Maßregelvollzug in Köln-Porz Ein Blick hinter die Mauern

Köln · Ärzte und Sicherheitskräfte erklären, wie psychisch kranke Straftäter versorgt werden. Ausbrüche hat es in der Kölner Einrichtung bisher noch nicht gegeben.

 Hinter Gittern: die Einrichtung für Maßregelvollzug in Köln-Porz.

Hinter Gittern: die Einrichtung für Maßregelvollzug in Köln-Porz.

Foto: GA

Der Blick nach Draußen splittert in ein Dutzend Vierecke, tagtäglich. Man kann die Augen zusammenkneifen und so tun, als gäbe es diese Gitterstäbe vor den Fenstern nicht, als stünde man nicht hier im kleinen Einzelzimmer der Forensischen Psychiatrie Porz, sondern in dem eines Studentenwohnheims oder einer Reha-Klinik. Schließlich leben viele Menschen eine Weile auf engstem Raum. Doch hier auf Station 3, wo Straftäter mit Psychosen behandelt werden, steht die abgestandene Zeit so präsent im Raum, dass man glaubt, sie greifen zu können. Acht Jahre bleiben Patienten im Schnitt.

Nicht jeder Besucher hält die Enge aus. „Ich muss raus, mir ist das zu eng“, sagt ein Gast schon nach wenigen Minuten. Draußen vor dem Fenster kriecht Rasen trostlos übers Gelände, dahinter: weitere Wohnwürfel mit Gitter-Fenstern. Eine mattweiße Mauer, 5,50 Meter hoch, unüberwindbar, ist die Grenze – Grenze zwischen Maßregelvollzug und Freiheit, zwischen Gesund und Krank, zwischen Vorgarten-Idylle der Porzer Wasserturmsiedlung und dem scheußlichen und gefährlichen Kopf-Kino der 128 Patienten.

Das weiße Bollwerk – es ist nicht bunt, weil der Mensch sich an neutrale Farben, wenn er lange genug draufschaut, gewöhnt und die Mauer so kaum noch wahrnimmt, meinen Psychologen – ist häufig das Einzige, das die Außenwelt von dieser Einrichtung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) wahrnimmt. 2009 wurde sie nach großen Kontroversen direkt am Wohngebiet eröffnet.

Mittlerweile, betont Klaus Lüder, Fachbereichsleiter des Maßregelvollzugs, hätten die Wogen sich geglättet, auch weil ein Anwohner-Beirat in wichtige Entscheidungen und Ereignisse eingebunden werde. „Ausbrüche hat es aus dieser Einrichtung noch nichtgegeben“, betont er. Entweichungen, also Situationen, in denen Patienten zu Therapiezwecken befristet Ausgang hatten und zu spät zurückgekehrt sind, habe es an diesem und dem Merheimer LVR-Standort 2015 insgesamt nur sechs Mal gegeben. Egal, was der Grund für die Verspätung ist – ob der Patient sich absetzen will oder – viel wahrscheinlich – nur mit dem ÖPNV gestrandet ist: Er wird augenblicklich zur Fahndung ausgeschrieben – und taucht in der Statistik auf. Der hochmoderne Maßregelvollzug in Köln ist jedoch, aller Anfangsskepsis zum Trotz, bis jetzt ein relativ erfolgreich abgeschottetes System geblieben.

Besuchergruppen können sich die ausgefeilte Technik neuerdings bei Führungen zeigen lassen. Auch sie kommen nicht umhin, Handys und Personalausweise an der Pforte abzugeben, sich durch ein Schleusensystem aus offenen und geschlossenen Glastüren geleiten zu lassen, bis sie in Werkstatthallen oder Kreativräumen stehen, in denen Patienten in künstlicher Atmosphäre „sozial nachreifen“, wie es einer der Mitarbeiter formuliert. Die Männer – Frauen sind in Köln nicht untergebracht und stellen ohnehin nur sechs Prozent aller forensischen Patienten – müssen oft Elementares lernen: pünktlich zu erscheinen, strukturiert mit Metall oder Holz zu arbeiten, verhandeln um die Fernbedienung für den Fernseher, statt sich darum zu prügeln. Ohne Medikamente funktioniert kaum eine Behandlung. Die Fortschritte entscheiden darüber, ob die Verurteilten überhaupt – in Einzel-Begleitung, in Gruppen und irgendwann allein – dieses Gebäude verlassen dürfen. Sie sind hier, und das unterscheidet sie von Häftlingen, die bei der Tat psychisch gesund waren, auf unbefristete Zeit untergebracht und so lange eine Rückfallgefahr besteht.

Jeder Vierte der derzeit 1508 Patienten im NRW-Maßregelvollzug wurde wegen Körperverletzung verurteilt, jeder Fünfte wegen Raub. Brandstifter stellen mit sieben Prozent eine große Gruppe – häufig finden sich unter ihnen Männer mit verminderter Intelligenz. Wegen Mord oder Sexualdelikten wurden weniger als drei Prozent der Patienten verurteilt.

Wer an den Führungen in Köln teilnimmt, wird früher oder später mit gewisser Beklommenheit an Fixiergurten vorbeilaufen und im Krisenraum stehen – jenem Zimmer, in dem Menschen mit akuten psychotischen Episoden zur Sicherheit untergebracht werden. In einer Ecke liegt eine blaue Schaumstoffmatratze, auf der anderen Seite steht eine Toiletteneinheit aus Edelstahl. Die Milchglasscheibe lässt Licht herein, mehr nicht. „Patienten mit Psychosen werden durch die Reizdichte unseres Alltags überflutet“, weiß ein Arzt der Station 3. „Sie erleben die Auszeit in dem Krisenraum als stabilisierend und hilfreicher als Medikamente.“ Mancher suche ganz freiwillig die Leere des Zimmers, wenn es ihm schlechter ginge.

Überhaupt ist vieles abhängig von der Perspektive: Der Gesunde mag sich kaum vorstellen können, eine Dekade auf engstem Raum hinter Gittern zu verbringen. „Mancher Kranke hingegen kann sich nicht vorstellen, den Maßregelvollzug wieder zu verlassen“, weiß LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies. Ein Patient sei fast seit 30 Jahren dabei – und wird, wenn er gebrechlich werden sollte, in eine Art gesichertes Altenheim für psychisch kranke Straftäter nach Düren wechseln. „Viele Patienten haben Schreckliches erlebt“, so Knöbelspies. Dass man sich um sie kümmert, erleben sie oft erst hinter Gittern. Dementsprechend groß sei ihr Zögern, sich allein in der Freiheit durchzuschlagen.

Köln mit seinen zwei Einrichtungen in Porz und Merheim ist nach Bedburg-Hau (512 Plätze) der zweitgrößte Maßregel-Vollzugs-Standort des Landschaftsverbandes Rheinlandes. In Viersen gibt es 174 Plätze für junge Personen. Ab dem 14. Lebensjahr kann man zum Maßregelvollzug verurteilt werden. In Bonn und Düsseldorf gibt es 40 beziehungsweise 32 Plätze auf forensischen Stationen innerhalb der Allgemeinpsychiatrie.

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