Lichtblick im Tunnel Wo Köln-Besucher auf moderne Kunst stoßen

Köln · Wer in Köln U-Bahn fährt, sieht sie nicht auf den ersten Blick. Doch sie ist da, die moderne Kunst. Das kulturelle Erbe unter der Erde ist allerdings bedroht.

 Der Bahnhof als Gesamtkunstwerk: An der U-Bahn-Haltestelle Piusstraße in Köln-Ehrenfeld hängt ein Kronleuchter an der Decke.

Der Bahnhof als Gesamtkunstwerk: An der U-Bahn-Haltestelle Piusstraße in Köln-Ehrenfeld hängt ein Kronleuchter an der Decke.

Foto: Benjamin Westhoff

Für einen kurzen Moment kann man sich an der Haltestelle Piusstraße wie in Moskau fühlen. Wie in vielen Metro-Stationen der russischen Hauptstadt hängt hier ein Kronleuchter; aus blankem Metall zwar und mit kreisrunden Glühbirnen, aber unverkennbar. Doch dann schaut man auf den Boden und sieht: Gummi-Noppen. Denn das hier ist nicht Moskau, sondern Köln. Eine Vitrine an der Wand erklärt, dass der Bahnhof ein Gesamtkunstwerk sein soll. "Urbane Landschaften" heißt es, die Wände der Station hat der Künstler Gerd Winner mit fünf nächtlichen Szenen aus den großen Metropolen der Welt gestaltet.

Barbara Schock-Werner ist vom Konzept des unterirdischen Bahnhofs in Ehrenfeld begeistert. Das insgesamt fast 200 Meter lange Kunstwerk umfasst Fotografien, Gemälde und Siebdrucke, es gibt realistische Szenen zu sehen, andere Bilder sind abstrakt oder verschwommen. Schock-Werner ist die ehemalige Dombaumeisterin Kölns, kaum jemand kennt die Architektur- und Kunstgeschichte der Stadt so gut wie sie. Zum 50-jährigen Bestehen der Kölner Untergrundbahn hat sie 2018 ein Buch mit detaillierten Erklärungen zu allen 40 Kölner U-Bahn-Stationen geschrieben.

Die komplette Strecke besteht aus Kunst

Doch von der Ehrenfelder U-Bahn-Kunst in der Piusstraße, im Jahr 1989 eingeweiht, ist heute fast nichts mehr übrig. Meterlange Graffitis ziehen sich über die gesamte Breite der Bahnsteigwände. "Vollkommen versaut", findet Schock-Werner. Kein Wunder, dass kaum ein Kölner von der Untergrundkunst weiß.

Die komplette Strecke, zu der die Piusstraße gehört, besteht aus Kunst. Sie führt vom Stadtbezirk Ehrenfeld in die Kölner Innenstadt. Bei ihrem Bau in den 1980er-Jahren beauftragte die Stadt Künstler, die mit den Architekten zusammenarbeiteten. Deshalb finden Kunstinteressierte heute in fast allen Haltestellen Gemälde oder Fotografien. Großstädtisch sollte die neue Ehrenfelder U-Bahn werden, mit einem durchdachten Gesamtkonzept. So steht die Strecke für den Zeitgeist, der damals herrschte, sagt Kunsthistorikerin Schock-Werner. Seit die Kölner U-Bahn im Jahr 1968 in Betrieb ging, sind ständig neue Linien und Stationen hinzugekommen. Jeder Bahnhof, sagt Schock-Werner, zeigt den architektonischen Anspruch seiner Entstehungszeit - und worauf die Menschen in den unterschiedlichen Jahrzehnten Wert gelegt haben.

In der Anfangszeit der U-Bahn, den 60er-Jahren, sollten die Bahnhöfe vor allem praktisch und funktional sein. Der Tunnel unter Dom und Hauptbahnhof zeigt das deutlich: blaue Kacheln, keine Verzierungen, schlicht und einfach. "Eben gut abwaschbar", fasst Schock-Werner zusammen. Obwohl viele Wände inzwischen nicht mehr im Originalzustand erhalten seien, sehe die Station immer noch beinahe genauso aus wie bei ihrer Einweihung vor mehr als fünf Jahrzehnten. Viele ältere U-Bahn-Stationen in Köln sind an ihren besonderen, farbigen Kacheln zu erkennen. Das kulturelle Erbe unter der Erde ist allerdings bedroht.

Originalzustand kann nur schwer erhalten werden

Seit Schock-Werner angefangen hat, für ihr Buch zu recherchieren, wird ihr immer klarer, wie schlecht es um den Erhalt der Stationen steht. Das gilt nicht nur für die mit Graffitis beschmierten Kunstwerke in der Piusstraße, sondern auch für die schlicht gekachelten Bahnhöfe der 1960er-Jahre, sagt die Expertin.

Denn den Reparaturtrupps gehen die Kacheln aus. Platzt heute irgendwo eine von der Wand, lässt sich nur schwer Ersatz beschaffen, erklärt Uwe Grimsehl. Er arbeitet beim Amt für Stadtbahnbau und ist für Umbau und Erhaltung der U-Bahn-Stationen zuständig. Weil die Fliesen damals eigens gebrannt wurden, könne man neue Ware kaum bezahlen. Beim Bau der U-Bahn hatte man darauf verzichtet, Kacheln auf Vorrat zu kaufen. Die besonderen Fliesen waren auch damals schon zu teuer. Das macht Uwe Grimsehl heute zu schaffen. In seinem Büro erklärt er, dass seine Kollegen und er den Originalzustand nur schwer erhalten können. "Das wäre ein riesiger Aufwand. Viele Kacheln haben Farbverläufe oder spezielle Muster", sagt er. Er versucht darauf zu achten, dass er der Originalfarbe bei Renovierungen zumindest so nah wie möglich kommt.

Grimsehl kennt die Kritik von Kunsthistorikerinnen wie Schock-Werner. Doch seine Mittel seien nun einmal begrenzt, sagt der Bauingenieur: "Wir tun uns manchmal schwer, alles so zu machen, wie wir das gerne hätten." Er könne nicht täglich jemanden losschicken, der die Bahnsteige nach Graffitis absucht. Es gebe auch keine festen Vorgaben, wie er mit der historischen Architektur umgehen soll. "Wir arbeiten nach Augenmaß." Manchen seiner Kollegen sei nicht mal bewusst, dass sie es in der U-Bahn mit Kunst zu tun haben. "Denen würden neutrale, weiße Kacheln reichen", sagt Grimsehl.

Leichter wird sein Job auch in Zukunft nicht. Denn heute muss er die Stationen so umbauen, dass sie möglichst barrierefrei sind. Gerade in den älteren Stationen lassen sich Aufzüge und Rampen nur einbauen, wenn man die ursprüngliche Gestaltung deutlich verändert. Das Urteil von Barbara Schock-Werner fällt entsprechend aus. "Beim Umbau wird keine Rücksicht genommen", stellt sie fest. Sie setzt sich dafür ein, ein paar der besonders kunstvollen Haltestellen unter Denkmalschutz zu stellen. Dann dürfte man sie nur noch unter strengen Vorgaben umbauen, radikale Veränderungen der Stationen wären so gut wie ausgeschlossen. Auch Bauingenieur Uwe Grimsehl ist für den Schutz der Bahnhöfe. Er würde es schade finden, sagt er, wenn die unterirdischen Baudenkmäler ihren besonderen Charakter verlieren würden. Er weiß auch: "Meine Arbeit würde dadurch nicht gerade einfacher."

Die Serie "Köln unten" ist eine Kooperation zwischen Studierenden der Kölner Journalistenschule und dem Bonner General-Anzeiger. Die Nachwuchsjournalisten haben für unsere Rheinland-Seite Orte im Kölner Untergrund aufgesucht. Dabei haben sie unter anderem Kunst in der Kanalisation entdeckt und den Tunnel unter dem Flughafen erkundet.

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