Serie „Das ist Rheinisch“ Wer das Kreuz in der Hand hält, segnet sich zuerst

Rheinland · Wir erklären kurz und knapp alles, was man über den rheinischen Dialekt wissen muss. Immer mit dabei eine rheinische Redensart. Diesmal: „Wer et Krüz en de Hand hätt, sähnt sich zoirsch.“

 Wer das Kreuz in der Hand hält, segnet sich zuerst!

Wer das Kreuz in der Hand hält, segnet sich zuerst!

Foto: GA-Grafik

Der Rheinländer hat ein ausgesprochen feines Gespür für Charakterstärke. Vor allem, was seine Mitmenschen angeht. Da führt er mental ein ganzes Arsenal an geeigneten Prüfverfahren mit sich. Im katholischen Rheinland, in dem das kirchliche Leben mit all seinem Beiwerk über Jahrhunderte prägendes Querschnittsthema war und ist, dreht sich in dieser Hinsicht auch viel um Gott und die Gläubigen.

Das offenbart sehr schön die rheinische Redensart: „Wer et Krüz en de Hand hätt, sähnt sich zoirsch.“ Zu gut Hochdeutsch bedeutet das: Wer das Kreuz in der Hand trägt, segnet sich selbst zuerst! Segnen ist aber etwas, das man für gewöhnlich seinem Mitmenschen zuteilwerden lassen sollte.

Warnung vor Egoismus

Es ist sicher nicht im Sinne des Erfinders, egoistisch sich selbst mit göttlicher Zuwendung auszustatten. Deshalb handelt es sich bei diesem Satz zweifelsfrei um eine Warnung. Hier spricht der genetische Alltagskatholik mit einem Strengkatholischen.

Nun ist die Glaubenstätigkeit eines Christen nicht per se zu kritisieren. Allerdings weiß man aus Erfahrung, dass allzu strenge Regelpraxis auch zu Hochmut gegenüber all jenen führen kann, die sich selbst nicht in der Lage sehen, ihr Leben entsprechend zu gestalten.

Verbissenheit ist dem Rheinländer fremd

Das kann dann zu einer Verbissenheit führen, die dem gemeinen Rheinländer eher fremd ist. Tatsächlich beschränkt sich der philosophische Gehalt der Redensart in keinster Weise nur auf den Katholiken mit dem Kreuz in der Hand. Es geht um die grundlegende Frage, ob man immer und überall den Wortlaut eines Gesetzes einhalten muss, oder ob nicht vielleicht der Geist eines Gesetzes viel wichtiger sei.

Bereits im Neuen Testament hat die Charakterisierung der Strenggläubigen eine Personifizierung erhalten. Da sind es die Pharisäer, die auf die Einhaltung der allgemeinen Glaubensnormen pochen. In Matthäus 12,2 sagen die Pharisäer: „Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist.“ Jesus erwidert: „Hier ist Größeres als der Tempel.“

Es gibt Wichtigeres als Regeln

In Alltagssprache übersetzt: Es gibt Wichtigeres als Regeln. Und das entspricht sehr genau der rheinischen Lebensphilosophie.  

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