Kölner Kabarettist Serdar Somuncu hat ein neues Album

Köln · Der Kölner Kabarettist Serdar Somuncu klingt auf seinem neuen Album unaufgeregt und ein bisschen kitschig. Das sind die Inhalte.

 Serdar Somuncu: "Ich bin nicht auf dieser Welt, um mich zu verschwenden".

Serdar Somuncu: "Ich bin nicht auf dieser Welt, um mich zu verschwenden".

Foto: Karlheinz Schindler

Serdar Somuncu ist erst vor wenigen Tagen aus seinem Urlaub zurückgekehrt und steckt schon wieder mittendrin. Mitten in Köln, mitten im Leben und mitten in Debatten, die laut sind und anstrengend. Debatten, in denen es - um es mit Sigmar Gabriel zu sagen - brodelt und stinkt.

"Wenn ich im Urlaub Zeitung lese, was ich vermeide, habe ich immer das Gefühl, in Deutschland passieren gerade schlimme Dinge. Immer Eskalation, immer Apokalypse." "Da sehe ich die Bild-Zeitung als ganz großes Übel. Sie triggert ganz bewusst etwas, das in großen Teilen der Bevölkerung latent da ist: Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz.

Das ist ein Zündeln, ein Anschlag auf unsere vielfältige, demokratische, multi-kulturelle Gesellschaft."Kommen wir zum Album: "Baby bleib hier", "Sextape" und "Dunkle Liebe" heißen die Stücke. Unaufgeregt, ein bisschen kitschig und angenehm entspannt klingen sie. Und das von einem Mann, der sonst als "Hassprediger" auf der Bühne steht, eine "Hatenight-Show" moderierte und der seinen Durchbruch mit einem Bühnenprogramm feierte, für das er aus Hitlers "Mein Kampf" rezitierte."Es war an der Zeit, mal wieder etwas Musik zu machen", erzählt Somuncu. "Mir war danach."

Die meisten kennen nur eine Seite von Somuncu, die laute, provokante, radikale Seite. Die Reaktionen auf das Album? "Die Leute waren geradezu schockiert." Es mache ihn zwar stolz, dass er in seiner Rolle so erfolgreich gewesen ist, dass er mit ihr identifiziert werde. "Aber wenn das zu einem Gefängnis wird, und die Menschen von mir nur noch diesen Typus erwarten, dann fühle ich mich unwohl und muss mich davon lösen.

"Vielleicht seien die ruhigeren Töne auch seinem Lebensalter geschuldet. "Die Themen, die mich heute bestimmen, sind andere als vor 20 Jahren, als ich anfing", erzählt der 51-Jährige."Die Rolle des Hassias spielte ich während einer Phase, in der andere Dinge auf mich wirkten: die Rollenbesetzungspraktiken, Zuweisungen aus den Redaktionen, das Reduziertwerden auf meine türkische Herkunft - ich war nicht gleichwertig mit anderen Schauspielern. Ich musste immer den Türken spielen, mit Akzent sprechen, mich verkleiden."Aus diesem Opferdasein suchte er den radikalsten Ausweg und mimte auf der Bühne den Täter.

"Diese Rolle war damals zeitgemäß, weil sie ungewöhnlich war und mit vielen Regeln gebrochen hat", erzählt Somuncu. Berühmt wurde seine Aussage: "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung." Somuncu: "Im Endeffekt war das ja eine Nivellierung der Ebenen."Doch die Zeit habe diese Rolle eingeholt. "Irgendwann ist jeder Comedian auf die Bühne gegangen und hat gesagt ‚Ihr Arschlöcher‘, hat alle beleidigt - vielleicht sogar ohne Grundlage."

Für ihn der Zeitpunkt, sich von dieser Form des Auftretens zu lösen, weil es berechenbar geworden sei. "Und alles, was berechenbar ist in der Kunst, ist langweilig", so Somuncu. "Und der Mut, etwas Neues zu machen, heißt heute, tatsächlich herunterzukommen und zu sagen: Ich bin jetzt mal leise und nachdenklich. Denn vieles, was heute stattfindet in der Öffentlichkeit, ist sehr laut und aggressiv."

Eine Mitschuld sieht Somuncu auch bei Politikern, die immer populistischer würden, um Wählerstimmen zu bekommen. Politiker gingen mit ihrer Verantwortung sträflich um, wenn es ihnen nur um Ämter und Mandate gehe. Viele würden es vermeiden, "echt" zu reden und Probleme anzusprechen. Ebenso wünsche er sich von Künstlern, dass sie sich aktiver in gesellschaftliche Debatten einmischten.

"Wir dürfen die Diskussion darüber, welche Werte für uns gelten, nicht den extremen Rechten und anderen Demagogen überlassen."Zurück zum Album: Es heißt "SYSPHS" und ist benannt nach der Figur der griechischen Mythologie, die die Götter nach aller Manier zum Narren macht und am Ende in die Unterwelt gezwungen wird. Dort muss sie zur Strafe einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen, der kurz vor dem Gipfel jedes Mal wieder ins Tal rollt. Ist es Sisyphusarbeit, die Sie verrichten? "Was ich mit der Figur gemeinsam habe, ist vielleicht die Ausdauer und der Glaube an die Dinge, die ich gemacht habe", antwortet Somuncu. "Zum Teil war das immer wieder eine Sisyphosarbeit, Menschen, Redakteure und auch mich selbst zu überzeugen, dass ich den richtigen Weg gehe."

Seine schier unendliche Produktivität als Kabarettist, Autor, Regisseur, Satire-Politiker, Musiker, Schauspieler und Synchronsprecher erklärt Somuncu mit einer Art Verantwortungsgefühl: "Ich bin nicht auf dieser Welt, um mich zu verschwenden, sondern will all das in mir finden, was vorhanden ist." Und was ist noch vorhanden, was er noch nicht ausprobiert hat? "Opernregie habe ich noch nie gemacht", antwortet er - man könnte auch sagen: kündigt er an.

"Ich habe Musik, Schauspiel und Regie studiert und wäre eigentlich prädestiniert dafür. Es wird wohl eins der letzten Dinge sein, die ich mache, bevor ich in den Sarg steige."In Zukunft also ein bisschen Oper und vor allem künstlerischer Frieden, um dem gesellschaftlichen Eskalationsmodus etwas entgegenzusetzen? Unwahrscheinlich. Im Früh-jahr 2020 feiert Serdar Somuncu sein Jubiläum - 33 Jahre Bühnenauftritte. Wie die dazugehörige Tour heißt? "GröHaZ - Der größte Hassias aller Zeiten".

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