"Man kann nicht jeden Tag Torte backen"

Engelbert Reineke, Fotograf von Amts wegen - In fast 40 Jahren fotografierte er für die Bundesbildstelle im Bonner Bundespresseamt und reiste mit den Regierungschefs um die Welt - 100 ausgewählte Fotos in den Korridoren des Bundespresseamtes

  Die Kanzlerporträts  liegen Engelbert Reineke besonders am Herzen. Gern zeigt er die Fotos von Adenauer, Brandt und Schröder noch einmal an seinem alten Arbeitsplatz, der Dunkelkammer im Bundespresseamt.

Die Kanzlerporträts liegen Engelbert Reineke besonders am Herzen. Gern zeigt er die Fotos von Adenauer, Brandt und Schröder noch einmal an seinem alten Arbeitsplatz, der Dunkelkammer im Bundespresseamt.

Foto: Frommann

Bonn. Er gehörte nicht zu denen, die sich nach vorne drängen, die Ellbogen einsetzen, um das beste Foto schießen zu können. Engelbert Reineke ist ein zurückhaltener, eher stiller Mann, der in seiner Bescheidenheit dennoch oft genug die tollste Perspektive hatte. Seit 1966 war Reineke Fotograf von Amts wegen, Hoffotograf, wie seine Kollegen auch gerne mal lästerten. Der große Blonde von der Bundesbildstelle im Bonner Bundespresseamt. Bis zum 1. März 2004. Mit 65 Jahren ist Engelbert Reineke weisungsgemäß in den Ruhestand gegangen. Für einen Fotografen wie Reineke nur das Ende einer Dienstreise.

In den vergangenen fast vier Jahrzehnten ist der gebürtige Lüdinghausener mit den deutschen Regierungschefs um die Welt gereist. Die "Kontinuität in der deutschen Außenpolitik" hat ihn die Süddeutsche genannt und damit einen Reineke-Kollegen im US-Oval-Office zitiert. In Amerika wechseln mit der Regierung auch die Hausfotografen. In Deutschland nicht. Ein bisschen stolz hat ihn das schon gemacht. Zumal man im Bundespresseamt (BPA) mit Anerkennung eher sparsam umging.

Es war ohnehin keine pure Liebesbeziehung. Eine Behörde wie das BPA lässt seinen Fotografen wenig künstlerische Freiheit. Eingeengt hat sich Reineke manchmal gefühlt, der Alltag war mitunter frustrierend. Sein erstes amtliches Porträt durfte er 1966 von Adenauer machen. Es war sein letztes vom Alten aus Rhöndorf. Das Staatsbegräbnis 1967 war für den jungen BPA-Fotografen die erste große Herausforderung.

Bald erkannte er, wie man in einer Behörde arbeitet. Oder auch nicht. In den ersten 15 Jahren habe er jedes Jahr einmal gekündigt, gesteht er lachend. Und ist dann doch geblieben. Auch wegen der Familie. Und dem sicheren Einkommen. Vielleicht auch deshalb, weil er sich nie als Künstler verstanden hat, sondern ein guter Handwerker sein wollte. Er hätte gern für den Stern gearbeitet, für den Spiegel, für Die Zeit. Er wäre vermutlich gescheitert, glaubt er heute. "Man kann nicht jeden Tag Torte backen."

Auf Tagesaktualität musste es ihm beim Bundespresseamt nicht ankommen. Reineke arbeitete für die Historie, für die Selbstdarstellung der Regierungspolitiker, "für die Schublade", wie er es nennt. Eben fürs Archiv. Wenn ihn Altmeister Jupp Darchinger heute als "unkomplizierten, immer freundlichen Kollegen" bezeichnet, wiegt das Lob in einer Berufssparte, in der "jeder der Größte ist", doppelt. Schließlich war Darchinger selbst über Jahrzehnte der Platzhirsch der Bonner Polit-Fotografen. Mit Brandts Kniefall 1970 in Warschau sei Reineke fraglos ein Jahrhundertfoto gelungen. "Das Beste von allen", sagt Darchinger in ehrlicher Anerkennung. Er selbst konnte in Warschau nicht dabei sein, die Polen hatten ihm das Visum verweigert. Beinahe hätte auch Reineke Brandts Kniefall verpasst, wenn der damalige Regierungssprecher Rüdiger von Wechmar ihn nicht im letzten Augenblick von der Vertragsunterzeichnung mit ins Warschauer Getto genommen hätte, erinnert sich Reineke, "quasi auf dem Schoß".

Zu seinen Lieblingsfotos gehört die Begegnung Schmidt/Honecker 1975 in Helsinki, wo sich die beiden Herren über den trennenden Mittelgang des Konferenzsaals hinweg austauschen. Die schönsten, die bewegendsten Momente? Wie er als einziger Fotograf Helmut und Loki Schmidt durch die Vatikanischen Museen begleiten durfte. Oder mit Außenminister Joschka Fischer auf Friedensmission im Nahen Osten unterwegs war. Oder gleich zu Beginn seiner Laufbahn: Wie Ludwig Erhard als Bundeskanzler abgewählt wurde. Das ging ihm persönlich ans Herz. Helmut Schmidt schätzte er besonders, auch wenn der SPD-Bundeskanzler Fotografen gern mal als Wegelagerer anbellte.

"Ich habe viele schöne Bilder im Kopf, die ich nicht machen durfte", sagt Reineke heute. Vor allem in der Ära Kohl. Er, der bei Robert Häusser in Mannheim "sehen gelernt" hatte, konnte oft nicht so, wie er wollte. Auch wenn er hin und wieder für einen guten Schuss sogar einen "Anschiss" riskierte. Immer wieder musste er sich in Zurückhaltung üben, was ihm schwer fiel, auch wenn es seinem Charakter entsprach. Wie etwa bei Kohl und Genscher im vertrauten Gespräch am East River. Wie gerne hätte Reineke, als offizieller Fotograf dabei, auf den Auslöser gedrückt. War nicht erwünscht. "Und dann kommt irgendein Tourist vorbei, zückte seine Pocket und kriegt obendrein auch noch ein Autogramm." Geärgert hat ihn das schon.

Seine letzte Dienstreise ging mit Fischer nach Washington. Noch ein paar Termine mit dem Bundeskanzler in und bei Bonn - das war''s. In den vergangenen Monaten hat er vor allem die Bild-Datenbank gefüttert. Jetzt fotografiert er Dottendorf, wo er seit 1988 mit Frau und zwei Töchtern lebt, und das er nun eigentlich erst richtig kennenlernt. Zur 1 200-Jahrfeier wird es eine kleine Ausstellung geben.

Erst einmal zeigt er 100 ausgewählte Fotos in den Korridoren des Bundespresseamtes. Der Bonner BPA-Chef Manfred Obländer wird die Ausstellung am kommenden Dienstag, 27. April, eröffnen. Späte Anerkennung für Engelbert Reineke. Aber zu guter Letzt dann doch eine besonders schöne.

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