Pferderennbahn in Köln Kalorien zählen nur die Jockeys

Köln · Ein Tag auf der Pferderennbahn: Was für die Reiter ein knochenharter Job ist, dient den meisten Gästen als entspanntes Freizeiterlebnis. Wegen der Gewinnchancen kommen nur die wenigsten

 Rennbahn Köln-Weidenpesch 1

Rennbahn Köln-Weidenpesch 1

Foto: Anne Stephanie Wildermann

Eigentlich kommt Michaela Bragard (43) mit ihren drei Kindern wegen des „leckeren Essens“ auf die Kölner Rennbahn in Weidenpesch. Hot-Dogs, Crêpes, Pommes mit Currywurst oder Weingummi. Für jeden ist was dabei. Ihre zehnjährige Tochter Johanna hat neben den Süßigkeiten auch ein Faible für die Rennpferde. „Ich würde gerne selber reiten“, sagt das Mädchen, das einen roten Haarreif mit Schleife im Haar trägt. Bis zu sechsmal im Jahr kommt die Familie, die in Holweide wohnt, zu den Rennen. Hin und wieder wetten sie sogar. „Aber nur kleine Beträge“, sagt Mutter Michaela, während sie das Programmheft studiert.

Das fünfte Rennen ist gerade gelaufen, und die Startnummer fünf, Stute Antalya, hat gewonnen. Unerwartet sogar. Auf Antalya hatte die Familie nicht gewettet: „Wir haben zwei Euro auf die Platzwette gesetzt. Da der Eintritt schon nicht so günstig ist für drei Kinder, setzten wir nie hohe Summen“, sagt sie und sortiert die Wettscheine in ihrer Hand. „Vielleicht haben wir 50 oder 60 Cent gewonnen, weil der Gewinn auch immer von der Quote abhängt“, erklärt sie fachmännisch. Ihr 16-jähriger Sohn Niklas verlässt sich auf die Tipps seiner Mutter. Für seine Schwestern Johanna und Franziska sind die bunten Blousons der Jockeys oder das schönste Pferd Auswahlkriterien für einen Wetteinsatz.

Für die meisten Besucher der Insgesamt 12000 Zuschauer an diesem Sonntag auf der Pferderennbahn geht es weder um Quoten noch ums Wetten. Sie kommen, um Freunde oder Bekannte zu treffen. Um auf den Wiesen rund um die Bahn zu picknicken oder einfach mal einen Ausflug ihren Kindern zu machen. Wer keine Kinder hat, bringt seinen Hund mit und lässt diesen von der Leine und Bällchen holen.

Renntag in Weidenpesch
14 Bilder

Renntag in Weidenpesch

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Dass im fünften Rennen ausgerechnet Stute Antalya gewonnen hat, kann Heike David immer noch nicht fassen: „Das hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte die 49-Jährige perplex und lächelt, als die braune Stute nass geschwitzt und laut schnaubend von der Rennstrecke zurück in den Führring geleitet wird. Dieser Bereich ist nur für Jockeys, Trainer, Besitzer und Promis vorgesehen. Hier werden die Pferde vor dem Rennen vorgestellt, hier geben die Trainer letzte Instruktionen, hier sitzen die Jockeys nach dem Glockensignal auf und hier finden auch die Siegerehrungen statt. Das Publikum bleibt hinter dem weißen Zaun zurück und schaut zu.

Heike David gehört Antalya nicht, sie hat auch keine Beteiligung an der Stute. Beteiligt ist jedoch ihr Lebensgefährte, zusammen mit sechs weiteren Rennbegeisterten. Und dennoch freut sich Heike David, als ob das Tier ihr gehören würde. „Sie ist von Platz zwei gestartet und läuft nicht so gerne im Pulk. Deshalb musste der Jockey gucken, dass er mit ihr nach außen kommt“, erzählt sie. So hatte es sich zumindest der Trainer Markus Klug (39) vorgestellt und genauso ist es auch gekommen. Obwohl sich Reiter und Pferd durch den Spurwechsel ganz nach hinten fallen ließen und der Abstand zu den anderen Pferden immer größer wurde, holte die Stute rasch auf. Sie schoss förmlich an den übrigen vorbei ins Ziel. 6000 Euro holt sie damit für ihren Besitzer. Zehn Prozent davon bekommt Trainer Klug und fünf Prozent gehen an Jockey Adri de Vries (45).

Plötzlich klicken und blitzen zig Kameras. Das Siegerfoto wird geschossen. Antalya nimmt den Rummel gelassen hin und kaut friedlich auf ein paar Möhren, die ihr aus einem großen Korb gereicht werden.

Für deutsche Verhältnisse sind 6000 Euro nicht wenig, für Japanische Peanuts. „Dort gibt es für kleine Rennen 40000 Euro Preisgeld“, erzählt Jockey Andrasch Starke (42), als er von dem Moderator der Veranstaltung nach seiner Zeit in Asien gefragt wird. Starke ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten in seinem Metier. Bis dahin ist es für Martin Seidel noch ein weiter Weg. Der 22-Jährige reitet seit seinem 15. Lebensjahr als Jockey und nimmt an Rennen teil seitdem er 16 war. „Ich kann mir nichts anderes vorstellen“, sagt der sehr schlanke Mann mit kurzen blonden Haaren. Er kommt aus einer Familie in der Pferde schon immer dazu gehörten.

Martin weiß, dass er sein Gewicht konsequent halten muss. „Ich wiege konstant 53 Kilogramm. Wenn ich weiß, dass ich in drei Tagen in Frankreich reiten muss, versuche ich, zwei Tage vorher weniger zu essen und natürlich auch abends nicht zu viel“, sagt er selbstverständlich und ergänzt: „Einen Tag vor dem Rennen esse ich nichts mehr. Heute bin ich zusätzlich noch zehn Kilometer gelaufen und saß 30 Minuten in der Sauna.“ Klingt nach dem Prozedere dem sich Models unterziehen, bevor sie in die Size-Zero-Roben von italienischen Designern schlüpfen, um sie auf einer Modenschau zu präsentieren. Klingt nach einem harten und diszipliniertem Lebensstil. Dennoch wirkt Martin nicht ausgelaugt. Obwohl man dem 1,70 Meter großen Mann nur zu gerne einen fettigen Burger in die Hand drücken möchte.

An Essen ist aber nicht zu denken. Während das zweite Rennen läuft, bereitet er sich auf seines vor. Auf das dritte. Er startet im schwarzen Blouson, mit großen roten Lettern darauf und einer roten Kappe. Farbe und Muster sind ein Unikat. Keine Jockey-Uniform existiert zweimal auf der Welt.

Martins Pferd, das ihn an diesem Tag ins Ziel bringen soll, heißt Iniesta und ist fünf Jahre alt. Vor jedem Rennen muss Martin sich wiegen und auch danach. Für den korrekten Ablauf und die Dokumentation der Daten ist Auswieger Michael Kunst zuständig. Martin setzt sich auf einen gewöhnlichen Stuhl, der auf einer Waage steht. In seiner Hand hält er einen kleinen, schwarzen Sattel, der an einen für Kleinkinder erinnert und grade mal 600 Gramm schwer ist. Kaum zu glauben, dass die Reiter sich bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern darauf halten können. Die Waage zeigt genau 52 Kilogram an – so steht es auch im Programmheft. „Die Jockeys dürfen nur mit ihrer Schutzweste, Sattel und Gurten gewogen werden“, erklärt Auswieger Kunst. Gerte und Helm kommen nicht mit auf den Stuhl.

Martin ist startklar. Nervös wirkt er nicht. Völlig Routiniert und tiefentspannt. Trotz der Ruhe, die er ausstrahlt, reitet er mit Iniesta an diesem Tag mit um den Sieg. Als vierte kommen sie ins Ziel.

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