GA-Serie "Rheinische Redensarten" All Leeder losse sich net flöte

In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir mit Unterstützung von Mundartsprechern bedeutungstiefe Redewendungen.

Eine besonders interessante, weil zweischneidige Variante der Rheinischen Redensarten hat uns Mundartsprecher Gottfried Müller aus Walberberg ans Herz gelegt. Sein Lieblingssatz lautet: „All Leeder losse sich net flöte!“ Das dürfte von Seiten der Übersetzung ins Hochdeutsche keine Schwierigkeit sein: Alle Lieder lassen sich nicht flöten.

Bei dieser Satzstellung liegt die Betonung auf dem Wort „alle“. Und damit rückt uns ein Problem dieser Zeit näher. Denn im übertragenen Sinne kann darunter verstanden werden, dass man beileibe nicht alle Dinge tun kann, die man gerne tun möchte. Gerade in Zeiten der digitalisierten Welt ist das Angebot, sich zu betätigen, so groß, dass es kaum möglich ist, sich zu entscheiden. Es gibt Menschen, die brechen unter dieser Last mit einer Burnout-Diagnose zusammen, weil sie zu viele Eisen im Feuer hatten. Wörtlich verstanden, liegt die Aussage auf der Hand. Man kann nicht alle Lieder gleichzeitig pfeifen, und man kann sie auch nicht alle nacheinander pfeifen.

Deshalb sollte man sich ein Lied aussuchen, das einem gut gefällt. Besonders nahegehend hat dieses Problemfeld schon der Dichter Franz Kafka in seiner „Kleinen Fabel“ von 1920 formuliert: „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Einen ganz anderen Ansatz sieht Dialektsprecher Müller. So, wie der Satz in seiner Familie angewandt und verstanden wird, müsste er eigentlich so formuliert werden: Nicht alle Lieder lassen sich flöten. Da liegt die Betonung auf: Nicht alle Lieder. Das verweist auf diplomatische Art darauf, dass jemand Herrschaftswissen besitzt, das er nicht mit jedem teilen möchte, kann oder darf. Da hat es die Bedeutung: Man kann nicht alles sagen, was man weiß. Es ist also ein Satz, der aus der höheren Diplomatie oder aus der Welt der Geheimdienste stammen könnte.

Haben auch Sie einen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns an rheinisch@ga.de.

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