Das ist Rheinisch Lommer jet fringse jonn!

Rheinland · Der GA erklärt kurz und knapp alles, was man über den rheinischen Dialekt wissen muss. Immer mit dabei eine rheinische Redensart. Diesmal: Fringsen.

 Lass uns was stibitzen gehen!

Lass uns was stibitzen gehen!

Foto: Ga-Grafik/GA-Grafik

Der Rheinländer ist generell ein gesetzestreuer Katholik. So ist ihm auch das siebte Gebot heilig: Du sollst nicht stehlen! Das ist durchaus eine anerkannte Regel des Zusammenlebens. Deshalb beherzigen es viele Menschen aus sich heraus. Und für diejenigen, die Schwierigkeiten damit haben, ist die staatliche Gewalt berechtigt, den Grundsatz im Falle einer Zuwiderhandlung zu sanktionieren.

Nun gibt es aber bei Gesetzen immer wieder Grauzonen. Und jede verpflichtende Regel franst am Rand immer etwas aus. So gibt es in den Rechtsbegriffen die Formulierung des Mundraubes. Die bezeichnet den Diebstahl von Nahrungsmitteln in geringer Menge zum direkten Verbrauch. Beispiel: Man kommt an einem Erdbeerfeld vorbei, wird vom Appetit überwältigt und genehmigt sich eine Frucht. Das gilt als allgemein toleriert. Schwieriger wird es schon, wenn wir das Ereignis in einen Supermarkt verlegen und der potenzielle Kunde unentgeltlich etwa einen Erdbeerjoghurt verspeist. Man darf erwarten, dass dieser Versuchsaufbau weit weniger Verständnis hervorrufen wird.

Es geht ums Stibitzen

Noch einmal anders ist die kirchlicher Perspektive - siehe: Zehn Gebote. Denn darin erreicht die Anweisung eine grundsätzlichere ethische Dimension. Und genau an dieser Stelle kommt unsere rheinische Redensart ins Spiel: „Lommer jet fringse jonn.” Wir fallen bei der Übersetzung ins Hochdeutsche jetzt mal mit der Tür ins Haus und lösen auf: Lass uns etwas stibitzen gehen! Wir sagen bewusst nicht „stehlen”, weil das „Fringsen” dereinst sogar eine kirchliche Legitimierung erfuhr.

 Die Büste von Joseph Kardinal Frings steht in der Kölner Innenstadt.

Die Büste von Joseph Kardinal Frings steht in der Kölner Innenstadt.

Foto: picture-alliance/ dpa/Oliver Berg

Es war Silvesterabend in Köln, der 31. Dezember 1946. Der Zweite Weltkrieg war verloren. Es gab kaum etwas zu essen, zu trinken, und Heizmaterial war auch Mangelware. Da hielt der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings in der Riehler Sankt-Engelbert-Kirche seine Predigt zum Jahresende. Es sollte eine Programmatik werden, die sich zum Sprichwort entwickelt. Er erwähnte die Zehn Gebote und besonders das siebte. Und er fügte an: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.” Im Kern ging es ihm dabei um die unentgeltliche Beschaffung von Kohlen zum Heizen.

Eine echte Gewissensentlastung

Das war zugegebenermaßen inhaltlich schon ein starkes Stück. Und mit dieser Predigt war ein neues Tätigkeitswort geboren, das “Fringsen”. Es war der kirchlich legitimierte Mundraub. Dagegen konnte keine Staatsgewalt angehen. Und es war eine Gewissensentlastung für die damals gebeutelten Rheinländer. Mer muss halt och jönne künne!

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