Behindertenfußball SV Rot-Weiß Rheinbreitbach erhält Sepp-Herberger-Urkunde

RHEINBREITBACH · Es sind Spieler, die nicht recht ins Bild passen: Sie sind fast taub oder blind - und spielen trotzdem Fußball. Für die Integration von behinderten Kindern erhält der SV Rot-Weiß Rheinbreitbach nun einen Preis.

 Trainerin Kathrin Buchholz zeigt Linus, der ohne Hörgeräte nichts hören würde, den Weg um den Hütchen-Parcours.

Trainerin Kathrin Buchholz zeigt Linus, der ohne Hörgeräte nichts hören würde, den Weg um den Hütchen-Parcours.

Foto: FRANK HOMANN

So recht will er nicht ins Bild passen: Linus, fünf Jahre jung, ist der einzige Junge an diesem Trainingsabend. Er ist halb so groß und halb so alt wie die anderen. Sein Idol ist - das verrät sein Trikot - der spanische Fußballstar Fernando Torres.

So recht will auch sie nicht ins Bild passen: Thi Minh, elf Jahre alt, kommt aus Vietnam. Sie trägt als Einzige eine Kappe und ein Leibchen des 1. FC Köln. Sie schießt präziser und fester als die meisten anderen, und ihre robuste Spielweise endet sicher hin und wieder mit blauen Flecken - beim Gegner.

Linus und Thi Minh spielen in der Jugend des SV Rot-Weiß Rheinbreitbach. Was sie jedoch von all den anderen tatsächlich unterscheidet, ist ihnen nicht anzusehen: Linus ist seit der Geburt hörgeschädigt, Thi Minh hat nur noch fünf Prozent Sehkraft. Dass sie hier dennoch mitspielen, dass sie um die Hütchen sprinten, passen, schießen, köpfen, dass sie voll integriert sind, das ist alles andere als selbstverständlich. Und dafür hat ihr Verein nun die Sepp-Herberger-Urkunde in der Kategorie "Behindertenfußball" des Deutschen Fußball-Bundes erhalten. Eine Auszeichnung, die jedes Jahr an sozial engagierte Vereine verliehen wird. Schon 2012 wurde der SV für seine gelungene Integration und Inklusion belohnt, als die Rheinbreitbacher den Theo-Zwanziger-Preis entgegennehmen durften. Der Trophäenschrank füllt sich.

Als Instinktfußballer zu gelten, ist für Profifußballer vergleichbar mit einem Ritterschlag. Den Gegenspieler zu spüren, den Laufweg des Mitspielers zu erahnen, das Tor zu riechen - nur die wenigsten vereinen diese Qualitäten. Instinktfußballer müssen nicht sehen, was um sie herum passiert, wo der Ball, wo der Gegner ist. Sie fühlen es. Thi Minh, stark sehbehindert, ist eine im wahrsten Sinne des Wortes geborene Instinktfußballerin. Ihr blieb auch keine andere Wahl.

Sie führt den Ball, der ihr zuliebe rot ist, nah am Fuß. Sie dribbelt um den Slalom-Parcours herum, legt sich den Ball kurz vor und schießt - unhaltbar ins linke Eck. Es ist nicht das erste und nicht das letzte Tor, das Thi Minh an diesem Abend schießt.

Thi Minh spielt sogar bei Meisterschaftsspielen mit. Ihre D-Mädchen-Mannschaft steht derzeit auf Rang drei der Kreisklasse - von immerhin neun Mannschaften. "Dafür, dass sie so gut wie nichts sieht, ist sie unheimlich vielseitig einsetzbar", schwärmt ihre Trainerin Kathrin Buchholz. Anfangs musste sie ihr noch von außen zurufen, wenn sie abspielen oder aufs Tor schießen sollte. Mittlerweile hat sie selbst das verinnerlicht. Wären Thi Minh und ihre Eltern nicht so hartnäckig gewesen, hätte sie dieses Talent nie entdeckt: In einem Kölner Verein wurde sie vor ein paar Jahren abgewiesen. In Rheinbreitbach war die Reaktion eine andere: "Wir wollen allen Kindern eine zweite Heimat geben. Wir sehen den sozialen Aspekt", sagt Damenwartin Edith Hinze. Es habe sich danach zufällig entwickelt, dass inzwischen vier Jugendliche mit Handicap den Verein verstärken.

Sie lassen sie nicht nur mitspielen. Sie lassen sich auf sie ein. Manchmal trainieren sie mit Augenklappen oder Ohrenstöpseln - nur um den nicht-eingeschränkten Mitspielern zu zeigen, wie es ist, wenn man nicht sieht wie Thi Minh oder nicht hört wie Linus.

Neulich hat Thi Minh einen Schulbegleiter bekommen. Er übersetzt die Lektüre in größere Buchstaben. Sie bestand auf einen Mann. "Weil Frauen immer so viel Parfüm auftragen", habe sie damals gesagt. Auch beim Fußball unterscheide sie die anderen Spieler am Geruch und höre den Ball. Ihrer Schwester Abilasha geht es ähnlich. Sie hat nur ein Auge und kickt auch hier.

Thi Minh redet nicht so gern über ihre Behinderung. Noch besser fände sie, wenn niemand davon wüsste. Als ihr Verein im Vorjahr ausgezeichnet wurde, kamen Reporter zum Training. Als der Rummel vorbei war, sagten Thi Minh und die anderen: "Können wir jetzt mal wieder normal trainieren?" Normal. Anders ist hier normal. Auch deshalb sind sie zwei Mal ausgezeichnet worden.

Turnier in Karlsruhe

Zur Belohnung ist die D-Jugend-Mannschaft des SV Rot-Weiß Rheinbreitbach für eine Woche nach Karlsruhe eingeladen worden. Dort fand in der vergangenen Woche das Sepp-Herberger-Turnier statt. Dies ist nicht nur ein integratives Turnier, bei dem behinderte mit nicht-behinderten Jugendlichen Fußball spielen, sondern eine Aktiv-Woche auf Kosten des Deutschen Fußball-Bundes, bei dem auch die Begegnung im Mittelpunkt steht. Der SV Rot-Weiß schickte eine reine Mädchen-Mannschaft - und siehe da: Am Ende durften sich die Rheinbreitbacher sogar über den Wochensieg freuen.

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