Unkeler Willy-Brandt-Forum Der Kanzler ohne Krawatte, aber mit weißer Weste

UNKEL · "Politiker-Porträts - ein Problem für Demokraten?" hatte Klaus-Henning Rosen seinen Vortrag überschrieben, in dem er sich im Unkeler Willy-Brandt-Forum am Wochenende vorwiegend mit dem Porträt beschäftigte, das Georg Meistermann von dem ersten SPD-Bundeskanzler für die von Helmut Schmidt ins Leben gerufene Galerie im Bundeskanzleramt gemalt hatte.

 In dem Vortrag von Klaus-Henning Rosen ging es auch um das umstrittene Porträt von Georg Meistermann (im Hintergrund).

In dem Vortrag von Klaus-Henning Rosen ging es auch um das umstrittene Porträt von Georg Meistermann (im Hintergrund).

Foto: Frank Homann

"Wer, wenn nicht mein Vorgänger als Vorsitzender der Bürgerstiftung, könnte uns so tiefe Einblicke gewähren", hob Christoph Charlier hervor, nachdem er die zahlreichen Gäste, darunter auch das Kuratoriumsmitglied und Brandt-Witwe Brigitte Seebacher, begrüßt hatte. Als Leiter des persönlichen Büros des Altbundeskanzlers von 1976 bis 89 sei Rosen immerhin dabei gewesen, als das Bild 1977/78 entstand.

"Das Bedürfnis des Menschen nach einem Platz in der Geschichte scheint ungebrochen und wird etwa durch ein Porträt zum Ausdruck gebracht", so Rosen. Schon die griechische und römische Porträtkultur habe eine Funktion im öffentlichen Raum gehabt. Das Herrscherbild der Neuzeit zeige dann eine Persönlichkeit, die höchste Autorität in einer politischen Gemeinschaft für sich in Anspruch nehme. Dabei werde zwischen Person und Amt getrennt. "Lovis Corinths Porträt von Friedrich Ebert belegt dann einen Wechsel im Menschenbild. Hinsichtlich dieser Arbeit habe Brandt auf die Nähe zu seinem ersten Meistermann-Porträt hingewiesen, das ab 1969 gemalt worden ist", berichtete Rosen. Schon damals sei es dem Künstler um mehr gegangen, als nur die "variablen Konturen" von Willy Brandt festzuhalten: Vielmehr habe er versucht, das "Milieu" eines Demokraten abzubilden.

"Als Schmidt das Kanzleramt in Bonn bezog, wünschte er die im Dritten Reich verfemte expressionistische sowie zeitgenössische Kunst dorthin zu holen. Er selber ließ sich von Bernhard Heisig porträtieren, während Willy Brandt 1976 vorschlug, Meistermanns Porträt der Kanzlergalerie hinzuzufügen", berichtete der Referent. "Obwohl diese Arbeit ein Lichtblick in der Ahnengalerie der zweiten deutschen Demokratie gewesen wäre, lehnte das Bundeskanzleramt einen Ankauf ab." Ein anderer Porträtist wurde wiederum von Brandt nicht akzeptiert. "Anfang Mai 1977 begann dann im Südflügel des Bundeshauses die Arbeit an dem Porträt. Nach sechs Sitzungen meinte Meistermann Anfang Juli, nun das Bild alleine fertigstellen zu können", erinnerte sich Rosen. Anfang 1978 bat der Künstler das Kanzleramt um Abnahme. Dem dafür zuständigen Ministerialdirigenten gefiel das Bild nach kurzer Betrachtung nicht. Brandt selber sagte später, er habe es nicht als falsch empfunden, die Reihe der Kanzlerporträts durch eine Abweichung vom Konventionellen aufzulockern. Außerdem sei es immer wieder überraschend, was gründliche Menschen in ihm entdecken könnten

"Schmidt war nicht begeistert. Brandt trage ja keine Krawatte, monierte er, woraufhin Meistermann parierte: Aber eine weiße Weste", berichtete der Referent. "Brandt in Öl und ohne Nase", verriss die Bild-Zeitung das Porträt, in dem Hans Apel eher "Frankensteins Monster" zu erkennen glaubte. Die "Wende" nach dem Ende der sozialliberalen Koalition im Oktober 1982 wirkte sich auch auf das Porträt aus.

Bundeskanzler Helmut Kohl gab sofort ein neues Brandt-Porträt bei Oswald Petersen in Auftrag. "Damit wiederholte sich praktisch das Schicksal des Porträtierten wie des Künstlers. Wie zur Nazizeit wurden beide über das Bild, das in den Keller des Bundeskanzleramtes verbannt worden war, ein zweites Mal verfemt, bevor das Porträt als Leihgabe nach Unkel kam", glaubt Rosen.

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