellter der Feuerwehr für Katastrophenschutz zuständig. Genau gesagt, für die Zivilverteidigung im Spannungs- und Verteidigungsfall. In dieser Funktion ist er nicht nur für 33 Sirenen und 42 Trinkwassernotbrunnen verantwortlich, sondern auch für 21 öffentliche Schutzräume auf Bonner Stadtgebiet.
Krahe sagt von sich, er sei ein Relikt aus Zeiten, als Spannungs- und Verteidigungsfälle sehr viel wahrscheinlicher erschienen als heute. Mit dem Ende des sogenannten Kalten Krieges haben die öffentlichen Schutzräume einen großen Teil ihrer Daseinsberechtigung eingebüßt. Immerhin könnten heute darin rund 39 000 Bonner einer Invasion Außerirdischer trotzen, ungeachtet deren Möglichkeiten, drei Meter starke Betonwände zu überwinden.
Näher liegender als dieses Szenario könnte allerdings die Bedrohung durch terroristische Angriffe sein. Dies hat die Stadt veranlasst, sich neben den 33 Sirenen auch den "Luxus" des Unterhalts von öffentlichen Schutzräumen zu leisten.
Acht davon stammen noch aus dem Zweiten Weltkrieg - mit mehr als 60 Jahre alter Technik, die nicht nennenswert modernisiert wurde. Mitte der 70-er Jahre bis Anfang der 90-er hat der Bund diese Stollenanlagen, Hoch- und Tiefbunker nutzbar gemacht und der Stadt zur Unterhaltung übergeben. Es wurden stoßdruckfeste und gasdichte Türen eingebaut, eine einfache Lüftungstechnik installiert, Zwischenwände entfernt und die Räume mit neuem Anstrich versehen.
Der Bund hat auch den Ausbau von sieben Tiefgaragen, fünf U-Bahnhöfen und des Bad Godesberger Straßentunnels zu Schutzräumen mitfinanziert. Die Räume genügen dem so genannten Grundschutz: Schutz gegen Brandeinwirkung, Rückstandsstrahlung, B- und C-Waffen und Trümmerschutz.
Noch stellt der Bund die Mittel für den Unterhalt zur Verfügung, investiert allerdings keinen Cent in die Modernisierung. So ist auch die Technik der Mehrzweckanlage Hauptbahnhof schon rund 30 Jahre alt, die Bernd Krahe und sein Kollege Heinz-Josef Henrich bei einem Rundgang vorstellen. Auf 190 Metern Länge und 31 Metern Breite können in dieser U-Bahnstation 4 500 Menschen Schutz vor Katastrophen finden.
Die Station kann hermetisch abgeschlossen werden; die U-Bahnen bieten den Schutzsuchenden Sitzplätze. Aufenthaltsräume, Neben- und Technikräume bieten auf 6 716 Quadratmetern 1,5 Quadratmeter Platz pro Nase. Die Anlage ist weitgehend autark, versorgt sich mit eigenem Strom und betreibt neben einem 160 000-Liter-Wassertank auch einen Brunnen.
Neben den Aufenthaltsräumen gibt es Vorratsräume, drei Rettungsräume, zwei Krankenräume, zwei Aufsichtsräume, drei Waschräume, drei Toiletten und eine Notküche, die nichts Einladendes aufweist: überall pure Funktionalität.
Für die Technik gebe es zwar Dokumentationen, aber längst keine Mitarbeiter mehr, die auf die Instandhaltung geschult seien, sagt Krahe. Wenn er in einigen Jahren seinen Ruhestand antritt, wird Heinz-Josef Henrich seine Nachfolge bei der Verwaltung der Schutzräume antreten und dann das "letzte Relikt aus dem Kalten Krieg sein, das sich mit den Bunkern auskennt".
Im Katastrophenfall wird man dann darauf vertrauen müssen, dass technische Mitarbeiter der Feuerwehr oder der Stadtwerke intuitiv das Richtige tun, um sie zu bewältigen. Krahe und Henrich beenden ihre Führung mit einem Besuch der Stollen unterhalb der Godesburg. Während der Kriegsjahre haben Zwangsarbeiter die Tunnel in den Berg getrieben, der heute noch 545 Personen Schutz bieten könnte.
Neben einigen Chemie-Toiletten und einer Reihe Plastik-Waschbecken gibt es dort zwischen den einigermaßen frisch getünchten Tunnelwänden nicht viel zu sehen. Die Luftversorgung kann bei Stromausfall mit Handkurbeln gewährleistet werden; das fast meterdicke Haupttor macht den Eindruck, als könne es auch Außerirdischen Kopfzerbrechen bereiten.
Schutzräume
Vier Hoch-, zwei Tiefbunker, zwei Stollen, sieben Tiefgaragen, fünf U-Bahnstationen und einen Straßentunnel unterhält die Stadt Bonn als zivile Schutzräume:
Hochbunker Budapester Straße (843 Plätze), Hochbunker Goetheallee (634 Pl.), Hochbunker Lotharstraße (1 137 Pl.), Hochbunker Quirinusplatz (870 Pl.), Tiefbunker Siegburger Straße (1 100 Pl.), Tiefbunker Theaterstraße (2 600 Pl.), Stollen Godesburg (545 Pl.), Stollen Trierer Straße (410 Pl.), Tiefgarage Friedensplatz (3 750 Pl.), Tiefgarage Hans-Böckler-Straße (1 362 Pl.), Tiefgarage Haus der Geschichte (750 Pl.), Tiefgarage Josef-Wirmer-Straße (850 Pl.), Tiefgarage Koblenzer Straße (313 Pl.), Tiefgarage Oxfordstraße (2 500 Pl.), Tiefgarage Südstraße (530 Pl.), U-Bahnhof Bad Godesberg-Mitte (2 310 Pl.), U-Bahnhof Hauptbahnhof (4 500 Pl.), U-Bahnhof Plittersdorfer Straße (2 000 Pl.), U-Bahnhof Stadthalle (2 360 Pl.), U-Bahnhof Wurzerstraße (2 000 Pl.) und Straßentunnel B 9 (7 200 Pl.). Macht 38 564 Schutzplätze. Bei Bunkern, die nicht dem Zivilschutz dienen, so in Dransdorf, wird nur für Verkehrssicherheit gesorgt.