Dantes "Göttliche Komödie" in Köln Per Fahrstuhl in die Unterwelt

Köln · Als ramponierter Veteran mit verblichenem Kreuzritterzeichen kehrt Dante aus irgendeinem Krieg zurück. Willkommen im Hinterhofghetto mit Wohnwaben und Garagen. Er klingelt bei Beatrice, doch dort wohnt nun eine halbseidene Dame (Nicola Gründel) mit schlechten Nachrichten: Die Angebetete sei unbekannt verzogen und ruhe wohl unten auf dem verschneiten Friedhof.

 Sinnsucher in der Defensive: Dante (Guido Lambrecht) beugt sich einer namenlosen Frau (Nicola Gründel).

Sinnsucher in der Defensive: Dante (Guido Lambrecht) beugt sich einer namenlosen Frau (Nicola Gründel).

Der mittelalterliche Dichter und Erlösungssucher Dante landet in Sebastian Baumgartens Kölner Inszenierung der "Göttlichen Komödie" hart in der gottlosen Gegenwart samt Flüchtlingselend und Hubschraubergeknatter. Hier wird er vom Kunsthistoriker beäugt, vom Arzt fitgespritzt und mit einem seltsamen Hokuspokus-Ritus auf die Reise vom Orkus bis ins Paradies geschickt.

Dante Alighieri wurde vor 750 Jahren geboren. Und er hat in den mehr als 14 000 Versen seines Hauptwerks vor allem eine gewaltige Bilderfabrik errichtet, die Maler wie Botticelli, Hieronymus Bosch oder William Blake zu suggestiven Höllen- und Fegefeuervisionen inspiriert hat. Mit Tornados nackter Leiber, reißenden Blutströmen und klirrenden Eissümpfen kann Baumgarten im Depot 1 naturgemäß nicht dienen.

Doch das Theater hält nicht allein mit markerschütternden Glockenschlägen wacker dagegen: Der dreiköpfige Kerberos erscheint als dämonisches Hologramm, aus roten Lasterhöhlen dringen Schreie sowie Nebel. Fenster werden per Videoprojektion zu Haifischbecken, und auch die Infernoflammen züngeln hier elektronisch. Noch stärker als solche technischen Einfälle aber wirkt die gespenstische Szene des Grafen Ugolino, der mit gelassenem Kannibalismus seinen Peiniger verzehrt.

Ins Zentrum der zweistöckigen Bühne hat Thilo Reuther einen Fahrstuhl in die Unterwelt gebaut. Der darf gelegentlich auch mal im Slapstick-Parterre halten, wo zwei groteske Fettsäcke herumkugeln oder die Geizhälse unterm Goldkonfettiregen marschieren. So schillert das Spektakel zwischen Geisterbahn und Halloween-Party, wobei durch die albernen Passagen ein Hauch von "Rocky Horror Dante Show" weht.

Schon der Gewaltmarsch durch Dantes neun Höllenkreise mit all ihren gelehrten Anspielungen hätte eine halbe Ewigkeit gedauert, weshalb Baumgarten und Chefdramaturg Jens Groß das Textgebirge sprengten. Doch in ihrem Steinbruch aus Originalversen und Eigenkreationen fällt die Orientierung erst recht schwer.

Dunkel bleibt mancher Rede Sinn, wobei durchaus erstaunt, wie geläufig etwa Seán McDonagh als Dantes Begleiter Vergil die alten Verse über die Lippen perlen. Gleicht der Höllenparcours einer irrlichternden Nummernrevue, so werden die sieben Sündersphären (von Hochmut bis Wollust) des Fegefeuers eher artig abgehakt. Und da Baumgartens dramaturgische Brücke ins Heute arg wacklig wirkt, taucht irgendwann inmitten aller sprunghaften Kurzweil schon die Frage auf, was denn eigentlich im Kern erzählt werden soll.

Guido Lambrechts Dante aber schafft es, dem diffusen Ganzen intensive Dringlichkeit zu geben: als Liebeskranker, orientierungsloser Sinnsucher oder als Dichter, der sich mit der Schreibmaschine aus der Schaffenskrise hämmert.

Sein "paradiesischer" Lohn indessen schmeckt bitter: Die geläuterte Liebe der jenseitigen Beatrice (heiter-grausam: Yvon Jansen) wirkt hier kälter als der Tod. Und Dante kommt nach einer gesprochenen Wahnsinnsarie zu dem Schluss: "Ich bin Niemand. Mein Name ist Niemand. Ich versuchte, ein Paradies zu schreiben." Erlösung: Fehlanzeige. Einhelliger Beifall.

0 140 Minuten, ohne Pause. Weitere Aufführungen: 16., 18., 21./22. u. 24.4., je 19.30 Uhr. Karten-Tel.: (0221) 221 28400.

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