Serie „Köln unten“ Deshalb hängt ein Kronleuchter in der Kölner Kanalisation

Köln · Der Kölner Kronleuchtersaal lockt zu seinen Führungen jeden Sonntag viele Besucher aus Köln und der Region an. Das Besondere daran: Der Raum befindet sich sieben Meter unter der Erde in der Kanalisation.

 Der Kronleuchter in der Kanalisation sollte Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung im Jahr 1890 beeindrucken.

Der Kronleuchter in der Kanalisation sollte Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung im Jahr 1890 beeindrucken.

Foto: Benjamin Westhoff

An sonnigen Sonntagen im Frühling sitzen im Park am Kölner Ebertplatz Menschen auf der Wiese, spielen Frisbee oder flanieren über die Kieswege – kaum jemand bemerkt die etwa zwei Meter lange Luke. Einmal pro Stunde aber sammelt sich genau hier eine kleine Menschentraube und verschwindet unter die Erde. Ihr Ziel: Ein unterirdischer Kronleuchtersaal, an einem höchst merkwürdigen Ort – der Kölner Kanalisation.

Sieben Meter steigen die Besucher über Treppen hinab. Dann stehen sie mitten in einem Gewölbe aus Klinkersteinen. In der Mitte eines großen Raums prunkt ein Kronleuchter an der Decke. Zwölf messingfarbene verschnörkelte Arme tragen die elektrischen Kerzen. Sie erzeugen in der Kühle ein warmes Licht.

Es riecht nach Klo. Am Ende des Raumes ist ein leises Rauschen zu hören. Das vorbeifließende Gewässer ist das Abwasser der Kölner Innenstadt, das Richtung Rhein fließt. Denn eigentlich ist der Raum mit dem eleganten Namen ein Entlastungsbecken. Wenn der Hauptkanal der Kanalisation überfüllt ist, wird das Wasser hierhin umgeleitet.

Der Kronleuchter und die Klinker geben dem Ort heute etwas Altertümliches. Doch als der Raum vor fast 130 Jahren eingeweiht wurde, war er ein Vorzeigeexemplar moderner Kanalisation. Der damalige Oberbürgermeister Wilhelm von Becker musste sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit der wachsenden Bevölkerung in der Domstadt auseinandersetzen. Mit rund 100.000 Einwohnern war Köln für damalige Verhältnisse eine Großstadt. Ein Kanalisationssystem für so viele Menschen gab es nicht. Also engagierte Becker zwei Baumeister, die nach den Vorbildern von Wien und Paris in Köln eines der fortschrittlichsten Abwassersysteme dieser Zeit entwarfen.

Zur Einweihung des Saals im Jahr 1890 war auch Kaiser Wilhelm II. eingeladen. Mit Kronleuchtern an der Decke wollte man seine Majestät beeindrucken. Hundert Jahre später wurden die Kerzenhalter, deren Holz langsam morsch geworden war, durch einen elektrischen Leuchter ersetzt. Seit 2004 ist der Saal ein Bodendenkmal der Stadt Köln und zieht jeden Sonntag im Frühjahr und Sommer zahlreiche Besucher an. Selbst bei schönem Wetter sind die Führungen fast immer ausgebucht.

Florian Gesel gibt seit drei Jahren Führungen durch den Kronleuchtersaal. Der 31-Jährige arbeitet als Kanalreiniger bei den Stadtentwässerungbetrieben (StEB). Zusammen mit einigen Kollegen wechselt er sich jedes Wochenende ab. „Wir kennen uns hier unten ja sowieso aus“, sagt er.

Also habe er sich mit der Geschichte der Kölner Kanalisation beschäftigt und erzählt Besuchern seitdem regelmäßig etwas über den außergewöhnlichen Saal. Zum Beispiel, dass man die Schiffsschrauben der Frachter auf dem Rhein hören kann, wenn man ganz leise ist. Oder, dass der Wasserstand in den Kanälen je nach Tageszeit oder Wetterlage unterschiedlich hoch ist. „Viele Dinge spielen dabei eine Rolle“, erzählt Gesel. „In der Halbzeitpause eines Bundesligaspiels ist der Pegel zum Beispiel besonders hoch.“

Die liebsten Besucher an diesen Sonntagen sind Florian Gesel die Kinder. „Sie zögern nicht, die Fragen, die ihnen unter den Nägeln brennen, auch zu stellen“, weiß er aus den zahlreichen Führungen, die er schon gegeben hat. Um den Kronleuchter geht es dabei nur selten. „Wo fließt die ganze Scheiße hin?“ oder „Ist da auch was von mir dabei?“, wollen die jungen Besucher wissen.

     Ein Gewolbe aus Klinkersteinen im Kölner Untergrund: Der Kronleuchtersaal befindet sich sieben Meter unter der Erde.

Ein Gewolbe aus Klinkersteinen im Kölner Untergrund: Der Kronleuchtersaal befindet sich sieben Meter unter der Erde.

Foto: Benjamin Westhoff

Bei den Besuchen in der Kanalisation ist aber auch Vorsicht geboten. Während der Führungen haben die Betreiber immer ein Mehrfachmessgerät dabei. Damit messen sie die Konzentration gefährlicher Gase in der Luft, die durch das Abwasser freigesetzt werden können. „Im Falle einer zu hohen Belastung müssten wir die Besucher nach draußen bringen“, sagt Gesel. Bisher sei das aber noch nie vorgekommen.

Heute ist der Kronleuchter nicht mehr die einzige Lichtquelle im Saal. Hauptsächlich wird der Raum durch moderne Leuchtröhren erhellt, wie sie auch in den übrigen Kanälen unter der Stadt eingesetzt werden. Drei dieser Kanalröhren münden im Kronleuchtersaal. Als Nebeneffekt ihrer ursprünglichen Funktion, sorgen die Röhren für eine besondere Akustik.

Das fiel auch Hubertus Oelmann, einem ehemaligen StEB-Vorstand, vor etwa 20 Jahren auf. Seitdem finden hier unten an vier Abenden im Jahr Jazz- und Klassikkonzerte statt. Die Karten sind immer schnell ausverkauft. Jeder Gast bekommt beim Einlass ein Pfefferminzsträußchen überreicht, das er sich während des Konzertes unter die Nase klemmen kann. Denn während draußen vor der Luke eine frische Frühlingsbrise weht, riecht es im Kronleuchtersaal auch an diesen festlichen Abenden, wie es in der Kanalisation eben riecht – nach Kloake.

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