GA-Serie "Rheinische Redensarten" Kee Hemp am Aasch, ävver La Paloma flöte

Bonn · In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir mit Unterstützung von Dialektsachverständigen bedeutungstiefe Redewendungen.

Kein Hemd am Hinterteil, aber La Paloma flöten.

Kein Hemd am Hinterteil, aber La Paloma flöten.

Foto: GA-Grafik

Ganz spannend wird das Thema Redensarten, wenn eine Variante vorbeigeflogen kommt, die überörtlich, ja praktisch überall bekannt ist. Das ist der Fall bei „Kee Hemp am Aasch, ävver La Paloma flöte“. Die wörtliche Übersetzung ins Hochdeutsche ist schnell gemacht: Kein Hemd am Hinter, aber La Paloma pfeifen. Wer sich ein bisschen in anderen Landstrichen umhört, der erfährt: Der Satz ist nicht auf das Rheinland beschränkt und existiert in verschiedenen Spielarten auch anderswo. Beispiele: Kein Arsch in der Hose, aber La Paloma pfeifen; Keinen Zahn im Mund, aber La Paloma pfeifen. Es geht sogar noch ausführlicher: Keine Zähne im Maul, aber in der Kirche La Paloma pfeifen.

Ein wichtiger Bestandteil der Bedeutung scheint die derbe Ausdrucksweise zu sein. Hier ist also jemand vorzugsweise aus der unteren Gesellschaftsschicht, der – sagen wir mal – eine vornehme Ausdrucksweise meidet und dem es auch sonst an einigem fehlt, der aber sich aber dennoch ungeniert Gehör verschafft. Und zwar mit einem Lied, das als das bekannteste Lied der Welt gilt. Ein Lied, das von der großen weiten Welt erzählt und auch selbst die große weite Welt eroberte.

Es stammt von dem spanischen Komponisten Sebastián de Yradier und wurde – so vermuten Historiker – 1863 im Nationaltheater von Mexiko zum ersten Mal gesungen. Es gibt ungezählte Versionen, auf Deutsch hat es sich zu einem Seemannslied gewandelt, gesungen unter anderem von Hans Albers und Freddy Quinn. Inzwischen steht es auch im Guinness-Buch der Rekorde, nachdem es 2004 zum 815. Hafengeburtstag in Hamburg mit 88 600 Besuchern den Weltrekord im Chorsingen aufstellte. La Paloma steht also für Weltgeltung und Weltrekord.

Wahrlich ein Gegenpol zum armen, hemdlosen Zeitgenossen, der durch seine Zahnlücke pfeifen muss. Eine niedliche Alternative ist übrigens: Keine Haare auf dem Kopf, aber einen Kamm in der Tasche. In allen Fällen ist mit dem Satz ein großer Blender oder Aufschneider gemeint, der im Grunde nichts zu bieten hat. Im Rheinischen könnte man auch sagen: „Der es net esu wie er doher jeht“. Letztlich ist es die dringende Warnung, sich nicht im Charakter eines Menschen zu täuschen.

Haben auch Sie einen rheinischen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns unter rheinisch@ga.de. Die „Rheinischen Redensarten“ aus der wöchentlichen Kolumnenserie des General-Anzeigers sind als Buch erschienen und im Handel zu haben. Das gedruckte Werk hat die Edition Lempertz verlegt, ISBN: 978-3-96058-211-3, es kostet 9,99 Euro.

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