Serie Kennzeichen SU „Der Naturschutz darf nicht alles blockieren“

Rhein-Sieg-Kreis · Gewerbeentwicklung, Verkehrskonzepte, Baulandausweisung – Aufgaben gibt es auch 2017 genug für die Politik im Rhein-Sieg-Kreis. Dabei sind immer mehr auch interkommunale Absprachen gefragt. Bürgermeister-Sprecher Stefan Raetz über die wichtigsten Aufgaben für das neue Jahr.

Welche Herausforderungen stellt die Wohnraumbedarfsanalyse, nach der bis 2030 im Rhein-Sieg-Kreis 30 000 Wohnungen fehlen, an die Kommunen?

Stefan Raetz: Erst einmal die Suche nach aktivierbarem Bauland. Zunächst nach Baulücken und mindergenutzten Flächen. Dann muss aber auch Bauland ausgewiesen werden. Dabei darf die Funktionsfähigkeit der vorhandenen technischen und sozialen Infrastruktur nicht außer Acht gelassen werden. Grundstückseigentümer müssen mit ihrer Eigentumsverpflichtung stärker in den Fokus genommen werden. Der Naturschutz darf nicht alles blockieren. Man muss einen vernünftigen Ausgleich anstreben.

Wie könnte die Abstimmung untereinander bei der Baulandentwicklung funktionieren?

Raetz: Wir arbeiten bereits dran. Bonn und das Umland. Im Rahmen des Wettbewerbs „BonnUmland“ werden Ideen für eine abgestimmte Baulandentwicklung erarbeitet. Die Budgetierung der Wohnungsbauförderung in der Region ist seit Jahren erfolgreich. Also: Der Wille ist da. Aber wir werden an der Umsetzung gemessen.

Was die Unterbringung von Flüchtlingen angeht, hat sich 2016 die Lage entspannt. Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Raetz: Katastrophal! Wir Kommunen haben mit den Ehrenämtlern die gesamtstaatliche Aufgabe gemeistert. Das vom Bund zur Verfügung gestellte Geld ist leider nicht zu 100 Prozent bei den Kommunen angekommen. Das Land hat immer noch zu klebrige Finger. Die Finanzierung ist bei Weitem nicht ausreichend. Das Resultat werden nicht geplante Steuererhöhungen im Jahr 2017 und in den Folgejahren sein. Der Bürger zahlt es.

Erwarten Sie 2017 wieder mehr Flüchtlinge als 2016?

Raetz: Es kann keine Entwarnung geben. Ich weiß nicht, wie lange der Pfropfen in der Türkei hält. Wir müssen mit einem Anstieg der Zahlen rechnen und sind darauf vorbereitet.

Befürworten Sie die von der CSU geforderte Obergrenze?

Raetz: Wir brauchen zunächst einmal verlässliche Zahlen, damit wir überhaupt wissen, wie viele Flüchtlinge sich dauerhaft bei uns aufhalten. Davon abgesehen halte ich die Einführung einer Obergrenze aus verfassungsrechtlichen Gründen für unrealistisch.

Konnte in den Kommunen ausreichend Raum für die Unterbringung geschaffen werden?

Raetz: Ja, alle Kommunen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Mit viel Engagement, mit großer Flexibilität und natürlich auch mit viel Geld.

Müssen auch 2017 noch Turnhallen und Dorfhäuser für die Belegung mit Flüchtlingen vorgehalten werden?

Raetz: Nein. Durch die 2016 doch deutlich zurückgegangenen neuen Zuweisungen von Flüchtlingen können Turnhallen und Dorfhäuser wieder dem eigentlichen Zweck zugeführt werden. Das war eine große Solidaritätsbekundung der davon Betroffenen, wofür auch noch mal Danke gesagt werden muss.

Sehen Sie durch die gesamte Thematik einen Rechtsruck im Parteienspektrum des Rhein-Sieg-Kreises?

Raetz: Ja, leider. Der Egoismus ist immer noch weit verbreitet. Hauptsache, mir geht es gut, sagen sich viele. Das Ego-Denken wird stärker, dagegen mangelt es an Solidarität. Das christliche Menschenbild gerät ins Wanken. Das nutzen rechte Demagogen aus. Sie schüren oder nutzen Ängste in der Bevölkerung.

Wie begegnen Sie rechtspopulistischen Äußerungen?

Raetz: Durch ganz klare Gegenansagen. Wir dürfen Rechtspopulisten nicht das Feld überlassen. Wir müssen den Mund aufmachen! Schweigen ist Zustimmung.

Viele Politiker und Verwaltungsmitarbeiter beklagen eine Verrohung der Sitten in Mails von einzelnen Bürgern und in der persönlichen Ansprache. Stellen Sie dies auch fest?

Raetz: Ja, das wird leider immer schlimmer. Früher habe ich mich noch drüber aufgeregt. Jetzt wird die Mail einfach gelöscht. Oder sie kommt in den Ordner „Skurriles“. Mitarbeiter in der Verwaltung werden beschimpft oder massiv angegangen. Auch ich persönlich bin schon bedroht worden.

Gibt es in Rheinbach sogenannte „Reichsbürger“?

Raetz: Auch diese Spezies beheimaten wir. Mir sind zwei bekannt. Sie erkennen unseren Staat nicht an und wollen deshalb keine Steuern zahlen. Unser Grundgesetz ist vorbildlich, wappnet uns aber nicht gegen alle Angriffe. Ich beende Brieffreundschaften mit Reichsbürgern immer sehr schnell.

Wie klappt die Zusammenarbeit mit Landrat Sebastian Schuster?

Raetz: Wirklich sehr gut. Wir tauschen uns regelmäßig über die wichtigsten Themen aus. Sehr offen und sehr fair. Wir sind eine kommunale Familie und denken nicht an Scheidung.

Was halten Sie von den Absichten der Kreispolizeibehörde in Siegburg, die Einsätze, die unters Ordnungsrecht fallen, komplett an kommunale Ordnungsämter abzugeben? Dies betrifft elf Kommunen im Rechtsrheinischen.

Raetz: Das ist in der jetzigen Zeit sehr unglücklich. Die Kommunen sind personell und finanziell nicht in der Lage, diese Aufgaben ad hoc zu übernehmen. Natürlich gehören gewisse Tätigkeiten in den originären Aufgabenbereich der Kommunen. Dies sollte aber nur nach und nach auf die Städte und Gemeinden verlagert werden. Nur so können wir uns darauf vorbereiten.

Haben Sie ein Konzept in der Tasche, mit dem die Region aus dem Dauerstau kommt?

Raetz: Nein. Die Fehler sind in der Vergangenheit gemacht worden. Sehenden Auges. Durch Nichtentscheiden und politischen Streit sind vor Jahren die Chancen verspielt worden. Die Leidtragenden sind wir heute und auch noch die nächste Generation. Hier hat die Politik versagt.

Kann die angedachte neue Rheinbrücke bei Wesseling die Verkehrsprobleme in der Region überhaupt lösen? In Niederkassel regt sich jetzt schon Widerstand.

Raetz: Dies ist nur ein wichtiger Baustein. Sie kann andere Brücken entlasten. Natürlich regt sich Widerstand. Das ist typisch deutsch. Ich hoffe nur, dass die Politik diesmal bei der Stange bleibt. Selbstverständlich sind Umweltbelange angemessen zu berücksichtigen.

In welchem Jahr wird die Brücke fertig?

Raetz: 2030, wenn es schnell geht. Nie, wenn wieder nur Bedenkenträger am Werk sind.

Werden die Kommunen auch 2017 um Gewerbeansiedlungen konkurrieren?

Raetz: Die Region kann sich wirtschaftlich nur behaupten, wenn sie gemeinsame Ziele verfolgt. Konkurrenzdenken ist nicht der richtige Weg. Das Handeln ist auf sinnvolle und machbare Kooperationen auszurichten. Dies gilt für Gewerbeansiedlungen, aber auch für Wohnbauflächen.

Wie könnte ein regionales Gewerbekonzept aussehen?

Raetz: Wir schauen gemeinsam mit Bonn auf unsere Flächen, auf die Flächenreserven und auf mögliche sinnvolle Erweiterungsflächen. Dann schauen wir auf die Erreichbarkeit und Verträglichkeit – in jeder Hinsicht. Danach wissen wir, was die Region wo noch benötigt und verkraftet. Damit gehen wir dann zur Landesplanung.

Welche Parteien bilden im Mai 2017 die Landesregierung und welche im September die Bundesregierung?

Raetz: Ich befürchte im Land Schwarz-Rot und im Bund Rot-Rot-Grün.

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