Heinrich Schöpe aus Ruppichteroth Sammeln unter Lebensgefahr

RUPPICHTERROTH · Heinrich Schöpe bewahrte als Junge im Zweiten Weltkrieg verbotenerweise Flugblätter der Alliierten auf, die in der Nähe seines Heimatdorfes niedergingen. Jetzt ist er im Siegburger Kreisarchiv auf einen Teil seiner Fundstücke von damals gestoßen und hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben.

 Heinrich Schöpe sichtet im Siegburger Kreishaus Material und erkennt einige seiner eigenen Fundstücke wieder.

Heinrich Schöpe sichtet im Siegburger Kreishaus Material und erkennt einige seiner eigenen Fundstücke wieder.

Foto: Sascha Stienen

Nun sind sie schon über 70 Jahre alt, und doch machen die Flugblätter der Engländer und Amerikaner das Grauen des Zweiten Weltkrieges noch spürbar. Eines zeigt drei tote deutsche Soldaten 1943 in Stalingrad, Tunis und Sizilien. Unter jedem steht weiß auf blutrot: „Um Zeit zu gewinnen“. Ein anderes Flugblatt zeigt zwei Eichenblätter, auf denen steht: „In Russland decken gefallene Blätter gefallene Soldaten“ und „Die Blätter fallen, der versprochene Endsieg bleibt aus“.

Es sind nur zwei der mehr als 150 verschiedenen Flugblätter, die Heinrich Schöpe zwischen 1939 und 1943 gesammelt hat – verbotenerweise. Der heute 89-Jährige erzählt in seinem Buch „Gegen den Strom“, wie er sich als Schuljunge für die feindlichen Flugblätter regelrecht „begeisterte“.

Nach jedem Fliegerangriff ging er im Umkreis seinen Heimatortes Velken bei Ruppichteroth auf die Suche: „Wie ein streunender Hund lief ich über Felder, Wiesen und Weiden, um feindliche Pamphlete zu finden, was an sich streng verboten war“, erzählt er. Eigentlich hätten die Flugblätter als Feindpropaganda ungelesen an Ort und Stelle vernichtet oder bei den Polizei- oder Parteidienststellen abgeliefert werden müssen.

Doch der Teenager Heinrich Schöpe behielt die Flugblätter. Und wenn ein Exemplar vom Regen in Mitleidenschaft gezogen wurde, half Mutters Bügeleisen auf dem Hof in Velken, um das Flugblatt zu glätten und wieder lesbar zu machen. Die Eltern standen dem Nazi-Regime kritisch gegenüber, hörten abends bei geschlossenen Fenstern und Türen den sogenannten Engländer, die BBC London mit dem Sendezeichen: „tamm, tamm, tamm, hier ist England, hier ist England“.

Vater Karl trug das Herz auf der Zunge und erzählte den Nachbarn im Dorf gerne über den wahren Kriegsverlauf und hielt mit seiner Meinung über Hitler und dessen Weltherrschaftspläne nicht hinterm Berg. Woraufhin Mutter Lina haderte: „Du bringst uns noch alle an den Galgen.“ Doch nie sind die Eltern von Mitbürgern denunziert worden – womöglich auch deshalb, weil die Bauernfamilie großzügig Lebensmittel an die Nachbarn abgab, als die Rationen knapper wurden.

Junior Heinrich glaubte jedenfalls schon lange nicht mehr an den Endsieg, als er 1944 eingezogen wurde. Damit endete auch seine Sammelleidenschaft. Die gesammelten Flugblätter schnürte er zu einem kleinen Päckchen zusammen und schrieb darauf: „Dieses Paket bitte nicht vernichten. Wichtige Dokumente für die Nachkriegszeit.“ Die Flugblätter werden heute sicher verwahrt und katalogisiert im Kreisarchiv in Siegburg, ein kleiner Teil liegt im Bonner Stadtarchiv. Bei einem Termin im Siegburger Kreisarchiv blättert Heinrich Schöpe in den von Klaus Kirchner editierten Flugblatt-Sammelbänden und erkennt manche seiner wertvollsten Fundstücke wieder.

Die Erlebnisse und Erinnerungen aus der Jugendzeit, dem Zweiten Weltkrieg und aus fünfjähriger russischer Kriegsgefangenschaft, 1926 bis 1949, hat er in seinem Buch „Gegen den Strom“ niedergeschrieben. Dazu gehört die Kindheit und Jugend in Velken, aber auch seine Zeit als Soldat in den letzten beiden Kriegsjahren und die fünfjährige Gefangenschaft.

Zu den spannendsten Stellen in Heinrich Schöpes Buch gehört die Schilderung der Gefangennahme am 15. Januar 1945 an der Weichsel-Front. „Doch die eigentlich schlimmste Schrecksekunde erlebte ich, als ein Rotarmist seine Pistole mir in den Nacken drückte. Da fiel mir das Herz in die Hose.“ Der 19-Jährige fürchtete, dass der Russe jeden Augenblick abdrücken würde. „Doch er tat es nicht. Er stellte sich vor mich und sagte: ,Nix puch, puch Kamerad’ und lachte mich dabei an.“

Später, als Kriegsgefangener, erlebte Heinrich Schöpe die Russen nicht als jene Barbaren, als die sie Hitlers Propaganda beschrieben hatte. „Die Angstmacherei der Nazis war so gedacht, dass sich keiner leichten Herzens in Gefangenschaft begeben, sondern lieber den Heldentod für den Führer sterben sollte“, sagt Schöpe heute. Er jedenfalls machte mit den Russen gute Erfahrungen, weshalb er sein Buch auch als einen Beitrag zur Völkerverständigung versteht – und als Warnung davor, pauschalen Vorverurteilungen ganzer Volksgruppen zu glauben.

Nach dem Krieg wurde Heinrich Schöpe Jurist und arbeitete von 1962 bis zu seiner Pensionierung im Bonner Bundesbauministerium, wo er unter anderem für den Grunderwerb der Bundesrepublik Deutschland zuständig war. So hat er die Verhandlungen über den Kauf des Petersbergs geführt, auf dem später das Gästehaus der Bundesregierung errichtet wurde. Der Wahl-Bonner hat drei Kinder und sieben Enkelkinder. Seine Kinder fragen manchmal nach, wie es zur Zeit des Krieges war. „Ich hoffe, dass auch meine Enkel, wenn sie ein bisschen älter sind, noch mehr über mich erfahren möchten“, erläutert Heinrich Schöpe, warum er seine Erinnerungen aufgezeichnet hat. „In turbulenten Zeiten können Zufälle im Leben von wichtiger Bedeutung sein“, sagt er. „Auch in bin ja buchstäblich dem Tod von der Schippe gesprungen.“

Heinrich Schöpe gibt sein 202 Seiten starkes Buch „Gegen den Strom“ im Eigenverlag heraus. Wer ein Exemplar zum Kostenbeitrag von jeweils zehn Euro bekommen möchte, kann sich bei ihm melden.
Kontakt: Heinrich.schoepe@t-online.de oder unter 0228/9483186.

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