Als behindert eingestuft Ex-Förderschüler fordert vom Land 38.000 Schadenersatz

Köln · Seine Schulzeit hat er auf einer Schule für geistige Behinderung verbracht - dabei sei er in Wirklichkeit normal intelligent, sagt Nenad Mihailovic. In einem Prozess verlangt er vom Land NRW Schadenersatz für entgangene Bildungschancen.

Nenad Mihailovic bereitet sich gerade an einem Kölner Berufskolleg auf seinen Realschulabschluss vor. „Normalerweise wäre ich schon längst mit meiner Berufsausbildung fertig. Aber das haben die mir ja verbaut“, sagt der 20-Jährige. „Die“ - damit meint er die Lehrer an der Förderschule für geistige Behinderung, die er bis zu seinem 18. Lebensjahr besucht hat. Denn der junge Mann ist der Ansicht, er sei zu Unrecht als behindert eingestuft und an dieser Schule festgehalten worden. So seien ihm Bildungschancen entgangen. Darum hat er das Land Nordrhein-Westfalen auf 38.000 Euro Schadenersatz verklagt.

Am ersten Verhandlungstag tut sich die Zivilkammer des Kölner Landgerichts schwer mit einer Einschätzung. Aber: Es gebe Indizien, wonach Mihailovic tatsächlich falsch war an der Behinderten-Schule, sagt der Vorsitzende Richter Reinhold Becker. „Mir kommen die Zeugnisse des Schülers nicht schlüssig vor.“ Denn die dort festgehaltenen Leistungen passten nicht zur Schlussfolgerung „geistig behindert“. Ob die Schule aber tatsächlich ihre Amtspflichten verletzt hat, sei schwer zu beurteilen. Beide Seiten sollen nun weitere Unterlagen einreichen und ihre Argumente präzisieren.

Mihailovic wurde in Köln geboren, dann zog seine Familie nach Bayern. Bei der Einschulung dort spricht er kaum Deutsch, seine Eltern sind Roma. Die Behörden in Bayern stufen den Jungen als geistig behindert ein und schicken ihn auf eine Sonderschule. Als die Familie einige Zeit später wieder nach Köln zieht, kommt er auch dort auf eine Förderschule für geistige Behinderung - und muss dort bleiben, obwohl er seine Lehrer immer wieder um einen Schulwechsel bittet.

Erst mit Hilfe des Elternvereins „Mittendrin“, der sich für Inklusion einsetzt, gelingt ihm der Wechsel auf das Berufskolleg. Als einer der Klassenbesten macht er dort seinen Hauptschulabschluss.

Die „Verordnung über die sonderpädagogische Förderung“ für NRW sieht vor, dass der festgestellte Förderbedarf eines Schülers mindestens einmal jährlich überprüft werden muss. Die Schule habe bei Mihailovic aber immer nur Defizite im sozial-emotionalen Bereich benannt, sagt seine Anwältin Anneliese Quack. Trotzdem hätten die Lehrer den Förderbedarf für „geistige Entwicklung“ weiter fortgeschrieben.

Ein Sprecher der zuständigen Kölner Bezirksregierung, die das beklagte Land vertritt, wollte sich wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern.

Nach Angaben von Elternverbänden handelt es sich nicht um einen Einzelfall. „Wir wissen aus unserer Beratungsarbeit, dass es viele ähnliche Fälle gibt“, sagt Ingrid Gerber von „Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen“. Nach Ansicht des Vereins haben Förderschulen oft gar kein Interesse daran, einmal gestellte sonderpädagogische Diagnosen zu hinterfragen, um ihre eigene Existenz nicht zu gefährden. Der Rechtsanspruch, wonach behinderte Kinder eine Regelschule besuchen können, besteht in NRW erst seit 2014.

Beim Fall Mihailovic sieht das Gericht nach Worten von Becker ein Problem „bei der Frage der Kausalität“: Hätte der Besuch einer anderen Schule wirklich zu einem anderen Lebensweg des Klägers geführt? Dieser Nachweis sei kaum möglich - aber nötig, um Schadenersatz geltend zu machen.

Ehe in dem Prozess eine Entscheidung fällt, werden noch Wochen vergehen. Bis dahin will Mihailovic vor allem eins tun: Lernen. Denn im Sommer möchte er die Mittlere Reife machen und dann am liebsten eine Ausbildung zum Automobilkaufmann beginnen. (dpa)

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