Maarweg Rheinbreitbach Die blecherne Stimme an der Schranke

RHEINBREITBACH/UNKEL · Was klingt wie eine Szenerie aus den 60er-Jahren, ist in Rheinbreitbach noch heute gängige Praxis. Wer am Maarweg die Bahnlinie queren will, muss erst Stellwerker Uwe Blechschmidt anrufen.

 Ausgesprochene Rarität: Am Maarweg in Rheinbreitbach ist noch eine von insgesamt nur drei Anrufschranken im gesamten Kreis Neuwied in Betrieb. Nicht mehr lange: Im September kommenden Jahres soll hier alles automatisiert werden.

Ausgesprochene Rarität: Am Maarweg in Rheinbreitbach ist noch eine von insgesamt nur drei Anrufschranken im gesamten Kreis Neuwied in Betrieb. Nicht mehr lange: Im September kommenden Jahres soll hier alles automatisiert werden.

Foto: Dennis Betzholz

Wie die Frau aussieht, die ihm regelmäßig Arbeit macht, weiß Uwe Blechschmidt nicht. Wenn sie ihn braucht, hat sie stets einen Hund bei sich. Mittlerweile erkennt er sie auch an ihrer Stimme. Ist sie doch fast die einzige, die hier wochentags vorbeikommt.

"Schranke bitte öffnen", sagt sie, nachdem sie den Knopf gedrückt hat. Er antwortet: "Im Moment noch Zugverkehr." Oder öffnet. Wenige Sekunden später, auf der anderen Seite des Bahnübergangs, ruft sie: "Danke." Er: "Bitte." Und fügt zwei Mal vorschriftsmäßig an: "Vorsicht: Schranke schließt."

Was klingt wie eine Szenerie aus den 60er-Jahren, ist in Rheinbreitbach noch heute gängige Praxis. In der Rheingemeinde ist noch eine von insgesamt nur drei Anrufschranken im gesamten Kreis Neuwied in Betrieb.

Zufällig kommt hier niemand vorbei. Der Weg, hin zur letzten Anrufschranke der Verbandsgemeinde Unkel, beginnt am Rheinbreitbacher Maarweg mit dem Schild: "Betreten des Fußweges auf eigene Gefahr!" Ein schmaler Schotterweg führt vorbei an Brennnesseln, Brombeersträuchern und einem Bach.

Die röhrenden Motoren der B42 sind längst deutlich zu hören, als der schmale Weg noch schmaler wird und auf eine Fußgängerbrücke zusteuert. Auf der anderen Seite der B42 ist sie, diese Schranke, die aus der Zeit gefallen scheint. Die sich nicht von alleine öffnet, sondern auf Zuruf. Deren schriller Lautsprecherton zusammenzucken und die Stimme von Uwe Blechschmidt, dem Stellwerker, so blechern klingen lässt, dass sie fast nicht zu verstehen ist.

Uwe Blechschmidt ist der einzige Mensch, der mehr weiß, als: Es ist einsam hier. Nur: Wo sitzt der Mann? Und wie nimmt man Kontakt auf? Ganz einfach: den Spieß umdrehen. Es folgte ein Dialog, der an die Zeit von Rauchzeichen erinnert: "Ich arbeite für den GA. Darf ich Sie mal anrufen?" "Ich darf keine Auskunft geben. Tut mir leid", tönt es blechern. "Wo sitzen Sie?" "Am Bahnhof in Unkel, Stellwerk 1." "Darf ich vorbeikommen?" "Natürlich."

Zehn Minuten später öffnet Uwe Blechschmidt die Tür. Dahinter sieht es aus, als sei die Schranke noch das modernste an seiner Arbeit. Ein Telefon mit Wählscheibe. Eine Apparatur, die aus den 50er-Jahren (!) stammt. Und an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos, allesamt vergilbt. Einen Kollegen hat Blechschmidt nicht, die Jalousien sind heruntergelassen. Und es stellt sich die Frage: Wo ist es eigentlich einsamer: Hier oder an der Schranke?

"Man gewöhnt sich daran", sagt der 49-jährige Stellwerker, der seit drei Jahren von Unkel aus drei Bahnübergänge sichert. 300 Züge passieren jeden Tag die drei Bahnübergänge. Zwei automatische und eben jene Anrufschranke. "Veraltet ist die Technik nicht. Das wäre sie, wenn es dort gar keine Schranke gäbe. Dennoch wird im September nächsten Jahres alles automatisiert", sagt Blechschmidt.

Es ist das eingeläutete Aus für Rheinbreitbachs Anrufschranke. Und zugleich das Ende seines Arbeitsplatzes.

Auch das Stellwerk in Linz falle wie drei weitere im Kreis Neuwied weg. "Dann werden die Schranken aus Frankfurt und Duisburg geschaltet", erzählt er. Sorgen, seine Arbeit zu verlieren, braucht er nicht zu haben. Die Situation der Stellwerker zeigen die Probleme in Mainz - "das ist nur die Spitze des Eisberges. Wir sind immer weniger Leute, die immer mehr Arbeit machen müssen", sagt Blechschmidt.

Der Aufwand mit der einzigen Anrufschranke in der Verbandsgemeinde Unkel hält sich indes in Grenzen. Nur fünf bis zehn Mal müsse er sie wochentags öffnen und schließen, am Wochenende immerhin doppelt so häufig. Anders als die automatisch betriebenen Schranken, die sofort hochgehen, wenn kein Zugverkehr ist, ist die Anrufschranke stets unten.

Manuell kann Blechschmidt diese nicht öffnen - selbst wenn weit und breit kein Zug zu sehen ist, sondern erst, sobald der Computer sie freigibt. Das führt bei dem ein oder anderen auch mal zu Ungeduld: "Einmal pro Jahr drückt irgendeiner die Schranke mit den Händen hoch", klagt Blechschmidt. Dann sei das Theater groß. Ein Störungssignal ertönt dann und Blechschmidt muss alle Züge in der Nähe zum Schritttempo verdonnern. "Dann dauert alles noch viel länger", sagt er.

Ohnehin sei der Bahnübergang das höchste Gefahrenpotenzial im Zugverkehr.

Deshalb, so Blechschmidt, wolle die Bahn auch langfristig jeden abschaffen und stattdessen Unter- oder Überführungen einrichten. Im September nächsten Jahres ist Schluss mit der blechernden Stimme. Solange heißt es noch in Rheinbreitbach: "Vorsicht: Schranke schließt."

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