100 Tage nach der Kölner OB-Wahl Henriette Reker unter Druck

Köln · Von der Messerattacke bis zu den unbedarften Äußerungen nach der Silvesternacht: In den 100 Tagen, seit Henriette Reker zur Kölner Rathauschefin gewählt wurde, ist viel passiert. Eine Schonzeit hatte sie nicht.

 Seit 100 Tagen im Amt: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Seit 100 Tagen im Amt: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Foto: dpa

Dramatischer und schwieriger könnte ein Start kaum ausfallen. Vor 100 Tagen wählten die Kölner Henriette Reker zur neuen Oberbürgermeisterin. Nur wenige Stunden zuvor war sie bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt worden. Ihr Amt als Rathauschefin der viertgrößten deutschen Stadt trat die zierliche 59-Jährige trotzdem schon einen Monat später Mitte November an. Keineswegs eingeschüchtert. Die parteilose Politikerin hat sich viel vorgenommen für die Millionenmetropole. Aber dann kommt die Silvesternacht. Die Übergriffe auf Hunderte Frauen im Herzen der Stadt lösen ein Beben in ganz Deutschland aus. Reker steht mitten drin - und unter Druck.

Kölns Ruf hat schwer gelitten

Sie wolle Köln wieder in die „Champions League“ der Metropolen zurückholen, sagte Reker noch zwei Wochen vor den Exzessen. Ein besseres Image für die Domstadt erreichen. Ausgerechnet. Kölns Ruf hat nun schwer gelitten. Die Attacken nordafrikanisch- und arabischstämmiger Männerhorden lösen auch international schwärzeste Schlagzeilen aus. Und Rekerselbst ist keinesfalls in komfortabler Position. Bei der Aufarbeitung der Vorgänge hat sie sich in die Nesseln gesetzt, ist ausgelacht worden und noch dazu mit Polizeiführung und NRW-Innenministerium überkreuz geraten.

Für die erste Frau auf dem Kölner OB-Posten gibt es keine Schonzeit im Amt - und sie wird auch persönlich nicht geschont. Anfang Januar rät sie Frauen vor Journalisten spontan, im Gedränge „weiter als eine Armlänge“ Distanz zu halten. Hämische Kommentare folgen. Dass sie selbst gerade einen Angriff aus nächster Nähe erlebt und überlebt hat, scheint den Spöttern entfallen zu sein.

Die Silvesternacht und ihre Folgen dominieren alles. „Frau Reker hatte noch nicht viel Spielraum, sich zu profilieren“, gibt Politikwissenschaftler Norbert Kersting zu Bedenken. Auch sie trage Verantwortung in der Sicherheitsfrage. „Jede Frau, jeder Bürger muss in seiner Kommune das Maß an Sicherheit erfahren, das wir uns über Jahrzehnte aufgebaut haben. Kommunalpolitiker, insbesondere Oberbürgermeister, müssen alles dafür tun, dass dieser Lebensstil, den wir erarbeitet haben, auch weiter gewährleistet ist.“

Politisch ungeschicktes Verhalten

Doch die Rathauschefin verhält sich bisher politisch ungeschickt. Reker lehnt sich wenige Tage nach der Gewalt am Hauptbahnhof weit aus dem Fenster: Es gebe keine Hinweise darauf, dass Menschen aus der „Flüchtlingsgruppe“ unter den Beteiligten seien, sagt die frühere Sozialdezernentin. Man habe ihr Infos vorenthalten, übte Reker später Kritik in Richtung der Polizeiführung. Das Düsseldorfer Innenministerium widerspricht ihr öffentlich. Ebenso die Gewerkschaft der Polizei.

GdP-Landeschef Arnold Plickert wirft Reker einen „sehr schlechten politischen Stil“ vor. Grund: Der geschasste Polizeipräsident Wolfgang Albers habe - nach seiner Abberufung am 8. Januar - gegen 14.00 das Innenministerium verlassen. Knapp zwei Stunden später habe Reker ihm via Pressemitteilung das Vertrauen entzogen. Das war kurz bevor öffentlich bekanntwurde, dass Albers gehen muss. „Dies hinterlässt bei mir den Eindruck, dass Frau Reker alle Schuld auf Herrn Albers schieben wollte, und das zu einem Zeitpunkt, wo Herr Albers schon abgelöst war“, kritisiert Plickert.

Schon ohne die Silvester-Aufarbeitung ist Köln schwieriges Terrain. CDU und Grüne wollen das Experiment eines Minderheitenbündnisses eingehen.Reker - im Wahlkampf von CDU, FDP und Grünen unterstützt - befürwortet das. Doch viele Beobachter sind skeptisch angesichts der Größe der Stadt und ihrer Probleme.

Der „Politikwechsel in Köln“ könne beginnen, hatte NRW-CDU-Chef Armin Laschet sich zu RekersAmtsantritt gefreut. Aber es ist wohl noch Geduld gefragt. Politologe Ulrich von Alemann sagt - die 100 Tage nach der Wahl vom 18. Oktober bilanzierend - über die OB: „Sie muss noch lernen, als Spitzenpolitikerin zu agieren, wo jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird.“

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