Interview über die Not der Flüchtlinge Harmut Kreutz: "Das Traurigste sind alleinreisende Kinder"

Rhein-Sieg-Kreis · Die Flüchtlingswelle bedeutet nicht nur für die Kommunen ein Mehr an Aufgaben. Auch die ehrenamtlichen Helfer sind gefordert - etwa die des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Hartmut Kreutz ist Katastrophenschutzbeauftragter des DRK-Kreisverbands Rhein-Sieg und koordiniert die Einsätze in den Notunterkünften. Mit Kreutz sprach Matthias Hendorf.

 Das Deutsche Rote Kreuz bereitet die Notunterkünfte für die Flüchtlinge - wie etwa in Troisdorf - gemeinsam mit den Kommunen vor.

Das Deutsche Rote Kreuz bereitet die Notunterkünfte für die Flüchtlinge - wie etwa in Troisdorf - gemeinsam mit den Kommunen vor.

Foto: Paul Kieras

Herr Kreutz, wie sehr ist die Betreuung von Flüchtlingen in Notunterkünften mittlerweile für Sie zur Routine geworden?
Hartmut Kreutz: Klar, es wird immer mehr zur Routine, schließlich sind wir mittlerweile in der sechsten Woche. Angefangen hat alles mit Troisdorf. Wir betreuen in Zusammenarbeit mit den Kommunen neben Troisdorf noch Hennef und Siegburg. Wir helfen überall, wo Not am Mann ist.

Wie würden Sie die Situation im Kreis derzeit beschreiben?
Kreutz: Wir versuchen gemeinsam mit den Kommunen, den Flüchtlingen eine hoffentlich gute Zeit zu ermöglichen. Wir haben uns in den ersten Wochen verbessert, kleine Anfangsfehler abgestellt.

Was für Fehler waren das?
Kreutz: Zum Beispiel trinken viele der Menschen nur stilles Wasser. Ein Kühlwagen mit Sprudel nützt also nicht viel.

Steht das Verteilungssystem der Flüchtlinge vor dem Kollaps?
Kreutz: Dazu möchte ich gar nicht viel sagen. Aber wir stellen schon fest, dass die Kommunikation zwischen Kommunen, Bezirksregierung und Land nicht einwandfrei funktioniert.

Was bringt das für Probleme mit sich?
Kreutz: Wir können beispielsweise den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer nicht planen, weil vieles zu kurzfristig mitgeteilt wird - etwa, wann die Flüchtlinge kommen.

Was heißt das für das DRK?
Kreutz: Es fordert unsere kompletten Ressourcen, wir fahren derzeit auf dem Maximum. Und: Wir dürfen das Alltagsgeschäft ja nicht vernachlässigen. Denn die Helfer, die in den Notunterkünften Dienst schieben, fehlen beim Grundschutz, was wir dann auffangen müssen.

Manche Anwohner thematisieren auf Informationsveranstaltungen ihre Angst vor Ausschreitungen in den Flüchtlingsunterkünften. Wie sind Ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht?
Kreutz: Das ist uns hier überhaupt nicht bekannt. Klar hören wir von den Vorfällen in anderen Bundesländern aus den Medien. Aber bei uns ist alles unproblematisch, es sind einfach sehr nette Menschen.

Ist das DRK vorbereitet auf weitere Notunterkünfte?
Kreutz: Ja. Wir haben Checklisten für solche Fälle. Sobald Not am Mann ist, sind wir da.

Angenommen, es geht ein Anruf wie in Troisdorf ein: In 48 Stunden kommen Flüchtlinge. Was passiert dann beim DRK?
Kreutz: Ein Vertreter des Kreisverbandes fährt in die Kommune und macht eine Fachberatung. Denn die Kommunen sind oft überfordert, für sie ist es am Anfang eine neue Situation. Wir sagen ihnen: Das ist euer Part, das ist unser Part. Oft sprechen die Vertreter der Kommunen von Problemen. Unserer Erfahrung nach ist es aber kein Problem, wenn jeder seine Aufgaben erledigt.

Mit wie vielen Einsatzkräften ist das DRK in den Notunterkünften vertreten?
Kreutz: Ganz zu Beginn, also wenn die Flüchtlinge ankommen, sind wir mit 40 Helfern vor Ort. Es geht dann darum, im Vorfeld die Hallen auszustatten und bei der Registrierung der Menschen und bei der ärztlichen Untersuchung zu helfen.

Ab wann reduzieren Sie das Personal?
Kreutz: Das hängt von der jeweiligen Unterkunft ab. Am Anfang sind wir jeweils 24 Stunden vor Ort. Wenn wir dann merken, nachts gibt es keine Probleme, fahren wir schon mal zurück auf den Tagesbetrieb.

Wie viele solcher Unterkünfte kann das DRK noch schultern?
Kreutz: Das ist schwer zu sagen. Wir haben noch Luft nach oben, aber es wird immer schwieriger. Unser Vorteil ist, dass wir in jeder Kommune einen Ortsverein haben.

Was hat sich dadurch geändert, dass auch der Kreis zwei Notunterkünfte einrichten musste?
Kreutz: Der Helfereinsatz ist nach oben geschnellt. Wir sind dort mit rund 100 Leuten im Einsatz - und das dauerhaft im Gegensatz zu den Notunterkünften des Landes. Die Situation ist nun kreisweit deutlich angespannter.

Was war bislang das emotionalste, das Sie gesehen haben?
Kreutz: Das Traurigste sind alleinreisende Kinder, bei denen man nicht weiß, wo die Eltern sind. Die halten dann oft seit 14 Tagen die Hand eines anderen Flüchtlings. Und selbst der weiß meistens nicht, was mit den Eltern passiert ist.

Wie nahe geht Ihnen das?
Kreutz: Ich versuche, eine gewisse Distanz aufzubauen. Früher hat man das nur im Fernsehen gesehen, und jetzt sitzen die Leute mit Kriegsverletzungen direkt vor einem. Man versucht, das abends zu vergessen, weil es am nächsten Tag weitergeht. Man muss vergessen können, sonst hält man es nicht durch.

Haben Sie für solche Fälle so etwas wie eine Schutzhülle?
Kreutz: Ja, so in der Art. Aber damit geht letztlich jeder Helfer anders um.

Wünschen Sie sich etwas mehr Zeit, um auf Einzelschicksale einzugehen?
Kreutz: Klar, ich würde mir wirklich gerne jedes einzelne Schicksal anhören. Aber mir fehlt leider einfach die Zeit dafür.

Zur Person

Hartmut Kreutz, 34, ist in Lohmar geboren und seit seinem zehnten Lebensjahr beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) aktiv. Er ist seit acht Jahren gelernter Rettungsassistent und seit drei Jahren ehrenamtlicher Katstrophenschutzbeauftragter des DRK-Kreisverbands Rhein-Sieg. Kreutz besitzt eine Firma in Lohmar, die Medizinprodukte vertreibt. Der 34-Jährige ist mit seiner Lebensgefährtin verlobt.

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