Reformationsjubiläum in der Voreifel „Könnte sein, dass Luther twittern würde“

Superintendent Mathias Mölleken aus Meckenheim spricht im GA-Interview über das Reformationsjubiläum, Kirchenaustritte und Kabarett.

 In der Christuskirche in Meckenheim: Mathias Mölleken ist seit 2015 Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel.

In der Christuskirche in Meckenheim: Mathias Mölleken ist seit 2015 Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel.

Foto: Axel Vogel

Wogegen würde Luther heute seine Stimme erheben? Oder würde er eher 95 Tweets absetzen?

Mathias Mölleken: Das könnte gut sein, dass er twittert. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich gegen Formen von geistiger Enge, von Profillosigkeit wendet. Er würde sich sicher zu ethischen Fragen und gesellschaftlichen Entwicklungen äußern. Ich würde mir wünschen, dass er sich auch zum Flüchtlingsthema äußert. Denn jeder Mensch gehört zu Gottes Schöpfung.

Wie feiert der Evangelische Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel das Lutherjahr?

Mölleken: Ich spreche nicht gerne vom Lutherjahr, viel lieber vom Reformationsjubiläum. Denn es gab außer Luther noch viele Reformatoren. Wir bieten zahlreiche Veranstaltungen an, in denen die Gedanken der Reformatoren eine Rolle spielen. Entscheidend ist für uns die Relevanz für die heutige Kirche. Es gibt Vorträge, Konzerte, Lesungen und in der Tradition der Reformation auch Disputationen.

An wen richten sich die Veranstaltungen?

Mölleken: Wir feiern uns nicht selbst, wir möchten uns öffnen. Wir möchten attraktive Angebote machen und Luther auch kritisch beleuchten. Es soll keine evangelische Heldenverehrung werden. Denn Luther hat auch reaktionäre Positionen eingenommen, etwa gegenüber den Juden, den Türken oder im Bauernkrieg, die wir aus heutiger Sicht nicht gutheißen können. Wir wollen Luther als Mensch in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zeigen, als ganzheitliches Bild sozusagen.

Bei der Glaubenswoche im Februar treten prominente Kabarettisten wie Eckhard von Hirschhausen, Konrad Beikircher, Jürgen Becker und Wilfried Schmickler auf. Humor gehört ja nicht zu den Kernkompetenzen der evangelischen Kirche. Denken Sie um?

Mölleken: Es ist ein weit verbreitetes Klischee, dass wir zum Lachen in den Keller gehen. Christen und Christinnen aus den Gemeinden in Swisttal und Euskirchen gehen auch in den Karnevalszügen mit. Unser Jubiläumsmotto „Vergnügt, erlöst, befreit“ stammt aus einem der Psalmgedichte von Hanns Dieter Hüsch. Und auch Luther war lebensfroh und den Genüssen der Welt nicht abgeneigt.

Jürgen Becker scheint die Evangelische Kirche nicht zu mögen. Einst sangen er und Norbert Alich: „Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin“. Im Februar in der Thomas-Kirchengemeinde heißt Konrad Beikirchers Vortrag „500 Jahre falscher Glaube“. Warum haben Sie ihn eingeladen?

Mölleken: Sein Programm kenne ich noch nicht, bin aber gespannt, was er zu sagen hat. Ich denke aber schon, dass er uns gewogen ist.

Was hat Martin Luther uns heute zu sagen?

Mölleken: Tritt fest auf, tu's Maul auf, hör bald auf. Damit warb er für klare Standpunkte, die man auch offensiv vertreten soll. Und er wandte sich gegen endlose Diskussionen. Im Sinne seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ würde uns Luther heute sicher auffordern, angstfrei und offen mit Autoritäten umzugehen, mutig unsere Stimme zu erheben und dem Gewissen zu folgen.

Es scheint, als dominierten in Deutschland, in Europa und auch global immer mehr nicht-christliche Werte. Nächstenliebe, oder politisch: Solidarität, scheint immer weniger zu zählen. Hat die christliche Botschaft noch eine Chance, gehört zu werden?

Mölleken: Es stimmt, der laizistische, also säkulare, religionskritische Einfluss nimmt zu. Auf der anderen Seite wächst aber auch das Bedürfnis vieler Menschen nach Antworten auf die Grundfragen des Lebens. Ob unsere Antworten lebensnah sind, müssen wir ständig überprüfen. Das Reformationsjahr bietet eine gute Chance, uns auf unsere Wurzeln zu besinnen. Dankbar bin ich, dass viele Solidarität und Hilfsbereitschaft zum Beispiel für Flüchtlinge zeigen.

Auch die evangelische Kirche hat mit vielen Austritten und sinkenden Besucherzahlen in den Gottesdiensten zu kämpfen. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung?

Mölleken: Wir sollten unsere Sprache verständlicher machen, wie es schon Dietrich Bonhoeffer vorgeschlagen hatte. Ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend wie die Sprache Jesu. Die Zahl der Austritte steigt zwar, aber auch die Zahl der Taufen.

Es ist viel von Toleranz gegenüber anderen Religionen die Rede. Wie weit sollte diese Toleranz gehen?

Mölleken: Zu meinem Menschenbild gehört es, dass wir alle Geschöpfe Gottes sind. Darauf folgt die Bereitschaft, auch mit Angehörigen anderer Religionen freundschaftlich zu sprechen ohne das Ziel der Missionierung. Die Toleranz endet bei der Anwendung von Gewalt. Zwischen Bad Godesberg und Euskirchen befinden wir uns in guten Gesprächen mit den den muslimischen Gemeinden.

Heiner Geißler schreibt in seinem Luther-Buch, das Reformationsjahr biete die Chance zur Wiedervereinigung der beiden christlichen Kirchen. Denn die Gründe für die Trennung vor 500 Jahren bestünden nicht mehr. Wie bewerten Sie das?

Mölleken: Ich freue mich über die große Offenheit der katholischen Gemeinden. Auch der Papst gibt wichtige Impulse. Dennoch gibt es immer noch theologische Unterschiede, etwa hinsichtlich des Abendmahls. Wenn wir unsere Gemeinsamkeiten entdecken und stärken, sind die Unterschiede nicht mehr so wichtig. Eine Wiedervereinigung werde ich wohl nicht mehr erleben.

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