Flüchtlinge "Größte Herausforderung seit der Einheit"

BERLIN · Die durchverhandelte Nacht hat sich gelohnt. Angela Merkel und Sigmar Gabriel sprechen am Morgen danach wahlweise von einem "sehr erfolgreichen Koalitionsausschuss" (Merkel) beziehungsweise von "einem der wichtigsten Treffen" (Gabriel) seit der Einigung auf diese große Koalition von CDU, CSU und SPD.

 Vor der Weiterreise: Ein Vater und sein Sohn sitzen in München in einem Reisebus, der sie nach Baden-Württemberg bringt.

Vor der Weiterreise: Ein Vater und sein Sohn sitzen in München in einem Reisebus, der sie nach Baden-Württemberg bringt.

Foto: dpa

Nach einem "zum Teil atemberaubenden Wochenende", wie Merkel betont, an dem wieder Tausende Flüchtlinge Deutschland erreicht haben, sieht sich die Bundesregierung laut Gabriel "vor der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung".

Doch Gabriel glaubt, dass diese Mammutaufgabe, die auch Konflikte schaffen werde, "mit Zuversicht und Realismus" gestemmt werden könne.

Merkel weiß, dass die Erwartung an die von ihr geführte große Koalition in der Flüchtlingskrise hoch ist - national wie international. Merkel: "Wir wissen, dass wir schnell waren, als es darum ging, Banken zu retten. Wir müssen jetzt wieder schnell sein." Endgültige Entscheidungen sollen bei einem Bund-Länder-Gipfel am 24. September in Berlin fallen.

Hier die wichtigsten Beschlüsse:

Bund, Länder, Kommunen

Der Bund wird zur Bewältigung der Flüchtlingskrise seine eigenen Mittel im Haushalt 2016 um drei Milliarden Euro erhöhen. Zudem sollen Länder und Kommunen weitere drei Milliarden vom Bund erhalten. In diesem Jahr hat der Bund eine Milliarde für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt.

Außerdem will der Bund den Ländern eigene Liegenschaften wie beispielsweise Kasernen zur Flüchtlingsunterbringung mietfrei überlassen und diese, wo nötig, vor einem Einzug von Flüchtlingen auch auf eigene Kosten in Stand setzen lassen.

Merkel schloss nicht aus, dass die Kosten für Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge im kommenden Jahr auch bis zu zehn Milliarden Euro betragen könnten. Der Bundesfreiwilligendienst soll aufgestockt werden - um bis zu 10 000 neue Stellen.

Asylverfahren

CDU, CSU und SPD verständigten sich darauf, die Asylverfahren zu beschleunigen und die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgelaufenen Asyl-Altfälle durch die zügige Besetzung bereits beschlossener neuer Stellen abzuarbeiten.

Dazu wollen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und die Länder eine hochrangig besetzte Task Force einsetzen. Bei der Bundespolizei sollen in den kommenden drei Jahren 3000 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Kosovo, Albanien und Montenegro sollen wie schon im vergangenen Jahr Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.

Asylbewerber aus solchen Ländern sollen bis zum Ende ihres Verfahrens in Erstaufnahmelagern bleiben. Danach folgt "in der Regel" ihre Rückführung. Die Höchstdauer zur Aussetzung von Abschiebungen soll von sechs auf drei Monate verkürzt werden.

In Erstaufnahmelagern sollen Antragsteller überwiegend Sachleistungen erhalten und kein Bargeld. Für Angehörige der Staaten des westlichen Balkans (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro) sollen als Alternative zum Asylverfahren Möglichkeiten zur legalen Migration zur Aufnahme von Arbeit in Deutschland geschaffen werden.

Europa

Die Bundesregierung setzt sich weiter für eine einheitliche, abgestimmte Asylpolitik in allen 28 EU-Staaten ein. Nicht nur Österreich, Schweden oder Deutschland könnten Flüchtlinge aufnehmen, sondern die nach Europa drängenden und fliehenden Menschen müssten fair auf alle EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.

Die Regelungen nach dem sogenannten Dublin-Verfahren gelten weiter. Danach müssen Flüchtlinge in dem EU-Land registriert und aufgenommen werden, das sie zuerst betreten. Die am Wochenende getroffene Aufnahmeentscheidung von Deutschland und Österreich soll eine Ausnahme bleiben.

Integration

Menschen, die dauerhaft in Deutschland bleiben, sollen schnell Arbeit finden und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Der Bund will - wie mit den Ländern vereinbart - Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete öffnen. Außerdem soll das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten fallen.

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