Fall von 1987 Freispruch für Täter im Kölner „Cold Case“-Prozess

Köln · Nachdem sich 1987 zwei Männer auf einer Kneipentour in Köln kennenlernen, wird am nächsten Morgen der ältere schwer verletzt gefunden. 36 Jahre später ist ein Gericht überzeugt, den Täter vor sich haben. Der geht aber dennoch als freier Mann nach Hause.

 Der Angeklagte (r.) mit seinem Anwalt bei einem Prozesstag im März.

Der Angeklagte (r.) mit seinem Anwalt bei einem Prozesstag im März.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Mitten in der Urteilsbegründung unterbricht der Vorsitzende Richter seine Ausführungen und wendet sich an den sichtlich gerührten Angeklagten: „Geht's?“, fragt er. Bevor er dem Richter zunickt, wischt sich der Angesprochene mit den Händen Tränen der Erleichterung aus den Augen und seufzt tief.

Der Grund für die Erleichterung des 56-Jährigen: Der erste „Cold Case“-Prozess am Kölner Landgericht, in dem ihm ein versuchter Raubmord vorgeworfen wurde, endete am Mittwoch mit einem Freispruch. Und das, obwohl das Gericht es als erwiesen sah, dass der Mann vor mehr als drei Jahrzehnten einen Mann geschlagen und schwer verletzt hatte - und er die Schläge im Prozess schließlich auch einräumte.

Köln-Ehrenfeld: Mann soll 50-Jährigen aus Habgier niedergeschlagen haben

Vor ziemlich genau 36 Jahren, in der Nacht auf den 25. Mai 1987, hatte der Angeklagte bei einer Kneipentour im Kölner Stadtteil Ehrenfeld einen 50-Jährigen kennengelernt, in dessen Wohnung die Tour in den frühen Morgenstunden endete. Dort - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - habe der Angeklagte den Mann aus Habgier niedergeschlagen, um an mehrere hundert Deutsche Mark zu kommen. Bis zuletzt hatte die Staatsanwaltschaft an dem Vorwurf des versuchten Raubmords festgehalten und auf eine Verurteilung des zum Tatzeitpunkt 20-Jährigen zu fünf Jahren Haft nach Jugendstrafrecht gedrängt.

„Letztlich ging es um die Frage: Versuchter Mord, ja oder nein?“, fasste der Vorsitzende Arne Winter den Fall zusammen. Aufgrund der langen Zeit zwischen Tat und Prozess waren Verurteilungen wegen anderer Tatvarianten wegen Verjährung ausgeschlossen. Der Vorsitzende machte aber deutlich, dass der Angeklagte der Täter war. In der Urteilsbegründung hieß es außerdem: Wäre der Prozess früher verhandelt worden, wäre der Angeklagte von der Kammer wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen worden.

Cold Case aus Köln: Mordversuch aus Habgier nicht feststellbar

Einen Mordversuch aus Habgier, so Winter weiter, „können wir nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen“. Bis zuletzt seien aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen Zweifel geblieben, ob und wenn ja, wie viel Bargeld das Opfer in seiner Wohnung aufbewahrt habe. Darum sei der Angeklagte freizusprechen gewesen, da das Mordmerkmal der Habgier nicht bejaht werden könne. Von einer „Niederlage für den Rechtsstaat“ wollte Winter aber nichts wissen: Immerhin sei der Fall nun aufgeklärt. Das Signal, das von dem Prozess ausgehe, laute: „Täter schwerster Straftaten können in Deutschland niemals sicher sein.“

Der Angeklagte hatte bis kurz vor Ende des Prozesses zum Vorwurf geschwiegen und erst am drittletzten Verhandlungstag über seinen Verteidiger sein Schweigen gebrochen. Demnach hatte der Angeklagte in jener Nacht den 50-Jährigen kennengelernt. Nach einer gemeinsamen Kneipentour seien die beiden Männer noch in die Wohnung des späteren Opfers gegangen, um weiter Bier zu trinken. Als der damals 20-Jährige die Wohnung habe verlassen wollen, sei der 50-Jährige aber übergriffig geworden. „Plötzlich packte er mir mit seiner Hand an den Po und sagte, ich solle mein Oberteil ausziehen“, hieß es. Als er trotzdem die Wohnung habe verlassen wollen, sei er von dem 50-Jährigen gegen einen Schrank gestoßen worden. Da habe der Angeklagte Panik bekommen, aus dem Schrank den erstbesten Gegenstand gegriffen und damit „zwei- oder dreimal auf den Kopf“ geschlagen. Das Opfer starb Jahr 2013 eines natürlichen Todes, hatte aber bis zum Lebensende an den Folgen der Tat zu leiden.

Der Angeklagte war im Oktober 2022 nach einem DNA-Treffer von der Polizei festgenommen worden. Eine erneute Überprüfung des Pokals aus der Ehrenfelder Wohnung des Opfers hatte die Kölner „Cold Case“-Ermittler-Gruppe zu ihm geführt.

Am Mittwoch verließ der 56-Jährige das Gericht nach rund sieben Monaten in Untersuchungshaft als freier Mann. Eine Entschädigung für die U-Haft sprach das Gericht dem Mann jedoch nicht zu, weil er eben der Urheber der schweren Verletzungen des Opfers gewesen sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Revision einlegen wird.

(dpa)
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