"Gewalt hat viele Gesichter"

Bundesweit einzigartige Veranstaltung in Bonn eröffnet - In Familien wird das Thema oft tabuisiert - Zufluchtstätte für weibliche Opfer - Förderpreis prämiert innovative Ideen

"Gewalt hat viele Gesichter"
Foto: Engels

Bonn. Gewalt schreibt viele Geschichten. Da ist die alte Dame, die ins Frauenhaus flüchtete, weil ihr Mann sie psychisch terrorisierte. Da ist die 14-Jährige, die von ihrem Bruder sexuell missbraucht wurde. Oder die Mutter, die ihrem Sohn das Haus überschrieb - und prompt von ihm ins Heim verfrachtet wurde.

"Gewalt hat viele Gesichter", sagte Koordinator Professor Rolf D. Hirsch am Mittwoch bei der Eröffnung des Aktionstags "Gewalt ist unter uns" auf dem Münsterplatz. Dazu zähle die körperliche genauso wie die psychische und strukturelle Gewalt. Schirmherrin Bärbel Dieckmann sprach sich für einen kritischen Blick auf das eigene Gewaltpotenzial aus. "Wir müssen uns mit der täglichen Gewalt beschäftigen, mit der wir viel zu leichtfertig umgehen."

33 Vereine und Einrichtungen beteiligten sich an dem in dieser Form bundesweit einzigartigen Aktionstag. "Mit so einer Resonanz hatten wir gar nicht gerechnet", so Hirsch. Mit der Allgewalt des Wetters allerdings auch nicht: Der Wind warf einige Zelte um.

Als Vorsitzender des Vereins Handeln statt Mißhandeln (HsM), Tel. (02 28) 69 68 68, ist Hirsch mit der Not alter Menschen konfrontiert, die Opfer von Gewalt geworden sind. Oft werde das Problem bagatellisiert, in der Familie sogar tabuisiert. "Menschen über 80 Jahren werden doch gar nicht mehr Ernst genommen." Während die Zahl der Gewalttaten nicht spürbar gestiegen sei, fühlten sich immer mehr Menschen subjektiv bedroht. Das weiß auch Mario Becker vom Kommissariat Vorbeugung.

Indes: "Die Gewalt unter Jugendlichen hat zugenommen." Seit geraumer Zeit sind deshalb Polizeikräfte präventiv in Schulklassen und Jugendgruppen im Einsatz. "Viele Jugendliche wollen sich nicht prügeln, aber haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren", so Becker. Gewalt führe auch zu paradoxen Reaktionen. Ins Frauenhaus geflüchtete, von ihren Partnern geschlagene Frauen, gäben sich häufig die Schuld für die gescheiterte Beziehung, litten unter Minderwertigkeitskomplexen, sagte Elsa Bleck vom Verein "Frauen helfen Frauen".

Die auf dem Münsterplatz vertretenen Vereine unterstützen Gewaltopfer. So steht die Bonner Zufluchtstätte weiblichen Gewaltopfern bis 18 Jahren offen, Tel. (02 28) 9 14 00 00). Bis zu fünf Mädchen können dort untergebracht und pädagogisch betreut werden.

Da oft ein sexueller Missbrauch zugrunde liege, seien die Kräfte auf Suizidversuche besonders vorbereitet. Ein aktives Zeichen gegen Gewalt setzen die drei evangelischen Kirchenkreise. Ein mit 3 000 Mark dotierter Förderpreis unter dem Motto "Gewalt überwinden" prämiert pfiffige und innovative Ideen, die vor Ort gut umsetzbar sein sollen.

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