Rundgang auf dem Melaten-Friedhof Kölner führt 300 Jahre alte Steinmetztradition fort

Köln · Jahrhundertealte Reliefs, Skulpturen und Gruften: Die Grabstätten auf Kölns ältestem Friedhof sind Kulturdenkmäler. Der 66-jährige Johann Steinnuss ist auf dem Melaten-Friedhof groß geworden.

 Auf dem Melaten-Friedhof in Köln stehen jahrhundertealte und denkmalgeschützte Grabstätten.

Auf dem Melaten-Friedhof in Köln stehen jahrhundertealte und denkmalgeschützte Grabstätten.

Foto: Benjamin Westhoff

Wenn Johann Steinnus und sein Kollege Grabdeckel reparieren, kann es schon mal vorkommen, dass Friedhofsbesucher panisch wegrennen. Erst kürzlich jagten sie einer Frau einen solchen Schrecken ein, dass sie die Flucht ergriff. Die beiden Handwerker waren unter der Erde in einer der Familiengruften auf der sogenannten „Millionenallee“ von Melaten zugange. Sie führt von der Friedhofskapelle nach Westen und ist für die vielen imposanten Gräber prominenter Kölner bekannt.

Dann wuchteten die Männer nach getaner Arbeit den Deckel der Gruft auf – von innen. Der Grabdeckel schwingt also hoch, erinnert sich Steinnus, schmutzige Männerarme tasten sich nach draußen – es war zu viel für die junge Frau. Noch während die Männer aus dem Grab kletterten, hörten sie ihre Schreie und sahen, wie sie wegrannte. Er muss lachen, wenn er davon erzählt.

Die Gruft ist denkmalgeschützt – wie so viele Grabanlagen auf Kölns ältestem Friedhof. Ein Großteil der alten Grabmale sind aber in keinem guten Zustand. Bunte Mosaike verblassen in Wind und Wetter, Standbilder verlieren schon mal ihre Nase – hier beginnt die Arbeit von Johann Steinnus. Der 66-jährige Kölner ist auf Melaten groß geworden. Sein Vater, der ebenfalls Steinmetz war, nahm ihn als kleinen Jungen mit auf den Friedhof. Auch sein Großvater und Urgroßvater arbeiteten als Steinmetze – Johann Steinnus führt die über 300 Jahre alte Steinmetztradition seiner Familie fort.

„Ursprünglich wollte ich Schmied werden, doch dann gab es was hinter die Ohren, und ich wurde Steinmetz“, erzählt Steinnus. Eins macht er aber doch anders als sein Vater, denn der entwarf und schlug vor allem neue Grabsteine. Steinnus Junior liegt besonders die Restaurierung alter oder denkmalgeschützter Grabstätten am Herzen.

Aufträge für Renovierungen bekommt der Steinmetz von der Stadt Köln, der viele der alten Grabstätten gehören, oder von sogenannten „Gräberpaten“. Im Jahr 1981 hatte Kölns damalige Stadtkonservatorin Hiltrud Kier die Idee für das Patenschaftssystem: Ein Interessent sucht sich eine denkmalgeschützte Grabanlage aus, und verpflichtet sich, sie zu pflegen und instand zu halten. Als Gegenleistung hat er dann das Recht, jemanden in dieser Grabstelle beizusetzen. „Bei der Patenschaft gibt es nur Gewinner“, findet Steinnus. Die Stadt Köln muss kein Geld für Restaurierungen ausgeben, die alten Denkmäler bleiben in gutem Zustand, und der Pate bekommt eine Grabstätte, die er sich wahrscheinlich sonst nicht hätte leisten können. Darüber hinaus bedeuten die Renovierungen Arbeit für den Handwerker, freut sich Steinnus. „Und ein ganzes Stück Kultur bleibt erhalten.“

In der Restaurierung liege für ihn ein besonderer Reiz, aber auch eine besondere Verantwortung, sagt der Steinmetz. „Wenn etwas Neues kaputtgeht, dann kneife ich mich irgendwo und schreie laut ‚scheiße‘ und mach es neu. Aber im anderen Fall gehen ein paar Hundert Jahre Geschichte zum Teufel.“

Eine alte Grabstätte zu restaurieren, nennt er „forensische Spurensuche“, und tatsächlich gleicht das, was Steinnus tut, der Arbeit eines Detektivs. „Wir analysieren den Lichteinfallwinkel, die Strukturen des Steins“, erklärt Steinnus. Ist das eine Bröselkante? Oder wurde das mit Absicht so gehauen, und, wenn ja, wie? War der Steinmetz Rechts- oder Linkshänder? Herauszufinden, wie genau er ein Denkmal bearbeiten muss, um originalgetreu zu bleiben, sei für ihn spannender als jeder Krimi. Natürlich gestaltet Steinnus auch neue Grabsteine und Gruften.

Sein Atelier liegt in der Aachener Straße in Köln. Zuletzt hat er wochenlang an der letzten Ruhestätte für den Künstler Gerhard Richter gearbeitet. „Vom Sozialhilfeempfänger bis zum Milliardär, vom Hilfsschüler bis zum Nobelpreisträger, auf meinem Stuhl hat sich schon jeder beraten lassen“, erzählt der Steinmetz. Manchmal sind es Hinterbliebene, die ihn beauftragen, oft bestellen aber auch Lebende bei ihm ihre eigene letzte Ruhestätte.

Steinnus findet es besonders schön, das Werk dann persönlich an seinen Kunden zu übergeben – auf dem Friedhof, am künftigen Grab, mit einem Glas Champagner in der Hand: „Die Leute freuen sich darauf, irgendwann dort einzuziehen“, sagt Steinnus. „Man lebt gerne, aber wenn es so weit ist, weiß man, wo man hinkommt.“

Steinnus weiß selbst ganz genau, wo sich seine letzte Ruhestätte befinden wird: Seit den 1980er Jahren ist er Pate des wohl bekanntesten Grabmals auf dem Melaten-Friedhof: dem Sensenmann. Am westlichen Hauptweg zwischen den Fluren 82 und 76B befindet sich die Figur, die in der rechten Hand eine Sanduhr und in der linken eine Sense hält. „Ich finde es beruhigend zu wissen, dass ich immer einen festen Platz habe, im Leben wie auch im Tod“, sagt Steinnus. Er hat keine Angst vor dem Tod. Für ihn steht fest: so wie kein Mineral verloren geht, wenn sich ein jahrhundertealter Stein auflöst, so ist auch der Tod noch nicht das Ende für einen Menschen. „Alles ist ein Kreislauf, und Energie geht nie verloren“, sagt Steinnus. „Ich bin neugierig, wo es nach dem Tod hingeht.“

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