Gaststätten im Rhein-Sieg-Kreis Kneipen in der Region sterben aus

Rhein-Sieg-Kreis · Trotz positiver Beispiele wie der "Linde" in Sankt Augustin-Hangelar, hat seit 2007 jede sechste Gaststätte im Rhein-Sieg-Kreis geschlossen. Die IHK Bonn/Rhein-Sieg sieht dafür vor allem einen Grund.

Gastronomen mit Erfolg: In der Kneipe „Zur Linde“ in Hangelar bietet Ferdinand Müller mit seiner Frau Manuela auch besondere Veranstaltungen wie die Schlagerparty an.

Gastronomen mit Erfolg: In der Kneipe „Zur Linde“ in Hangelar bietet Ferdinand Müller mit seiner Frau Manuela auch besondere Veranstaltungen wie die Schlagerparty an.

Foto: Benjamin Westhoff

In Hangelar ist die Welt offenbar noch in Ordnung. Sechs Restaurants, mehrere Imbisse, eine Eisdiele und eine Kneipe alleine im Ortskern. Ferdinand Müller betreibt mit der „Zur Linde“ so etwas wie die klassische Eckkneipe. Wieso läuft's bei ihm? „Wegen unserer Gastfreundschaft“, sagt er spontan. Doch das allein wird es nicht sein. „Wir haben eine treue Stammkundschaft. Das macht viel aus. Außerdem bieten wir immer wieder besondere Veranstaltungen wie die Schlagerparty an“, sagt Müller. „Außerdem haben wir Sky und klimatisierte Räume.“

Die „Linde“ im Sankt Augustiner Ortsteil Hangelar gehört zu den positiven Ausnahmen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlägt Alarm: Innerhalb von zehn Jahren haben 143 Gastro-Betriebe im Rhein-Sieg-Kreis geschlossen. Zwischen 2007 und 2017 hat damit jede sechste Gaststätte, Kneipe oder Eisdiele zugemacht. Aktuell gibt es der Gewerkschaft zufolge 664 gastronomische Betriebe im Rhein-Sieg-Kreis. Die NGG Köln beruft sich hierbei auf Zahlen des Statistischen Landesamts – und warnt vor einem weiteren Kneipensterben.

„Vom Fußballabend in der Bar bis zum Grünkohlessen mit dem Sportverein – die Gastronomie steht für ein Stück Lebensqualität“, sagt NGG-Geschäftsführerin Manja Wiesner. Mit den Betriebsschließungen stehe nicht nur ein wichtiger Teil der Alltagskultur auf dem Spiel. Es seien auch etliche Arbeitsplätze in der Region in Gefahr.

Ein Grund für die zunehmende Schließung von Kneipen und Restaurants seien die harten Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung des Personals, sagt auch Gewerkschaftssekretär Elmar Jost. Bis Ende vergangenen Jahres gab es eine allgemeine Verbindlichkeit bei der Bezahlung von Küchen- und Servicekräften in der Branche. Nachdem der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) diesen aber gekündigt habe, hätten sich die Arbeitsbedingungen noch mal verschärft, meint der Gewerkschafter. „Es sind immer weniger Menschen bereit, zehn und mehr Stunden in der Küche zu stehen oder im Service zu arbeiten. Das ist Arbeit, die schlaucht, und noch dazu schlecht bezahlt wird.“ Andere Gründe sind aber auch die schwierige Nachfolgefindung.

"Zur alten Post" und "Haus Pickenhan" in Hennef ohne Nachfolger

So war es beim Hotel-Gasthaus „Zur alten Post“ in Hennef-Uckerath, das Rüdiger und Annemie Duwensee Ende vergangenen Jahres geschlossen haben – im Alter von 78 Jahren. „Irgendwann muss Schluss sein. Ich will schließlich nicht aus der Küche rausgetragen werden“, hatte Annemie Duwensee gesagt. „Es wird immer schwerer, ein solches Gasthaus zu betreiben.“ Und daher werde es auch immer schwerer, Nachfolgepächter zu finden.

Deswegen musste auch die Gaststätte „Haus Pickenhan“ an der Dambroicher Straße in Hennef-Rott schließen. Jörg Noll und sein Bruder Bernd hatten das Haus unter Mithilfe von Mutter Josefine 30 Jahre lang betrieben. Und es war gut gelaufen. Vereine nutzten den Saal für Veranstaltungen, und die gelernten Köche Jörg und Bernd Noll lockten mit gutbürgerlicher Küche. Dazu gab es einen Biergarten und eine Bundeskegelbahn. Seit März ist das alles Geschichte. Das Haus ist abgerissen. Einen Pächter fand man nämlich nicht. „Niemand tut sich das heute noch an, einen gastronomischen Betrieb zu übernehmen“, sagte Jörg Noll. Die Brüder hatten kaum mehr als eine Woche Urlaub im Jahr gemacht.

Einziger Gaststätte in Todenfeld blieben die Gäste weg

Mit Herzblut hatten Erna und Alois Röttgen ihre Gaststätte in Rheinbach-Todenfeld im Nebenerwerb geführt. Im Hauptberuf arbeitete Alois Röttgen zunächst als Landwirt, später bei der Post. Schon seit 2006 ist die einzige Gaststätte in dem aktuell 319 Einwohner zählenden Dorf geschlossen. „Als mein Vater 80 Jahre wurde, haben meine Eltern aufgehört“, erinnert sich Sohn Rainer Röttgen. Aus Altersgründen und mangels Nachfolger.

Auch seien die Gäste immer weniger geworden, wahrscheinlich auch, weil seine Eltern die Gaststätte nur noch tageweise geöffnet hatten, vermutet er. Dass er selbst oder seine Schwester die Nachfolge antreten würden, sei ausgeschlossen gewesen. Auch für einen möglichen Pächter habe der Umsatz in der Gaststätte nicht ausgereicht. „Da müsste man Idealist sein“, sagt Rainer Röttgen.

Auch Bornheim-Brenig ohne Kneipe

Jahrzehntelang genossen die Breniger ihr Feierabendbierchen „Op de Kant“ im Gasthaus Fußwinkel auf dem Ploon gegenüber der Pfarrkirche Sankt Evergislus. Es ermöglichte den Dualismus Kirche/Kneipe, also den Frühschoppen nach der Sonntagsmesse, auf perfekte Art und Weise. Um die Jahrtausendwende schloss der Pächter die Wirtschaft in Bornheim-Brenig. Übrig blieb der Dorfsaal, den der neue Besitzer Jens Streifling, damals Gitarrist bei BAP, heute bei den Höhnern, für Konzerte öffnete.

Aber eine klassische Dorfkneipe, die gibt es nicht mehr in dem 2400-Einwohner-Dorf. „Wenn man am Wochenende ein Bier trinken will, muss man runter nach Bornheim“, sagt der Breniger Ortsvorsteher Wilfried Hanft. Inzwischen hat ein kleines Café aufgemacht, das jedoch eine ganz andere Atmosphäre bietet. Hanft bedauert, dass seit Langem eine Kneipenkultur im Dorf fehlt.

"Am Ziepchen" in Rhöndorff schloss nach mehr als 100 Jahren

Gastronomisch hat Bad Honnef-Rhöndorf jede Menge zu bieten. Gleich mehrere Restaurants, Cafés wie das Traditionshaus Profittlich, Weinlokale – das Angebot kann sich sehen lassen. Trotzdem traf es die Rhöndorfer hart, als mit der Gaststätte „Am Ziepchen“ die einzige klassische Thekenwirtschaft dichtmachte – nach mehr als 100 Jahren. Über Jahrzehnte hatte ein beliebtes Wirtsehepaar die Gaststätte betrieben, aus Altersgründen gab es den Betrieb auf. Im Oktober 2016 gingen die Lichter aus, und dabei ist es bisher geblieben. Das Inventar wurde verkauft.

Zwar hat die Katholische Landjugendbewegung (KLJB), der das denkmalgeschützte Haus gehört und die nebenan das Gebäude ihres Bundessitzes saniert, die grundsätzliche Bereitschaft erklärt, erneut als Gaststätte zu verpachten. Aber dafür wäre einiges an Investitionen nötig, zumal für eine neue Konzession. „Die Auflagen für eine Gaststätte sind hoch“, so KLJB-Geschäftsführer Artur Jez. In der Tat: Die Liste der Gesetze und Regelungen, die auch die Räume betreffen, ist lang, von Brandschutz und Baunutzungsverordnung bis zur Lebensmittelhygieneverordnung. Zunächst soll die noch laufende Renovierung der KLJB-Räume abgewartet werden, so Jez. Die Rhöndorfer geben die Hoffnung nicht auf, dass ihre Dorfkneipe wieder eine Chance bekommt.

"Op de Hüh" in Bockeroth komplett abgerissen

Unumkehrbare Fakten sind hingegen in Königswinter-Bockeroth geschaffen: Die ehemalige Gaststätte „Op de Hüh“ ist dem Erdboden gleichgemacht. An Karneval 2017 war die alte Dorfkneipe mit ihrem Saal für rund 270 Personen zum letzten Mal geöffnet. Mit dem Leertrinken der Bierleitungen war damals die Ära des Gasthauses Friedrichshöhe, bekannt als „Op de Hüh“, zu Ende gegangen – ein herber Verlust für den Ort und die Vereine.

Doch als der Pächter, der das Gasthaus in den Jahren zuvor noch bewirtschaftet hatte, aufhörte, wurde kein Nachfolger gefunden, trotz Bemühungen der Eigentümer. Jetzt wird auf dem Areal gebaut.

Auch in Wachtberg mehrere Orte ohne eigene Kneipe

Gleich von mehreren Stationen in Wachtberg kann Michael Risch berichten. 2001 machte er sich selbstständig und betrieb bis 2005 an der Rathausstraße in Berkum das „Gasthaus Ländchen“. „Als mir die Pacht zu hoch wurde, habe ich mich umorientiert“, erzählt der 54-Jährige. Heute stehe an gleicher Stelle ein Wohnhaus.

Risch zog es nach Gimmersdorf, seine „Dorfstube im Ländchen“ lief gut. „Ich hab' Familienfeiern ausgerichtet, auch die Kegelbahn war gefragt“, so der Pächter. Allerdings gehörte zu dem Ensemble eine Wohnung. „Und als ich mein Elternhaus in Niederbachem 2010 übernommen habe, habe ich mich nach Ließem orientiert.“ Dort war laut Risch der Wirt gerade pleite gegangen. Gemeinsam mit seiner Frau Malgorzata arbeitet er seitdem in der Gaststätte „Zur Schüür“.

Ein wesentliches Erfolgsrezept sind laut Risch die Schnitzel seiner 48-jährigen Frau. Dartverein und Kegler haben bei den beiden eine feste Anlaufstelle. Dennoch gibt es ein „aber“. „Im Sommer ist es schon schwierig, da viele Leute mittlerweile Eigentum besitzen und sich im heimischen Garten mit Freunden zum Grillen treffen statt in die Kneipe zu gehen“, meint der Pächter. Deshalb hat er sich ein zweites Standbein aufgebaut. Ebenfalls mit seiner Frau betreibt er den Kiosk im Melbbad. „Ich glaube, mittlerweile bin ich der dienstälteste Gastwirt in Wachtberg, der nicht im Eigentum sitzt“, sagt Risch.

Betrachtet man die reinen Zahlen, sieht es in Wachtberg gar nicht so dramatisch aus. Aktuell listet die Gemeinde 21 Gaststätten, vor 20 Jahren waren es 25. Durch das Einkaufszentrum in Berkum gebe es sogar einige neue Betriebe, wie Wachtbergs Pressesprecherin Margrit Märtens mitteilte. „Auffällig ist jedoch, dass es früher in jedem Ortsteil mindestens eine Gaststätte gab, was heute nicht mehr der Fall ist“, so Märtens weiter. Völlig ohne Gaststätte stünden derzeit die Ortschaften Arzdorf, Fritzdorf, Gimmersdorf, Holzem, Oberbachem, Werthhoven und Züllighoven da.

IHK macht fehlendes Wissen mitverantwortlich

Gewerkschaftssekretär Elmar Jost sieht auch im zunehmend fehlenden betriebswirtschaftlichen Know-how einen Grund für viele Schließungen. Das bestätigt auch Michael Pieck, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg. „Die Einstiegshürden sind offenbar so gering, dass sich in dieser Branche immer mehr Menschen versuchen“, sagt er. Wer einen gastronomischen Betrieb eröffnen und alkoholische Getränke ausschenken will, muss dem Ordnungsamt nachweisen, dass er über lebensmittelrechtliche Vorschriften und Hygienebestimmungen unterrichtet ist. Diese Unterrichtungsveranstaltung, im Volksmund „Frikadellenschein“ genannt, organisiert und bietet die IHK an.

„Diese alleine reicht aber nicht, um eine Gastronomie erfolgreich zu führen“, sagt Pieck. „Leider nutzen viele unsere Angebote für Existenzgründer nicht.“ Die Kostenseite gelte es, wie in jedem Betrieb, gut zu kalkulieren. „Die Mieten und Pachten in unserer Region sind sehr hoch. Dazu kommen Personalkosten sowie gestiegene Ausgaben für Heizung und Energie. Diese lassen sich mit der guten alten Eckkneipe nicht decken.“

In urbanen Strukturen wie in Siegburg oder Sankt Augustin ist von einem Kneipensterben keine Rede, bestätigt Augustins Stadtsprecherin Eva Stocksiefen. Allerdings beobachtet IHK-Sprecher Pieck eine starke Zunahme von Systemgastronomie. „Wohin man schaut, gibt es Hamburger-Läden“, sagt er und verweist auf das veränderte Freizeitverhalten. „So, wie es einmal war, dass man nach der Arbeit noch an der Ecke ein Bierchen getrunken hat, das ist eben nicht mehr“, so Pieck.

Früher sei das tatsächlich anders gewesen, erinnert sich auch Rainer Röttgen. Die Gaststätte seiner Eltern sei ein Treffpunkt für das Dorf gewesen, zum Beispiel zum sonntäglichen Frühschoppen.

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