Jörg Dräger: "Guter Unterricht nimmt alle mit"

EITORF · Der Bertelsmann Vorstand Jörg Dräger über die Eitorfer Schule, die Fortbildung der Lehrer und ein Inklusionsgesetz.

 "Dringender als ein Gesetz ist eine andere Lernkultur ", sagt Jörg Dräger.

"Dringender als ein Gesetz ist eine andere Lernkultur ", sagt Jörg Dräger.

Foto: Arne Weychardt

Warum haben Sie die Eitorfer Schule ausgezeichnet?
Jörg Dräger: Die Gemeinschaftsgrundschule in Eitorf verbindet Chancengerechtigkeit und Leistung. Sie hat Kinder mit besonderem Förderbedarf in den regulären Unterricht integriert. Der Lernerfolg, den alle Kinder dort erzielen, hat die Jury überzeugt. Das schafft die Schule, obwohl die Sozialstruktur in ihrem Einzugsgebiet ohnehin schwierig ist und viele Schüler ausländische Wurzeln haben. Zudem war die Jury sehr angetan von der durchgängigen Unterrichtspraxis der individuellen Förderung.

Warum ist der Stiftung das Thema Inklusion so wichtig?
Dräger: Weil das Bildungssystem dadurch besser und fairer wird. Eine Klasse ist ja nicht erst dann heterogen, wenn zwei Schüler mit Förderbedarf hinzukommen. Homogenität ist doch heute eine Illusion. Wir müssen Vielfalt als Chance begreifen. Wenn Inklusion dafür sorgt, dass sich die Praxis der individuellen Förderung durchsetzt, ist allen Schüler geholfen. Auch denen mit herausragenden Talenten.

Und was heißt das konkret für die Schulen?
Dräger: Für die Schulen ist das ohne Frage ein höherer Aufwand, weil etwa jeder Schüler individuelle Lernpläne erhält und seine Entwicklung dokumentiert wird. Das aber lohnt sich. Denn guter Unterricht nimmt alle mit und vermittelt mehr als Wissen. Viel wertvoller für das spätere Leben ist es, das Lernen zu lernen. Und es geht natürlich um die Vermittlung sozialer Kompetenzen.

Welche Rahmenbedingungen muss Politik in Deutschland schaffen?
Dräger: Neben einer adäquaten Personalausstattung für die Schulen: Fortbildung, Fortbildung und nochmal Fortbildung für die Lehrer. Denn Inklusion wird nicht dadurch erfolgreich, weil Politik es will, sondern wenn Lehrer es können. Und die Unterstützung durch Sonderpädagogen muss gewährleistet sein. Derzeit fühlen sich viele Lehrer, die mit Engagement und Einsatz ihren Job so gut wie möglich machen wollen, schlicht überfordert.

Was schließen Sie daraus?
Dräger: Von Schulen wie in Eitorf kann man viel lernen. Dort werden zum Beispiel die Lernmaterialien hervorragend vorbereitet, die Teamstruktur mit Klassenlehrern und Sonderpädagogen stimmt. Wenn Politik die Lehrer aber nicht in die Lage versetzt, diese Werkzeuge zu erlernen, dann wird Inklusion nicht erfolgreich sein.

Und dann?
Dräger: Dann werden die Eltern die Idee der Inklusion nicht akzeptieren. Die einen sagen: Unsere Kinder gehen unter. Und die anderen sagen: Die Förderkinder stören und drücken den Leistungsdurchschnitt.

Würde ein Inklusionsgesetz, wie es derzeit in Nordrhein-Westfalen diskutiert wird, helfen?
Dräger: Dringender als ein Gesetz ist eine andere Lernkultur in den Schulen.

Das wäre auch ohne Gesetz möglich.
Dräger: Es geht um die Frage, wie die Schulen fit gemacht werden können für individuelle Förderung. Das ist Grundbedingung für das Gelingen von Inklusion. Wenn das bewältigt wird, bedarf es keines Gesetzes mehr. Dann werden alle Eltern sehen, dass Inklusion funktioniert und alle Kinder davon profitieren.

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