„Der Mensch ist noch größer als der Klassiker Meckenheimer veröffentlicht erneut Schiller-Roman

Meckenheim · Der Meckenheimer Autor Udo Weinbörner über seinen Schiller-Roman „Die Stunde der Räuber“, über die deutschen Klassiker und darüber, wie man sich ihnen schriftstellerisch nähert.

 Der Meckenheimer Autor Udo Weinbörner mit dem Druck eines Gemäldes, das den jungen Schiller zeigt.

Der Meckenheimer Autor Udo Weinbörner mit dem Druck eines Gemäldes, das den jungen Schiller zeigt.

Foto: Hans-Peter Fuß

Ihr erster Schiller-Roman ist 2005 erschienen. Was ist neu an der Neuauflage?

Udo Weinbörner: Meinen ersten Schiller-Roman musste ich unter Kostengesichtspunkten um 200 Seiten kürzen. Unter anderem wurde das letzte Kapitel gestrichen und damit die wichtige kritische Aussage zur Dichterfreundschaft von Goethe und Schiller. In „Die Stunde der Räuber“ erfährt der Leser mehr über Schillers literarische Anfänge in Stuttgart. Auch bei den Beziehungen Schillers zu den Frauen habe ich nachgebessert. Mit Schiller und seiner Welt kann man nicht abschließen.

Was fasziniert Sie an Schiller, einem Mann, der vor 250 Jahren gelebt hat?

Weinbörner: Ein Klassiker steht auf einem Denkmalsockel, hoch und unerreichbar. Das klingt nicht nach Genuss oder Entspannung, nach Nervenkitzel oder gar Erotik. Doch genau das ist es, was ein historischer Roman anzubieten hat. Der Mensch Schiller, mit all seinen Unvollkommenheiten, Egoismen und Eitelkeiten ist so lebendig und faszinierend, ja sogar noch größer als der Klassiker uns je sein kann, weil er uns näher kommt als jener große Schiller der Literaturgeschichte. Wer als Leser mit dem jungen Schiller in der herzoglichen Akademie bei Drill, Misshandlung, Zwang und Entfremdung von den Eltern mitgelitten hat, wird fast alles aus Schillers Leben faszinierend finden. Mich fasziniert an ihm, mit welcher Energie und aufrechter Haltung er sein riesiges Werk unter widrigsten Umständen geschaffen hat.

Waren Sie als Schüler schon von Schiller begeistert?

Weinbörner: Nein, mein Deutschlehrer war Goethe-Fan. Wir haben den „Faust“ gelesen, nichts von Schiller. Ich habe übrigens festgestellt, dass es bei den Deutschlehrern und Literaturbegeisterten grob gesagt zwei Lager gibt, die sich ähnlich wie Beatles- und Stones-Fans gegenüberstehen. Entweder ist man Schiller-Fan, was den rebellischen Stones und Bob Dylan entspricht, oder man ist Goethe-Fan und bevorzugt die harmonischer klingenden Beatles.

Wann haben Sie denn Ihren ersten Schiller gelesen?

Weinbörner: Mein Vater hatte mir die gesammelten Werke mal geschenkt. Die standen aber bei mir jahrelang unangetastet im Bücherregal. 1999 bei einem Besuch im Schiller-Haus in Weimar fiel mir auf, dass dort Schiller-Zitate fälschlicherweise Goethe zugeordnet waren. Wieder daheim habe ich zuerst Schillers Balladen gelesen und dann die „Räuber“.

Wie haben Sie sich der Figur Schiller genähert?

Weinbörner: Ich frage mich zunächst, was war das existenzielle Ereignis im Leben eines Protagonisten? Bei Schiller waren das die Unfreiheit in der Militärakademie, der Verlust der eigenen Kindheit, das Überleben in einer feindlichen Umgebung mit Freunden, wie Verschworene, die ein Leben lang füreinander einstanden. Von diesem Kern aus ordne ich meine Recherche und Schreibarbeit.

Sie schildern Schillers Jugend sehr detailreich, beschreiben Menschen und Orte sehr genau und erzählen Anekdoten. Woraus schöpfen Sie diese atmosphärische Dichte?

Weinbörner: Ganz einfach: Ich frage Schiller. Ich lebe mit ihm quasi zusammen. Ich meine damit, dass der Prozess des Schreibens und Recherchierens so intensiv ist, dass er alle Bereiche des Lebens erfasst und nicht nur auf die Stunden am Schreibtisch beschränkt ist. Dialoge entstehen beim Sport, aus einem Traum wache ich auf und krieche müde ins Arbeitszimmer, um eine Szene zu skizzieren. Es gibt zudem eine Fülle an Tagebüchern, an Lebenserinnerungen aus der Zeit, Briefen, Anekdoten.

Wo haben Sie Schillers Spuren entdeckt?

Weinbörner: Zum Beispiel in Bauerbach in Thüringen, auf dem Gut Wolzogen, wo Schiller sich auf seiner Flucht verkrochen und an „Kabale und Liebe“ gearbeitet hat. Die Atmosphäre dieses Ortes wird Sie packen, wenn Sie in der Gaststube vor der von Schiller unbezahlten Rechnung stehen, die gerahmt an der Wand hängt. Die Jahrhunderte schrumpfen auf einen Wimpernschlag zusammen.

Wie groß ist die Freiheit eines Schriftstellers, wenn er eine historische Figur zum Gegenstand seines Werks macht? Darf er Begebenheiten im Leben seiner Hauptfigur verändern oder gar erfinden?

Weinbörner: Ein guter historischer Roman sollte beides haben, Faktenwissen und Fantasie. Stellen Sie sich vor, es hat am 12. November 1781 in Stuttgart geregnet. Der Literaturhistoriker wird feststellen, dass das Unwetter in einem Werk Schillers seinen Niederschlag gefunden hat. Der Autor eines Romans wird hingegen beschreiben, wie sich Schiller gefühlt hat, als er mit nasser Hose im schneidenden Wind seinen Heimweg angetreten hat. Der Roman unterscheidet sich von der Biografie dadurch, dass er sich den Figuren empathisch nähert. Er kann mit einer erfundenen Episode manchmal mehr Wahres über eine Hauptperson ausdrücken als durch eine Ansammlung von Fakten.

Schiller schrieb „Die Räuber“ mit noch nicht einmal 22 Jahren. Das Drama, sein erstes Werk, wurde ein Riesenerfolg. Schiller wurde vom Nobody zum Superstar.

Weinbörner: Schiller bediente den Zeitgeist. Den „Räubern“ haftete etwas Romantisches an, sie setzten sich im Spiel über gesellschaftliche Schranken hinweg und machten im Theater möglich, was im Alltag undenkbar war. Die anhaltende Wirkung ist darauf zurückzuführen, dass das Publikum bald verstand, dass jemand mit drastischen Worten gegen die damalige Welt rebellierte. Schiller hatte das Gespür für die Veränderungen und nahm intuitiv die Französische Revolution, die sieben Jahre später diese Welt mit ihren Hierarchien und Ungerechtigkeiten niederreißen würde, voraus.

Die Rolle von Karl Moor in den „Räubern“ wurde von linken Theoretikern teils zur Rechtfertigung des RAF-Terrorismus benutzt. Wie bewerten Sie diese Interpretation?

Weinbörner: Der Text mag radikale Passagen haben und zum Theaterskandal taugen, aber Schiller ist zu sehr Menschenrechtler, moralisch einem höheren Auftrag verpflichtet, als dass er zur Galionsfigur von Terroristen taugen würde. Er hat im Alter auch aus diesen Gründen mit Stücken wie den „Räubern“ gehadert und hätte sie am liebsten grundlegend umgearbeitet. Ich sehe in einer solchen Interpretation einen Missbrauch von Namen und Person Schillers.

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