Interview Unkel im Strukturwandel

Unkel · Die Region ist im Umbruch. Strukturwandel nennen sie dieses Phänomen, das sie in der Verbandsgemeinde Unkel dazu zwingt, neue Wege zu beschreiten. Nur: Wohin geht die Reise? Die Stadt Unkel hat auf diese Frage offenbar eine Antwort gefunden - und hat sich in Rheinland-Pfalz zur Vorzeigestadt entwickelt.

 Gemeinsam gehen sie den Strukturwandel an: Ulrike Kessel und Rex Stephenson setzen sich in Unkel ein.

Gemeinsam gehen sie den Strukturwandel an: Ulrike Kessel und Rex Stephenson setzen sich in Unkel ein.

Foto: FRANK HOMANN

Ulrike Kessel, Vorsitzende des Touristik- und Gewerbevereins Unkel, sowie Rex Stephenson, Mitgründer der Zukunftswerkstatt, erklären im Gespräch mit Dennis Betzholz, was in Unkel richtig gemacht wurde und was noch passieren muss.

Der Strukturwandel hat die Stadt Unkel wie den Rest der Verbandsgemeinde kräftig erwischt. Wieso?

Ulrike Kessel: Als der Party-Tourismus Ende der 60er-Jahre allmählich nach Mallorca abgewandert ist und uns die Kegelclubs des Ruhrgebiets den Rücken kehrten, wurde zu lange geschlafen und Wunden geleckt. Erst Ende der 90er kam die Erkenntnis, dass etwas geschehen muss. Seit Anfang des Jahrtausends steigen die Übernachtungen wieder jährlich an.

Frei nach dem Motto: Der Tourismus ist tot, lang lebe der Tourismus?

Rex Stephenson: Ja, die Zielgruppe hat sich völlig verändert. Party, Party, Party war einmal. Heute ist unser Tourismus der Tagestourismus. Eine hochwertige Klientel, die ein Erlebnis sucht und die mit der gleichen Haarfarbe ausgestattet ist wie ich.

Kessel: Vergiss' mir den Wandertourismus nicht. Ich mache das am Rheinsteig fest. Unser Ziel muss es sein, dass diese Wanderer Unkel schön finden und wiederkommen. Diesen Wiederkehrern müssen wir etwas anbieten.

Es drängt sich bei all den Veranstaltungen und Initiativen hier der Eindruck auf, die Stadt Unkel sei aus dem Gröbsten heraus.

Kessel: Keineswegs. Die Abwärtsspirale hat 20 Jahre angedauert. Mindestens solange wird es dauern, bis sie wieder aufwärts geht.

Stephenson: Ulrike hat Recht. Wir sind weit von fertig entfernt, gerade einmal im ersten Drittel des Prozesses. Wir brauchen sehr viel Geduld und Beharrlichkeit. Aber Sie haben Recht: Unser Portfolio an Veranstaltungen ist tatsächlich groß. Wir müssen uns immer fragen: Was ist ein Event für die Unkeler und welches hat Anziehungskraft für Leute von außerhalb.

Kessel: Da bin ich ein wenig anderer Meinung. Wir sind kein Phantasialand, keine Kulisse, die abends abgeschlossen wird. Was wir für Touristen machen, tun wir auch für Unkel. Schließlich wollen wir die Stadt für die Menschen vor Ort lebenswerter machen.

Stephenson: Zweifellos. Und doch ist alles Mittel zum Zweck.

Mittel zum Zweck?

Stephenson: Wenn Unkel durch Veranstaltungen attraktiver wird für Touristen, werden auch die Häuser im Wert steigen. Das kommt wiederum den Eigentümern zugute.

Kessel: Oder nehmen wir den Leerstand: Wir können diesen nicht allein bekämpfen. Wir müssen den Umweg über die Attraktivität der Stadt gehen. Seit 2006, der ersten Auflage "Design und Gestaltung", haben sich hier 19 Kunsthandwerker niedergelassen.

Das ist eine sagenhafte Entwicklung. Und doch bleibt der Leerstand die größte Herausforderung. Können Sie der überhaupt Herr werden?

Kessel: Es ist frustrierend und motivierend zugleich. Viele Eigentümer wollen ihre Ladenlokale, die sich uns als Leerstand offenbaren, gar nicht vermieten. Oder nur zu einem viel zu hohen Preis.

Stephenson: Mich rufen zwei bis drei Kunsthandwerker pro Monat an und wollen herkommen. Es braucht zwei Dinge: Erstens Leerstandslotsen, die eine persönliche Bindung zu den Eigentümern herstellen und ihr Vertrauen gewinnen. Die haben wir bereits. Zweitens brauchen wir fachliche Unterstützung. Wir sind gerade dabei, einen Pool aus Architekten zusammenzustellen, die Rat geben sollen.

Jetzt seien Sie mal unbescheiden: Warum gelingt Unkel der Strukturwandel besser als anderen Gemeinden in der Region?

Stephenson: Unser Fundament ist die Tradition. Viele wissen noch, wie schön es in den 60er-Jahren war und denken sich: Hier muss etwas stattfinden. Wir haben hier eine Kerngruppe, die bereit ist, außerordentlich viel Zeit und Energie aufzubringen.

Kessel: Die Tradition haben Rheinbreitbach und Erpel auch. Für mich steht und fällt es mit den Persönlichkeiten, mit den Motoren, die vornweg gehen. Mitmachen ist immer leichter als vormachen. Wir vermitteln den Bürgern: Wir wollen euer Fachwissen, nicht, dass ihr Waffeln backt. Und: Es ist immer eine Wellenbewegung. Derzeit ist Unkel eben gesegnet mit vielen Menschen, die anpacken. Irgendwann ist hier vielleicht auch mal die Luft raus.

Der Start der Welle war 2006 mit Gründung der Zukunftswerkstatt. 2012 startete das Pilotprojekt Kulturstadt. Was kommt als nächstes?

Kessel: Wir müssen die Energie aufrechterhalten und vor allem: bündeln. Unkel ist manchmal wie ein kleines Kind, das voller Enthusiasmus losrennt und über die eigenen Füße fällt.

Wie soll das gelingen?

Kessel: Wir brauchen einen hauptamtlichen City-Manager. Diesen Schritt planen wir derzeit. Ein vorhandener Verein kann diese Aufgabe nicht übernehmen, weil dafür niemand die Autorität besitzt. Wir wollen aber auch keinen weiteren gründen. Deshalb soll es die Entwicklungsagentur Kulturstadt Unkel geben. Die Satzung ist bereits mit dem Amtsgericht abgeklärt. Nur die Finanzierung steht noch nicht. Denn: Wenn wir einen Profi wollen, braucht es ein Budget.

Stephenson: Es soll ein Koordinationsforum werden, für all das, was schon existiert. Die PS sind generiert. Die Frage ist: Wie kriegen wir sie besser auf die Straße?

Es ist noch ein weiter Weg. Was gibt Ihnen die Hoffnung, das Ziel zu erreichen?

Stephenson: Sehen Sie sich mal um: Es ist Dienstagmorgen. Und was sehen Sie?

Viele Menschen. Fußgänger, Fahrradfahrer, manche mit Rucksack und Fotoapparat, andere mit Routenplan.

Stephenson: Richtig. Es ist Dienstagmorgen und die Tagestouristen sind da. Ist das nicht herrlich?

Kessel: Das ist es. Aber, Rex: Wenn wir dahinkommen, dass wir im November, wenn es kalt ist, wieder hier sitzen und das Gleiche sagen können, erst dann haben wir den Strukturwandel geschafft.

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