Neue Stolpersteine erinnern in Linz an NS-Opfer Ein Mensch ist erst dann wirklich vergessen, wenn sein Name vergessen ist

Linz · Fritz war ein ganz normaler Linzer Junge, bevor die Schergen der NS-Zeit ihn verfolgten. Mit der Aktion „Stolpersteine“ wird jetzt auch an sein ganz besonderes Schicksal erinnert.

Gedenken in Linz: Vor dem Haus Mittelstraße 17 verlegt der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine. Sie erinnern an jüdische an Opfer des NS-Regimes

Gedenken in Linz: Vor dem Haus Mittelstraße 17 verlegt der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine. Sie erinnern an jüdische an Opfer des NS-Regimes

Foto: Frank Homann

Es war ein bewegender Moment am Donnerstag in Linz am Rhein. Und es waren bewegende Worte: „Fritz Meyer besuchte das Linzer Gymnasium und war aktives Mitglied des Linzer Turnvereins“, erzählte der Erste Beigeordnete Helmut Muthers bei der Verlegung der Stolpersteine. Und die anwesenden Schüler des Linzer Gymnasiums horchten auf. Ein Junge wie du und ich? Mit einem Unterschied: Er wurde deportiert und ermordet.

Im Jahre 1933 war die jüdische Gemeinde in Linz noch weitgehend integriert und geachtet. Zu der Zeit zählten rund 70 Mitglieder dazu, die nach Kriegsbeginn, vor allem ab 1942 deportiert oder ermordet wurden. Wenige konnten ins Ausland fliehen.

Demnig erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing einlässt. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert der Künstler gerne den Talmud. Jeder Stein stehe für einen Namen, einen Menschen, ein Schicksal. Wer sich herunterbeugt, um die Namen zu lesen, verbeuge sich gleichsam vor den Opfern.

Bewegendes Zeugnis für so viel Leid

Und so verbeugten sich etwa 40 Gäste vor Fritz Meyer und seiner Frau Rosel Meyer, die Vor dem Leetor 20 in Linz die kleinen Gedenktafeln aus Messing erhielten. „Fritz Meyer wurde 1894 als Sohn des Kaufmanns und Zigarrenfabrikanten Max Meyer geboren. Nach dem Besuch des Linzer Gymnasiums absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung und trat 1913 nach dem frühen Tod des Vaters mit nur 19 Jahren in das Familienunternehmen CARL MEYER JR. ein. Fritz Meyer war seit 1914 aktives Mitglied des Linzer Turnvereins und diente im Ersten Weltkrieg als Soldat. 1938 zog er mit seiner Ehefrau Rosel nach Köln. Von dort wurden die beiden 1942 zunächst nach Theresienstadt und 1944 schließlich nach Auschwitz deportiert, wo Fritz Meyer ermordet wurde. Rosel Meyer kam in das Konzentrationslager Mauthausen, wo sie von den Alliierten befreit wurde. 1945 kehrte sie nach Linz zurück und emigrierte nach ihrer Hochzeit mit Erwin Levy aus Waldbreitbach in die USA. Rosel Meyer starb 1984 in San Francisco“, verlas Muthers nach Recherchen der Stadtarchivarin Andrea Rönz die bewegende Geschichte zu den Stolpersteinen.

„Es ist eine Verpflichtung, sich an diese Menschen zu erinnern, es kann sich alles so schnell wiederholen“, mahnte der 18jährige Abdul Albatran, der das Linzer Gymnasium besucht. „Antisemitismus wird leider immer präsenter in Deutschland“, fügte er traurig hinzu. Philipp Schmitz (15) und Till Handrack (16) unterstützten seine Worte. „Ich finde es so wichtig, daran zu denken“, sagte Till. Von der Verlegung der Stolpersteine haben die Gymnasiasten durch ihre Geschichtslehrerin Stephanie Meurer erfahren. Frau Meurer konnte etliche Schüler gewinnen, die nach der Schule noch freiwillig mit zu der Veranstaltung kamen und reges Interesse zeigten. "Wir hatten jetzt in der 10 die NS-Zeit durchgenommen und kürzlich erst ‚Schindlers Liste’ gesehen“, berichtete Philipp.

Dieses dunkle Kapitel darf nicht vergessen werden

Die Landtagsabgeordnete Ellen Demuth, die sich schon seit langer Zeit für die Anschaffung von Stolpersteinen in Linz einsetzt, zeigte sich sehr erfreut, dass es nun so schnell weitergehe mit dieser „wichtigen Erinnerungskultur“. „Das jüdische Leben bekommt endlich wieder Sichtbarkeit in unserer Stadt“, so Demuth. Sie spannte einen Bogen von der Landeshauptstadt Mainz, deren alter jüdischer Friedhof als erstes jüdisches UNESCO-Welterbe Deutschlands (mit den zwei weiteren SchUM-Stätten Worms und Speyer) auf die UNESCO-Welterbe-Liste kam, zum jüdischen Friedhof in Linz, der den Schülern als wichtiges jüdisches Kulturgut nicht unbekannt bleiben solle.

In der Mittelstraße wurden neun Steine nebeneinander zum Gedenken der Kaufmannsfamilie Braun und deren Angehörigen Frieda und Arthur Haim verlegt. Familienvater Gustav Braun war nach Diensten im Ersten Weltkrieg sogar mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Die Familie wurde teilweise nach Deportation im Konzentrationslager ermordet, teilweise gelang die Flucht.

Vier Kinder des bekannten Textilkaufmanns Hermann Hirsch lebten mit ihren Ehepartnern Vor dem Leetor 22. Alle sind in den 40er Jahren umgekommen.

Das Judentum, der ältere Bruder des Christentums

Pastor Lothar Anhalt sprach als Vertreter der Kirchen vom jüdischen Glauben als „älteren Bruder des Christentums“. „Es wäre das Allerschlimmste, wenn wir unsere Brüder vergessen würden“, sagte Anhalt und ließ das Friedenslied Hevenu Shalom Alechem von der im jüdischen Liedergut versierten Stadträtin Ruth Zimmermann anstimmen, das alle Anwesenden an allen drei Verlegungsstätten bewegt mitsangen.

„Im Mai werden wir den 100.000. Stolperstein verlegen“, erzählte Gunter Demnig abschließend und berichtete den interessierten Zuhörern von Schicksalen aus Italien und Polen. Mehr als 20 Städte Europas haben inzwischen Stolpersteine.

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