Studienergebnisse für den „Corona“-Hotspot Gangelt Lockerung der Corona-Maßnahmen scheint möglich

Düsseldorf/Gangelt · Der Bonner Virologie-Professor Hendrik Streeck hat in Düsseldorf in einem Zwischenbericht die ersten vorläufigen Ergebnisse der „Covid-19 Case-Cluster-Study“ vorgestellt - mit einer überaus guten Nachricht.

 Das Ortsschild von Langbroich, einem Ortsteil der Gemeinde Gangelt, ist am Rand des Ortes zu sehen. Aus diesem Ort kam der erste bestätigte Coronavirus-Fall in Nordrhein-Westfalen.

Das Ortsschild von Langbroich, einem Ortsteil der Gemeinde Gangelt, ist am Rand des Ortes zu sehen. Aus diesem Ort kam der erste bestätigte Coronavirus-Fall in Nordrhein-Westfalen.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Die gute Nachricht zuerst: Professor Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB), hält eine beginnende Lockerung der strengen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus inzwischen für möglich. Vorausgesetzt, dass sich die Bundesbürger auch weiterhin so aktiv und diszipliniert wie bisher an die geltenden Vorsichtsmaßregeln halten. Grundlage für diese Einschätzung sind Daten aus dem von ihm geleiteten Forschungsprojekt „Covid-19 Case-Cluster-Study“.

Die Prävalenzstudie in der frühzeitig und besonders betroffenen 12.529 Einwohner zählenden Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg lässt in ihrer Methodik repräsentative Schlüsse zur Verbreitung des Erregers, zur Zahl der tatsächlichen Erkrankungen und auch zur Letalität der erkrankten Personen zu. Das Forschungsprojekt hat am 30. März 2020 begonnen und ist für einen Zeitraum von vier Wochen angelegt. An der Studie arbeitet derzeit ein Team von 80 medizinischen studentischen Hilfskräften, Ärzten und Wissenschaftlern.

Erste Schlussfolgerungen der Studie präsentiert

Ein vorläufiges Ergebnis sowie erste Schlussfolgerungen hat Streeck am Donnerstag in der Staatskanzlei an den Auftraggeber dieser Untersuchung, den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, übergeben. Anschließend beantwortete er gemeinsam mit seinen Studienkollegen am UKB - Professor Gunther Hartmann (Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation2) und Professor Martin Exner (Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit) die Fragen der per Video zugeschalteten Journalisten.

Die beiden interessantesten Untersuchungsergebnisse betreffen die nachweisbaren Infektionen mit Sars-CoV-2 sowie die Sterblichkeit unter den Patienten, die an der von diesem Virus verursachten Atemwegserkrankung Covid-19 leiden. Die Rate der aktuell oder bereits durchgemachten Infektionen beträgt in Gangelt zurzeit insgesamt 15 Prozent. Die Letalität (Todesrate) wird, bezogen auf die Gesamtzahl der dort Infizierten, mit 0,37 Prozent angegeben.

Die für Deutschland von der Johns-Hopkins University berechnete Letalität (Todesrate) von 1,98 Prozent ist um das Fünffache höher. Dieser Unterschied, so Streeck, erkläre sich aus jeweils anderen Bezugsgrößen der Infizierten. Kurzum: Die Studie in Gangelt erfasst alle: auch diejenigen mit asymptomatischen und milden Verläufen. Der Anteil der Bevölkerung, der bereits eine Immunität gegen SARS-CoV-2 ausgebildet hat, beträgt 15 Prozent.

Studie lobt an die Bürger und die Landesregierung

Die Studienergebnisse sagen darüber hinaus aber auch schon einiges über den jetzigen Umgang mit dem Infektionsrisiko: „Wir haben gelernt, wie wir uns hygienisch richtig verhalten." Dies erlaubt gewisse Erleichterungen. Das von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) für Epidemien vorgeschlagene Vierphasenmodell sieht als ersten Schritt die „gesellschaftlichen Quarantänisierung mit dem Ziel der Eindämmung und Verlangsamung der Pandemie und Vermeidung einer Überlastung der kritischen Versorgungsstrukturen insbesondere des Gesundheitsversorgungssystems“ vor. Dieses Ziel sei von der nordrhein-westfälischen Landesregierung konsequent umgesetzt und von den Bürgern diszipliniert eingehalten worden, lobte Streeck. Es sei nun möglich, in Phase zwei einzutreten. Das bedeutet „beginnende Rücknahme der Quarantänisierung bei gleichzeitiger Sicherung hygienischer Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen.“

Der Blick richtet sich dabei vor allem auf den Schutz vulnerabler (vorerkrankte) Personen in Krankenhäusern, Seniorenheimen sowie im ambulanten Pflegedienst. Dort müsse, so forderte Exner, auch weiterhin eine „restriktive Politik" aufrechterhalten werden. Es sei „nicht auszuschließen, dass eine längere Zeit der Abstinenz zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen aufrechterhalten werden muss." Dies gelte auch für Kinder und Jugendliche, wenn der reguläre Schulbetrieb wieder fortgesetzt werden kann. Denn auch wenn diese Altersgruppe milde bis symptomlose Verläufe der Erkrankung zeige, könne sie das Virus unwissentlich weitergeben. „Denn gerade zu Beginn der Inkubationszeit (zwischen Ansteckung und Auftreten der ersten Symptome) ist die Zahl der Viren in Mund und Rachen besonders hoch“, warnte Exner.

Virus kann über einen langen Zeitraum auf Flächen überleben

Das Virus könne über einen langen Zeitraum auch auf Flächen überleben. Um eine Corona-Infektion auszulösen, müsse es aber in die Schleimhäute gelangen – etwa über Mund oder Augen. Gründliches Waschen der Hände mit Seife löse die Viren gut ab und könne sie „inaktivieren“, sagte der Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit. Es klinge banal, sei aber wichtig, solche Hygiene-Maßnahmen ganz bewusst zu trainieren. Das ist, was jeder einzelne für sich tun könne. Zudem spielt die Viruskonzentration eine wichtige Rolle, auf die Hartmann ausdrücklich hinwies.

Durch das Einhalten von stringenten Hygienemaßnahmen sei sie voraussichtlich soweit reduzierbar, dass die Krankheit weniger schwer verläuft und trotzdem eine Immunität hinterlässt. Bei einem außergewöhnlichen Ausbruchsereignis (superspreading event) wie der Kappensitzung in Gangelt-Langbroich am 15. Februar sei genau das nicht gegeben. Doch bei jetziger und auch künftiger Einhaltung der Hygienemaßnahmen rechnet der Virologe mit günstigen Effekte hinsichtlich der Gesamtmortalität. „Wir gehen von einer Immunitätsdauer zwischen sechs und 18 Monaten aus“, erklärte Hartmann. Wobei das VirusSars-CoV-2 - und das ist eine weitere ermutigende Nachricht – nach überstandener Infektion wieder vollständig aus dem Organismus verschwinde, was nicht bei allen Erregern der Fall sei. Wenn also in einer Hochprävalenzregion wie Gangelt die Rate der Immunisierten bei 15 Prozent liege, trage dies dort bereits zur Verlangsamung der Ausbreitung bei. Der Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch (CDU) hatte eingangs berichtet, die restriktiven Schutzmaßnahmen zeigten mittlerweile Wirkung. Die Kurve der Infektionszahlen flache ab. „Der Kreis Heinsberg ist an einer riesengroßen Katastrophe vorbei geschlittert.“

Quarantäne bis zur Entwicklung des Impfstoffes nicht zumutbar

Der Bericht sei eine Zwischenbilanz – auch mit dem Ergebnis dass eine Quarantäne bis zur Entwicklung eines Impfstoffes in beispielsweise einem Jahr weder zumutbar noch notwendig ist, wie Hartmann sagte. „Jetzt sind wir an einem Punkt wo wir lernen müssen, dass Sars-CoV-2 in der Bevölkerung bleiben wird. Wir müssen lernen, damit zu leben und die Gefahren richtig einzuordnen“, schloss Streeck.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) betonte zum Abschluss, die Covid-19 Case-Cluster-Study sei „ein weiterer Baustein, der uns hilft, zu einer verantwortlichen Entscheidung zu kommen." Zu definieren, wie diese aussehen, ist Anfang nächster Woche Aufgabe der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Ministerpräsidenten der Länder.

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