Konzert in Köln 13.500 Fans erleben einen großen Abend mit Neil Young

Köln · Mit "A Day in the Life" von den Beatles als Einstimmung vom Band kann's eigentlich nur gut werden. Bei der Deutschlandhymne stehen sie dann alle stramm: Die Bühnencrew, die offenbar in Anspielung auf das Alter der Musiker in weißen Kitteln als medizinisches Personal auftritt, außerdem Neil Young (67) und die Crazy Horses, der Gitarrist Frank "Poncho" Sampedro (64), Billy Talbot (69) am Bass und der Schlagzeuger Ralph Molina (70).

 67 Jahre und kein bisschen leise: Neil Young, beweglich und inspiriert, im Kölner Konzert.

67 Jahre und kein bisschen leise: Neil Young, beweglich und inspiriert, im Kölner Konzert.

Foto: Thomas Brill

Der Beatlessong endet in einer heftigen Streicherpassage, zerschellt an einer kompakten Geräuschmauer. Eine Vorlage für den Krachbaumeister Young, der mit Riffs und Rückkoppelungen genau solche Mauern aufbaut und dann genüsslich einreißt.

Mit "Love and only Love" starten die vier ewigen Hippies ihr tolles, denkwürdiges Konzert in der Kölner Lanxess-Arena. Liebe und Freiheit, Weltverbesserung und Weltschmerz - um diese Felder kreisen sie seit einem halben Jahrhundert. In der grandiosen neuen CD "Psychedelic Pill" kommen weitere Aspekte dazu: das Scheitern, der Verlust der Illusion, eine tiefe Melancholie.

Gleich als drittes Lied kommt dumpf grollend die Titelnummer des Albums auf Touren. Man sieht förmlich, wie sich das von dem alten Mann besungene Party-Girl im Glitzerkleid im Tanz dreht, "wie eine psychedelische Pille von einem Doktor, den ich nicht finden kann". Dann pfeifen Young und Sampedro das Thema zu dem fantastischen "Walk like a Giant" - auch vom neuen Album -, haben bald Mühe, sich gegen den anschwellenden Lärmbombast verzerrter, jaulender Gitarrenriffs und grummelnder Bassläufe durchzusetzen.

Youngs Stimme arbeitet sich gequält und aggressiv durch den grandiosen Klangbrei, schreit den Frust eines Mannes heraus, der als Gigant startete, um die Welt zu retten, und nun hilflos wie ein Blatt im Strom dahintreibt, immer noch von Liebe und Hoffnung träumt. Nach fast 20 gefühlt endlosen, wunderbar-lärmigen Minuten, gegen die ein startender Düsenjet wie ein Cembalo klingt, kollabiert der Song, entlädt sich in einem gewaltigen Gewitter, Papier fegt über die Bühne, "No rain, no rain, no rain"-Rufe.

Die Zeitreise ist beim Geist von Woodstock angekommen, Young singt gegen das Ozonloch an, steigt dann, von den 13.500 Besuchern bejubelt, in ein Akustik-Set mit Gitarre und Mundharmonika ein: "Red Sun", "Heart of Gold", Dylans "Blowin' in the Wind", am Piano dann die bittere Ballade "Singer without a Song". Jetzt hat er alle in der Arena eingefangen, mit einer schönen Stimme, die alles Gepresste und Aggressive abgeschüttelt hat, mit Liedern, die jeder Anwesende mit eigenen Emotionen füllt.

"Ramada Inn" vom neuen Album führt in einer 15-Minuten-Fassung mit einem gedehnten, wummernden, basslastigen Riff als Grundierung und einer nicht enden wollenden Reihe von Gitarren-Soli in die Untiefen einer in Routine erstarrten und nur noch in Formeln wie "He loves her so, She loves him so" existierenden Ehe.

Ein packendes, quälend langes Drama. Der Kritiker der "taz" schrieb über das Konzert auf der Waldbühne: "Die Instrumentalparts sind lang genug, um es zum Getränkestand und zurück zu schaffen, ohne was zu verpassen." Das war vielleicht in Berlin so, in Köln wollte man keine Sekunde missen, es passierte Wunderbares.

Mit der Mitsinghymne "Cinnamon Girl" und einem "Thank You, Folks", danke, Leute, ging Neil Young in die Schlussphase. Der fetzige Rock-Oldie "Mr. Soul" aus der Buffalo-Springfield-Ära durfte da ebenso wenig fehlen wie "Hey Hey, My My (Into the Black)", das treibende, trotzige Plädoyer für den unsterblichen Rock'n'Roll. Neil Young singt "It's better to burn out than to fade away", es ist besser auszubrennen als zu verblassen, ein Zitat, das Kurt Cobain in seinen Abschiedsbrief schrieb, bevor er sich 1994 in den Kopf schoss.

Neil Young, mit seinen 67 Jahren sprühend vor Vitalität, beweglich und inspiriert, ist an diesem Abend alles in einem: Woodstock-Blumenkind und "Godfather of Grunge", düsterer Prophet und unerschütterlicher Propagandist für die Kraft der Liebe. Die Kölner danken es ihm mit langem Applaus und lassen ihn erst nach drei Zugaben - "Surfer Joe and Moe the Sleaze", "Roll Another Number (For the Road)", "Everybody Knows This Is Nowhere", gehen.

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