Von "Team Wallraff" aufgedeckt Behinderte in Leverkusen wurde wie Hund behandelt
Leverkusen · 2017 wurde in der RTL-Sendung "Team Wallraff" publik, dass Betreuer in einer Behindertenwerkstatt in Leverkusen-Bürrig Behinderte misshandeln. Eine Familie berichtet, wie es ihr heute geht.
Millionen Fernsehzuschauer sahen Ende Februar 2017, wie Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt in Leverkusen-Bürrig sich über eine junge Frau lustig machten, sie demütigten und schikanierten. Auch die Eltern der damals 20 Jahre alten Noemi sahen die RTL-Reportage, die das „Team Wallraff“ unter anderem in einer Werkstatt des Vereins „Lebenshilfe“ gedreht hatte. Betreuer riefen das Mädchen, das nicht sprechen und nicht sicher laufen kann, wie einen Hund zu sich oder ließen Noemi vorsätzlich stolpern. In der Reportage ist zu sehen, wie sich die zierliche Frau mühsam aufrafft und niemand ihr hilft. Stattdessen wird sie verspottet: „Sie hat zwei Füße. Zwar nicht zu glauben, ist aber so“, sagt ein Betreuer.
„Wir waren damals wie gelähmt und hatten ein furchtbar schlechtes Gewissen unserer Tochter gegenüber, weil wir der Einrichtung vertraut hatten“, sagt Noemis Mutter Monika Faßbender heute. Im Film ist unter anderem zu sehen, wie ein Betreuer Noemi die Augen mit einem Halstuch verbindet, das sie trägt, weil sie ihren Speichelfluss nicht kontrollieren kann. Das Tuch hatte sich gelöst und das Mädchen hatte es dem Mann gereicht, damit er ihr hilft, es wieder umzubinden. „Am meisten weh getan haben uns aber die Szenen, in denen sie wie ein Hund behandelt wird, diese Respektlosigkeit hat uns geschockt“, sagt Monika Faßbender.
Eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen der Behindertenwerkstatt muss sich am Donnerstag vor dem Amtsgericht Leverkusen wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft der 44-Jährigen vor, sich mit vollem Gewicht auf Noemi gesetzt zu haben, um sie zum Stillsitzen zu zwingen und die Gegenwehr und die Schreie des Mädchens ignoriert zu haben. Auch diese Szene ist in der TV-Sendung zu sehen.
Fernsehreporterin gab sich als Praktikantin aus
Noemi ist heute 22 Jahre alt und arbeitet in einer Behindertenwerkstatt in Bergisch Gladbach. „Anfangs waren wir sehr vorsichtig und dauernd dort“, sagt ihre Mutter. „Aber sie ist in einer sehr guten Gruppe, sie fühlt sich gut, macht Fortschritte, und die Betreuer sind sehr herzlich im Umgang mit allen.“
Die Fernsehreporterin, die sich 2015 als Praktikantin ausgegeben und unbemerkt in der Leverkusener Werkstatt gefilmt hatte, meldete sich damals gleich nach der Recherche anonym bei Noemis Familie, um sie über die Vorgänge in der Einrichtung zu informieren. „Wir haben daraufhin mit der Leitung und dem Gruppenleiter gesprochen und gesagt, dass wir uns Sorgen um unsere Tochter machen. Sie haben es aber geschafft, uns zu beruhigen“, sagt Monika Faßbender.
Die Aufnahmen der Reporterin kannten die Eltern da noch nicht. Noemi war damals abends oft „schlecht drauf und nölig“, wie ihre Mutter sagt. Auch deswegen suchten die Eltern das Gespräch. „Sie hat gerade eine schwere Phase, aber das wird wieder“, sei ihnen gesagt worden. Also brachten sie Noemi weiter in die Schwerbehindertengruppe.
Eltern und Freunde der Familie verfolgen Prozess als Zuschauer
Die Geschäftsführung der Leverkusener Werkstatt hatte nach der Ausstrahlung der Reportage gesagt, nichts von den Vorgängen gewusst zu haben. Der Sender habe sie erst im Januar 2017 kurz vor der Ausstrahlung über die Recherche informiert. Die Szenen waren aber schon zwei Jahre vorher gedreht worden. Das Team um den Journalisten Günter Wallraff hatte damals argumentiert, die Recherchen hätten nicht weiterlaufen können, wenn die Ergebnisse früher publik gemacht worden wären.
Noemis Eltern und Freunde der Familie werden den Prozess als Zuschauer verfolgen. „Ich hoffe sehr, dass Recht gesprochen wird im Interesse der Behinderten“, sagt Monika Faßbender. Ihr gehe es nicht nur um ihre Tochter, sondern auch um andere schwerbehinderte Menschen, die wie Noemi nicht sprechen und sich nicht wehren können. „Wenn es die Undercover-Recherche nicht gegeben hätte, wüssten wir auch heute noch nichts davon.“
Die Kölner Staatsanwaltschaft hatte noch zwei weitere Betreuer der Lebenshilfe angeklagt. Das Amtsgericht sah aber keinen hinreichenden Tatverdacht.