Im Interview GA-Autor Jörg Manhold schreibt über den rheinischen Dialekt

Region · GA-Regional-Ressortleiter Jörg Manhold beschäftigt sich intensiv mit der Sprache der Rheinländer. Jeden Samstag veröffentlicht er die Kolumne „Rheinische Redensarten“. Aus der Serie ist jetzt das zweite Buch entstanden: „Rheinisch für Fortgeschrittene.“

Seit drei Jahren befasst er sich mit der Sprache der Rheinländer: Jörg Manhold am Rheinkilometer 657.

Seit drei Jahren befasst er sich mit der Sprache der Rheinländer: Jörg Manhold am Rheinkilometer 657.

Foto: Benjamin Westhoff

Als Ressortleiter der Regional-Redaktion des GA befasst sich Jörg Manhold täglich mit den Themen, die die Menschen an Rhein und Sieg, an Swist und Ahr bewegen. In den vergangenen drei Jahren hat er sich intensiv der Sprache der Rheinländer gewidmet. Jeden Samstag veröffentlicht er im General-Anzeiger die Kolumne „Rheinische Redensarten“. Aus der Serie ist jetzt bereits das zweite Buch entstanden: „Rheinisch für Fortgeschrittene.“ Mit Manhold sprach Hans-Peter Fuß.

On?

Jörg Manhold: Muss!

Jetzt haben Sie gerade gegen einen der zwölf Grundsätze der rheinischen Lebensart verstoßen, der da lautet: „Do moss vill schwaade“. Ist der Rheinländer nun ein Bubbelsbroder oder eher wortkarg?

Manhold: Der Rheinländer ist voller Gegensätze. Mal mundfaul, mal spricht er ohne Punkt und Komma.

Wenn man die Grundsätze liest, könnte man meinen, der Rheinländer sei ein Müßiggänger: Dunn net zovill, Loss et dir joot jonn, Hann Spass an dr Freud, Luur dat et Kölsch noch schmeck.

Manhold: Der Rheinländer hat ein Gefühl dafür, wann was ansteht. Nach dem Motto „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“. In einer Zeit, in der sich alles immer schneller dreht, erinnert sich der Rheinländer daran, auch mal innezuhalten.

Ihre Kolumnen werden gerne gelesen. Erlebt der rheinische Dialekt eine Renaissance?

Manhold: Ich glaube, dass die Menschen sich mehr und mehr auf ihre Wurzeln besinnen. Das hat damit zu tun, dass wir mit der Globalisierung und der Digitalisierung die Wege in die Welt verkürzt haben. Als Gegenbewegung zu dieser Entwicklung wächst die Freude an der eigenen Kultur.

Sprache ist Heimat, sagen die Karnevalisten. Es gibt jede Menge regional angebundene Krimis, unzählige Volksmusiksendungen, sogar ein Bundesheimatministerium. Ist der Heimatbegriff inzwischen überdehnt? Wird er von populistischen Politikern gar missbraucht, indem Heimat gedanklich mit Abgrenzung oder Ausgrenzung verbunden wird?

Manhold: Jeder Trend kann zu guten und schlechten Zwecken benutzt werden. Das Thema Heimat zeigt, dass viele Menschen wieder nach Authentizität suchen.

Was ist für Sie Heimat?

Manhold: Die Gegend zwischen Köln und Koblenz, zwischen Euskirchen und Much. Ich mag die Sprache, die Landschaft, die Mischung zwischen städtischem und ländlichem Charakter. Hier leben viele nette Menschen.

Sie appellieren, den Dialekt an die nächste Generation weiterzugeben. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Manhold: Der Dialekt ist im Aussterben begriffen. Er ist aber ein hohes Kulturgut. Im Dialekt kann man Dinge beschreiben, die im Hochdeutschen nicht möglich wären. Der Dialekt transportiert Gefühle. Der Rheinländer ist ein Meister darin, Sprachbilder zu entwickeln. Die Redensarten sind selten direkt und platt, sie haben immer eine tiefere Bedeutungsebene.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Manhold: Wäe keen Höhne hätt, dem wääde och keen överfahre. Ein Lob auf die Bescheidenheit. Die Redensart nimmt einen aktuellen Trend vorweg: den bewussten Konsumverzicht.

Sie gehören zu den Schülergenerationen, denen vermittelt wurde, der Dialekt sei eine im Vergleich zum Hochdeutschen minderwertige Form der Kommunikation.

Manhold: Das war eine zweigeteilte Welt damals. In der Grundschule musste man Hochdeutsch sprechen. Auf dem Fußballplatz war Platt angesagt. Plattsprecher können intuitiv, je nach Gesprächspartner, vom Hochdeutschen in den Dialekt wechseln und umgekehrt.

Hat BAP das Image des Dialekts verbessert?

Manhold: BAP war die erste Band, die sich nicht nur im Karneval, sondern das ganze Jahr über im Dialekt ausgedrückt hat. BAP hat ein Bewusstsein geschaffen, dass der Dialekt nicht nur von alten Menschen, sondern auch von jungen Leuten gesprochen werden kann, ohne dass man dadurch als rückständig eingestuft wird. Die Band hat moderne Gefühle und Gedanken auf platt formuliert. Für die Generation, für die der Dialekt nicht die Alltagssprache war, hat BAP den Dialekt wieder hoffähig gemacht. Das ist ein Verdienst, das gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Haben Sie Ihre drei Kinder im rheinischen Dialekt unterwiesen?

Manhold: Ich streue in der Familie hin und wieder Sätze im Dialekt ein. Meine jüngere Tochter reagiert sehr positiv, sie hört gerne die Höhner und Brings.

Konnten Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit Georg Cornelissen und Peter Honnen noch etwas Neues über unseren Dialekt lernen?

Manhold: Zum Beispiel der Satz „Maach keen Fisimatente“. Es hält sich hartnäckig die Legende, die Redensart gehe auf die französische Besatzungszeit unter Napoleon zurück (Visites ma tente, Komm in mein Zelt). Das ist aber nachweislich falsch. Schon im Jahr 1499 taucht der Begriff in der Koelhoffschen Chronik der Stadt Köln auf. Er bedeutet etwa „Mach keinen Unsinn“.

In den sozialen Medien existieren unzählige ortsbezogene Chat-Gruppen. Könnten das Foren zur Pflege des Dialekts sein?

Manhold: Ja, etwa die Gruppe „Schnüss schwaade“ kann dazu beitragen, das Interesse am Dialekt wach zu halten. Der General-Anzeiger hat mit einem Podcast von Peter Honnen begonnen, den Dialekt hörbar zu machen. Honnen geht jetzt in den Ruhestand. Deshalb werde ich einen neuen Podcast anbieten.

Neben der wörtlichen Übersetzung der Redensart bieten Sie dem Leser auch einen philosophischen Überbau, stellen Bezüge zur Bibel her und zitieren Schriftsteller von Goethe bis Kafka. Ist der Rheinländer ein verkannter Philosoph, zumal sich viele Redensarten um existenzielle Themen des Menschen von der Geburt bis zum Tod drehen?

Manhold: Auf jeden Fall. Der Rheinländer weiß viel mehr, als ihm gemeinhin zugetraut wird. Deshalb sollte er wieder lernen, stolz auf sich zu sein.

Es gibt Redensarten, deren wörtliche Übersetzung auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt. Wie gehen Sie vor?

Manhold: Ich stehe mit 20 Mundartsprechern in Kontakt. Ich erhalte  auch viele Mails und Briefe, darunter Listen mit alten Redensarten. Von einer 93-jährigen Dame stammte der Vorschlag, den Ausdruck „Föttchesföhler“ zu erklären.

Sie haben etwa 150 Redensarten analysiert: Was sind Ihre Top 5?

Manhold: Jöck is schlimmer wie Ping; Et jeht öm Dich; Dat Duudehemp, dat hätt keen Täsch; Wer fröht Dich noh de Uhrzick? Dä jlich singem Vatte wie jekotz un jedrisse.

Sie schreiben, der Rheinländer trägt die Welt in sich. Eine schwere Last.

Manhold: Die rheinische Perspektive lässt keine Schwere zu. Der Rheinländer geht mit dieser Last spielerisch um. Der christlich-katholische Glaube schreibt in seinen Genen fest, nicht alles zu eng zu sehen.

Jörg Manhold: „Rheinisch für Fortgeschrittene“, Edition Lempertz, 172 Seiten, 9,99 Euro.

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