Polizei gibt Details bekannt „Sinnentleerte Brutalität“

Update | Köln · In Zusammenhang mit den schweren Ausschreitungen beim Conference-League-Spiel des 1. FC Köln in Nizza hat die Polizei bei einer Razzia mehrere Gewalttäter festgenommen. Von der Vereinsseite sind klare Statements gefordert.

 Bei dem Spiel des 1. FC Köln kam es zu Ausschreitungen.

Bei dem Spiel des 1. FC Köln kam es zu Ausschreitungen.

Foto: picture alliance/dpa/dpa

Nach den Fan-Ausschreitungen beim Conference-League-Spiel des 1. FC Köln in Nizza hat die Polizei am Mittwochmorgen mehrere Gewalttäter festgenommen. Während die Ermittlungen nach weiteren Beteiligten an den Krawallen noch laufen, bleibt die Frage nach der Verhinderung von Gewalt unbeantwortet.

Es waren Bilder, die den Fans, Ordnern und Vereinsverantwortlichen im Stade de Nice so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen werden. Der 1. FC Köln war am 8. September im ersten Gruppenspiel der Conference League beim OGC Nizza zu Gast.

11.000 mitgereiste Anhänger aus der Domstadt waren schon den ganzen Tag über in der französischen Stadt unterwegs. In einem Fanmarsch ging es vom Zentrum bis zum Stadion. Dort wurde der Gruppenspiel-Auftakt jedoch bereits über eine Stunde vor dem Anpfiff von schweren Ausschreitungen überschattet.

Erst wurden Ordner an den Ticket- und Sicherheitskontrollen überrannt, bevor die Situation dann im Stadion eskalierte. Wie die Kölner Polizei am Mittwochnachmittag bei einer Pressekonferenz mitteilte, standen sich rund 40 Nizza-Anhänger und 60 Kölner Störer inklusive „Anhängern“ aus Paris, Essen und Dortmund gegenüber.

Die befreundeten Gruppierungen überquerten erst die jeweiligen Sitzblöcke, um dann gewaltsam mit gefährlichen Gegenständen und Pyrotechnik gegen die Zuschauer aus Nizza vorzugehen. Unter den mehr als 30 Verletzten war auch ein Mann aus Paris, der vom Ober- in den Unterrang stürzte.

FC-Trainer Steffen Baumgart musste aufgrund einer Roten Karte auf der Tribüne Platz nehmen und beobachtete das Geschehen somit aus nächster Nähe. „Was gestern passiert ist, wird mich sehr lange begleiten“, sagte der 50-Jährige einen Tag nach dem Spiel (1:1).

Die Kölner Polizei startete noch vor dem Beginn der Partie in Nizza ihre Ermittlungen und richtete eine Ermittlungsgruppe ein, um die Täter ausfindig zu machen. Augenzeugen wurden gebeten, Bildmaterial auf einer Hinweisplattform zur Verfügung zu stellen.

Knapp einen Monat nach den Ausschreitungen wurden nun erste gewaltsame „Anhänger“ festgenommen. „Erst durch die mehr als 800 hochgeladenen Dateien konnten die Ermittlungen in dieser Schnelligkeit vorangetrieben werden“, erklärte Michael Esser, Leiter der Direktion Kriminalität der Polizei Köln.

Am frühen Mittwochmorgen fand in Köln, Hürth, Pulheim und Bergisch Gladbach eine Razzia mit 400 Polizeibeamten statt, die insgesamt 16 Wohnungen durchsuchten. „Wir haben Etliches an Beweismaterial festgestellt. Bis Ende September hat die Kommission 16 Tatverdächtige identifiziert. Drei von ihnen sind als Intensivtäter schon lange Zeit in dem Kommissariat in Bearbeitung gewesen. Alle 16 sind aber bereits mehrfach bei Delikten im Zusammenhang mit Fußballspielen in Erscheinung getreten“, berichtete Esser.

Die allesamt männlichen Tatverdächtigen sind zwischen 22 und 42 Jahre alt und besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. 15 von ihnen gehören einer der Ultra-Gruppierungen „Revolte“, „Wilde Horde“, „Domstadt Syndikat“ und der verbotenen Gruppe „Boyz“ an. Gegen fünf Verdächtige wurde aufgrund der Intensivtäterschaft ein Haftbefehl vollstreckt. Ihnen wird unter anderem Landfriedensbruch mit schwerer Körperverletzung vorgeworfen.

Während diese sowie zwei weitere Täter bereits mit einem bundesweiten Stadionverbot belegt wurden, liegt es nun in der Verantwortlichkeit des FC, weitere Stadionverbote für Köln auszusprechen. Gegen weitere beteiligte Personen wird auch mithilfe beschlagnahmter Handys ermittelt.

„Bis der letzte Fall in letzter Instanz bearbeitet worden ist, wird es zwei bis drei Jahre dauern“, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Dabei wünschen sich die zuständigen Behörden auch klarere Statements vonseiten des FC. „Wünschenswert wären mehr Ächtung der Gewalt und eine deutlichere Distanzierung“, so Esser.

Inwieweit auch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen in Nizza die Ausschreitungen begünstigt haben, ist noch unklar. Laut den Vereinsverantwortlichen wiesen die Kölner bei der ordnungsgemäßen Sicherheitsbesprechung im Vorfeld des Spiels auf eine mögliche Gewaltbereitschaft von Kölnern gemeinsam mit Pariser Anhängern hin. „Dass das womöglich mittelbar begünstigt worden ist, steht auf einem anderen Blatt. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, wer hier verantwortlich ist. Das sind die Gewalttäter“, so Polizeipräsident Falk Schnabel.

Neben der Suche nach den Tätern werfen die Ausschreitungen die Frage auf, wie derartige Kriminalität in Zukunft verhindert werden kann. „Ich sehe, dass wir uns im Kreis drehen. Es ist immer dieselbe sinnentleerte Brutalität testosteron-gesteuerter Schwerkrimineller. Wer solche Sachen macht, ist kein Fan, sondern dem sind Menschenleben nichts mehr wert“, erklärte Willuhn.

Neben den Strafverfolgungsbehörden nahm der Oberstaatsanwalt auch die Bevölkerung in die Pflicht: „Alle sind aufgefordert nachzudenken. Darf man sich von Boykott-Drohungen einer offen gewaltaffinen Subkultur erpressen lassen? Auch die, die entsprechendes Verhalten decken, müssen sich fragen, ob sie das wirklich wollen. Muss man weiterhin offene Bekenntnisse, Gesetze nicht beachten zu wollen, tolerieren, damit die Stimmung in den Stadien nicht gefährdet ist?“ Mit diesen Fragen wird sich auch der 1. FC Köln in Zukunft intensiver beschäftigen müssen.

Im Hinblick auf das dritte europäische Gruppenspiel des FC gegen Partizan Belgrad am Donnerstagabend in Köln wählte die Polizei den Zeitpunkt der Razzia bewusst aus. „Wir wollten noch vor diesem Spiel ein abschreckendes Bild gegen Gewalt im Fußball setzen. Wir werden die Erfahrung, die wir aus Nizza kennen, in das Spiel mit einfließen lassen“, sagte Schnabel.

Unter den erwarteten 270 Ultras sollen sich 80 Hooligans aus Köln sowie 100 bis 150 Risikopersonen aus Belgrad befinden. „Man wird sehen, ob die Aktion heute zu einer nachhaltigen Irritation in der Szene geführt hat und zur Ruhe beiträgt“, so Willuhn.

(mit Material von dpa)
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