Inferno forderte mehr als 350 Menschenleben

Vor 60 Jahren verwüstete der schwerste Luftangriff des Zweiten Weltkrieges auf Troisdorf weite Teile der Stadt

  Die Perspektive  des Bombenschützen: Lancaster-Maschinen, die auch am Angriff auf Troisdorf beteiligt waren, in Aktion. Repro: GA

Die Perspektive des Bombenschützen: Lancaster-Maschinen, die auch am Angriff auf Troisdorf beteiligt waren, in Aktion. Repro: GA

Troisdorf. "197 Flugzeuge der Gruppen 6 und 8 versuchten, die Bahnanlagen in Troisdorf zu bombardieren, aber der größte Teil des Angriffes verfehlte das Ziel. Keine weiteren Details sind verfügbar. Kein Flugzeug ging verloren." Mit diesen ebenso nüchternen wie dürren Worten vermerkt das Kriegstagebuch des britischen Bomberkommandos am 29. Dezember 1944 den fürchterlichsten und folgenreichsten Bombenangriff auf Troisdorf während des gesamten Zweiten Weltkrieges.

Weil die britischen Bomber ihr eigentliches Ziel, den strategisch bedeutsamen Bahnknotenpunkt, verfehlen, entlädt sich der größte Teil der todbringenden Bombenlast auf Wohngebiete in Troisdorf und Oberlar, aber auch in Spich und Sieglar.

In nur 25 Minuten werfen 159 Bomber vom Typ Halifax, 24 Lancaster und 14 Mosquitos mehr als 1 100 Tonnen Bomben über der Stadt ab. In nur 25 Minuten sterben an diesem kalten Winterabend vor genau 60 Jahren 354 Menschen, mehr als 300 werden verletzt. In nur 25 Minuten versinken mehr als 500 Häuser in Schutt und Asche.

Am späten Nachmittag des 29. Dezembers, es war ein Freitag, starten von mehreren Feldflugplätzen in Südengland 197 Halifax, Lancaster und Mosquitos gen Osten. Vollbeladen kann jede von ihnen bis zu zehn Tonnen Bombenlast tragen. Ihre Aufgabe: "Marking and bombing GH 632". Hinter dem Code "GH 632" verbirgt sich das Zielgebiet Troisdorf mit dem strategisch wichtigen Bahnknotenpunkt und den bis dahin noch weitgehend unzerstörten Rüstungsfabriken der DAG, der späteren Dynamit Nobel.

Ungestört von der nahezu ausgelöschten deutschen Luftwaffe erreichen die britischen Verbände ihr Zielgebiet. Um 18.15 Uhr heulen die Sirenen. Doch die Maschinen mit ihrer todbringenden Last fliegen über Troisdorf hinweg. Als um 19.03 Uhr "Vorentwarnung" gegeben wird, ist keine einzige Bombe gefallen.

Um 19.20 Uhr bricht unvermittelt das Inferno los. Diesmal warnt kein Fliegeralarm die Menschen. Zwar war um 19.17 Uhr Alarm ausgelöst worden, "doch dieser letzte Warnbefehl kam aber wegen einer Störung nicht mehr durch", berichtet wenige Tage später der Troisdorfer Nazi-Bürgermeister Ernst Schünemann in seiner "Gesamtschadensmeldung" an den Landrat in Siegburg.

In weniger als einer halben Stunde entladen die britischen Bomber ihre Spreng- und Brandbomben, Phosphorgranaten und Luftminen. Nach Schünemanns Bericht vom 15. Januar 1945 fallen mehr als 2 600 Bomben auf Troisdorf und Oberlar, das damals zur Gemeinde Sieglar gehört, auf das DAG-Gelände und die Bahnanlagen. Nur vier Monate bevor der Einmarsch der Amerikaner am 11. April 1945 für die Troisdorfer das Kriegsende bringt, verlieren binnen weniger Minuten mehr als 350 Menschen ihr Leben.

Nazi-Bürgermeister Schünemann meldet seinen Vorgesetzten 79 Männer, 116 Frauen, 46 Kinder, 34 Wehrmachtsangehörige und sechs "fremdvölkische Arbeiter" - sprich: Zwangsarbeiter - als tot. In Oberlar sterben 18 Männer, 28 Frauen, acht Kinder und ein Soldat. Die meisten Menschen kommen außerhalb von Luftschutzkellern um, eine Folge des ausgebliebenen Fliegeralarms.

In Sieglar werden 18 Menschen getötet. Einige Bomberbesatzungen haben offenbar den dortigen Betriebshof der Kleinbahn Siegburg-Zündorf (heute RSVG) mit den Troisdorfer Bahnanlagen verwechselt. Gebäude und Fahrzeuge werden fast völlig vernichtet, der Bahnbetrieb muss eingestellt werden.

Auch wenn das Kriegstagebuch des britischen Bomberkommandos vermerkt, dass die meisten Bomben ihr eigentliches Ziel - die Bahn-Anlagen - verfehlten, war der Angriff dennoch ein Erfolg für die Alliierten. Die Zünder- und Sprengkapselproduktion der DAG wird in Schutt und Asche gebombt und wird bis Kriegsende nicht wieder aufgenommen. Die Bahnanlagen werden zwar "nur" von etwa 70 Bomben getroffen - darunter 20 Blindgänger - aber die Schäden sind enorm. Güterschuppen, Loks und Gleise waren zerstört. Auch ein Flak-Zug wird getroffen. 19 Soldaten sterben.

Aber wie immer trifft das Bombardement in allererster Linie die ohnehin schon leidgeprüfte Zivilbevölkerung besonders hart. Neben den Toten, die alle in einem Massengrab auf dem Waldfriedhof beigesetzt werden, und hunderten Verletzten haben die Troisdorfer immense Schäden zu beklagen. Kirchen, Schulen und das St. Josefs-Krankenhaus sind schwer beschädigt. Im Hospital ist der gesamte OP-Trakt weggebombt worden. Wasser und Strom gibt es nicht mehr.

In Troisdorf werden insgesamt 1 664 Häuser in Mitleidenschaft gezogen, in Oberlar sind es 477. Völlig zerstört sind 231 Gebäude, unter anderem das Rathaus an der Ecke Post-/Wilhelmstraße, das einen Volltreffer erhält. 4 181 Menschen haben ihre Wohnungen sowie ihr Hab und Gut verloren und müssen ausquartiert werden, berichtet Schünemann nach Siegburg.

In den Wirren der letzten Kriegsmonate bleiben viele Blindgänger unter den Trümmern verborgen und kommen erst Jahre und Jahrzehnte später bei Bauarbeiten wieder zum Vorschein. Nicht explodierte Bomben, die auf freies Feld gefallen sind, werden manchmal kurzerhand in ihren Trichtern zugeschüttet und vergessen. Aber auch Blindgänger können den Tod bringen. Bei dem schrecklichen Angriff am 29. Dezember fallen immerhin 205 Blindgänger auf Troisdorf.

Einer von ihnen trifft die Gaststätte Thiesen an der Poststraße (heute Alte Poststraße), in der die Nazis 1933 mit großem Pomp auch in Troisdorf die Machtergreifung gefeiert hatten. Der zentnerschwere Sprengkörper durchschlägt das Dach und stürzt durch Obergeschoss und Küche bis in den Keller - und erschlägt dort die Gastwirtsfrau Klara Thiesen und ihre beiden Töchter Margarethe und Maria.

Mehr als 1 600 Mal haben die Sirenen die Troisdorfer zwischen Mai 1940 und dem 29. Dezember 1944 in Keller und Bunker getrieben. Jeden einzelnen dieser Fliegeralarme hat Max Wittig akribisch in seinem erhalten gebliebenen Tagebuch festgehalten. Seine Eintragungen enden plötzlich an jenem 29. Dezember 1944 mit dem Vermerk "18.15 Uhr: Vollalarm", obwohl der Bombenkrieg für die Troisdorfer erst im März 1945 endet. Auch Max Wittig gehört zu den 354 Toten des Bomben-Infernos.

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