"Jeder hat das Recht, Nein zu sagen"

Gleichstellungsbeauftragte Irmgard Schillo und Autorin Fatma Sonja Bläser stellen Projekt für den Rhein-Sieg-Kreis vor - Unrechtsbewusstsein der Eltern soll geschärft werden

Rhein-Sieg-Kreis. Die 18 Jahre alte Fatma lebt seit neun Jahren mit ihrer türkischen Familie in Deutschland, als sie ihr Elternhaus bei Nacht und Nebel verlässt, um eine neue Identität anzunehmen und einen deutschen Mann zu heiraten.

Ihr Vater hat versucht, sie zu einer Heirat mit einem Türken zu zwingen. Die Flucht gelingt, doch jahrelang muss die junge Frau um ihr Leben bangen. Ihre Familie bedroht sie und erklärt sie schließlich für tot.

Die Flucht in die Freiheit liegt nun mehr als 20 Jahre zurück. Heute ist Fatma Sonja Bläser 42 Jahre alt und kämpft gegen das Zwangsverheiraten junger Frauen. Gemeinsam mit Irmgard Schillo, Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Sieg-Kreises, stellte die Autorin des biografischen Romans "HennaMond" dem Ausländerbeirat der Stadt Troisdorf ein Modellprojekt für den Kreis zum Thema "Zwangsheirat" vor.

Das Phänomen sei nicht nur im Ausland, sondern ebenso in vielen Immigrantenfamilien verbreitet, sagte Bläser. Auch im Rhein-Sieg-Kreis gibt es junge Frauen und Männer etwa türkischer Abstammung, die gegen ihren Willen verheiratet werden. Allerdings ist das Thema noch immer stark tabuisiert. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgemeinschaft "Runder Tisch häusliche Gewalt" nun das vom Land NRW bezuschusste Projekt initiiert.

Ansetzen wollen die Initiatoren in Troisdorf, denn in der größten Stadt des Kreises leben immerhin rund 9 300 Ausländer. Vor allem an den weiterführenden Schulen sei der Ausländeranteil hoch, sagte Schillo. Das Konzept sieht unter anderem die Arbeit mit Moscheevereinen vor.

Zudem sollen Jugendliche über ihre Rechte und darüber, wo sie Hilfe bekommen, informiert werden. Es sei laut Schillo enorm wichtig, dass der Ausländerbeirat hinter der Idee stehe. Der enttäuschte sie nicht - alle Mitglieder befürworten das Projekt.

Beim "Runden Tisch häusliche Gewalt", 2002 gegründet, arbeiten unter anderem Gleichstellungsstellen, Frauenhäuser, Beratungsstellen, Polizei und Justiz im Rhein-Sieg-Kreis zusammen.

Im Mittelpunkt des Konzepts zum Thema "Zwangsheirat" stehe laut Schillo die aufklärende Elternarbeit. Betroffen seien nicht nur Türken, sondern unter anderem auch Pakistaner, Tunesier, Libanesen und Marokkaner, weiß Bläser. "Das Phänomen ist also keineswegs auf nur einen Kulturkreis zu beschränken."

Es gibt verschiedene Formen von Zwangsheiraten. Neben den in Deutschland geschlossenen Zwangsehen gibt es solche, bei denen junge Frauen, die hierzulande aufgewachsen sind, in ihrem Herkunftsland verheiratet werden. Auch die so genannte "Importehe" ist nicht selten.

Hierbei wird eine junge Frau aus dem Ausland für einen hier aufgewachsenen Mann nach Deutschland geholt. Grund sind Traditionen, denen sich die Eltern vieler Immigrantenfamilien heute noch stark verpflichtet fühlen. Eine Heirat außerhalb der Familienverbände würde die Eltern ins soziale Aus befördern. Deshalb arrangieren sie die Ehen für ihre Söhne und Töchter.

"Nicht nur die Frauen sind die Leidtragenden, auch die Männer stehen unter großem Druck", betont Bläser. Denn wer den ausgesuchten Partner ablehne, verstoße gegen die Familienehre. Daher werde häufig - im wahrsten Sinne des Wortes - mit aller Gewalt versucht, eine Ehe mit jemandem gleicher Herkunft zu erzwingen.

Man müsse allerdings bedenken, dass die Eltern ihren Kindern nichts Böses wollen. "Sie sehen es als ihre Pflicht an, ihre Kinder möglichst gut zu verheiraten." Auch Schillo machte deutlich, dass gegen arrangierte Ehen grundsätzlich nichts einzuwenden sei. "Wichtig ist aber, dass sowohl die Frau als auch der Mann die Möglichkeit haben, Nein zu sagen - das Recht hat jeder!"

Daher sei eines der wichtigsten Ziele des Konzepts, das Unrechtsbewusstsein der Eltern zu schärfen. Die Eltern müssten viel mehr mit ihren Kinder reden, sagte Bläser. "Die jungen Frauen und Männer sollten ihre Ängste und Wünsche äußern dürfen."

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