Mit einer roten Samttischdecke fing alles an

Toni Palm verkörpert den Heiligen Mann seit 50 Jahren in Bölingen, auf der Grafschaft und darüber hinaus - Manchen Tadel, der in seinem goldenen Buch verzeichnet ist, übersieht er einfach

Mit einer roten Samttischdecke fing alles an
Foto: Vollrath

Grafschaft. In diesen Tagen zieht er wieder feierlich in Schulen, Kindergärten und bei Familien ein: der Nikolaus mit der spitzen Mitra, dem weißen Wallebart, rotem Mantel und Hirtenstab. Obgleich er die Utensilien jedes Jahr nur für ein paar Tage benötigt, ist es bereits seine vierte Kluft.

Kein Wunder, Toni Palm aus Bölingen ist seit 50 Jahren Nikolaus in Bölingen, Ringen, auf der Grafschaft und darüber hinaus und damit vermutlich der dienstälteste Heilige Mann im weiten Umkreis.

Mit 18 trat er das hohe Amt an, und die Verkleidung als alter Mann war nötig, um glaubhaft zu wirken. Jetzt ist er 68 und längst in die Rolle hinein gewachsen. Nach wie vor freut er sich, wenn bei seinem Einzug Familien singen, Väter sich ans Klavier setzen, Kinder Gedichte aufsagen.

"Heute wird mehr gelobt als getadelt", spricht der Nikolaus über einen Wandel in der Amtsführung in dem halben Jahrhundert. "Angst habe ich den Kindern aber nie gemacht, sondern ihnen lieber gut zugesprochen." Sie sollten nicht schlecht träumen. "Und wenn mir das, was die Eltern aufgeschrieben hatten, zu hart schien, habe ich es einfach übersehen", beschreibt er seine Dienstauffassung.

Auf die schwarzen Begleiter verzichtete Nikolaus Palm schnell. "Die mussten bei Hausbesuchen zu oft draußen bleiben."

So wurde aus dem Bölinger, der bei Amtsantritt nach damaligem Recht noch nicht einmal volljährig war, ein liebevoller Heiliger Mann. Nikolaus wurde Palm zunächst in seinem Wohnort. Eine alte Frau, die es lange gemacht hatte, konnte das Amt nicht mehr ausüben. Palm übernahm die Aufgabe. "Ich konnte schon in der Schule gut auswendig lernen, vorne stehen und frei vortragen", erklärt er seine Motivation.

Dem damaligen Bischof Bernhard Stein hatte er schon als 14-Jähriger zur Begrüßung eine ganze DIN A 4-Seite Text auswendig vorgetragen. Außerdem machte es ihm schon immer Spaß, Kindern zuzuhören, wenn sie begeistert Gedichte vortrugen oder Geschichten erzählten.

Die Sache mit den Nikolausgaben hat sich in den 50 Jahren nur unwesentlich geändert. In der armen Zeit gab's für die Kinder Süßigkeiten und dazu vielleicht etwas gegen die Kälte: Strümpfe, Handschuhe, Pantoffeln oder einen Schal. Später kamen vielleicht ein Aufziehauto dazu oder gar ein Auto mit Fernsteuerung. "In vielen Familien gibt's bis heute nur Plätzchen, Schokolade und eine Kleinigkeit, das Schenken wird nicht übertrieben", berichtet Palm.

Und damit der Heilige Mann nicht zu viel in seinem Sack durch Bölingen oder Ringen schleppen muss, stellen die Eltern die Gaben im Flur oder in einem Nebenraum parat.

Sankt Nikolaus freut sich über kleine Geschenke, die die Kinder ihm überreichen, meist Bilder mit einer Winterlandschaft, einer Krippe, einem Schäfer mit Herde oder einem Spekulatiushaus. Die Bilder füllen einige Aktenordner. Den Obolus, mit dem sich die Eltern bedanken, legt der Heilige Mann für die Anschaffung neuer Amtskleidung auf die hohe Kante, den Rest spendet er.

Als Robe musste am Anfang eine zurechtgeraffte rote Samttischdecke aus dem Wohnzimmer dienen. Später nähte Palms Schwester ein Habit aus roter Futterseide. Aus Cord-Samt war die dritte Garnitur. Sehr zufrieden ist Palm mit seinem aktuellen Mantel: aus Dralon und mit weißem Webpelz. "Man braucht ihn nicht zu bügeln", freut sich der Nikolaus.

Seine Aufgaben wuchsen, nachdem 1986 in Ringen die Sankt-Nikolaus-Schule gebaut worden war. Die Schule begeht das Namensfest ihres Patrons besonders feierlich, und der Mann, der den Heiligen verkörpert, ist immer dabei. Auch in diesem Jahr freut er sich auf den Auftritt in der Turnhalle, wo die Klassen kleine Spiele aufführen und Lieder singen. Im Terminkalender steht außerdem der Besuch im Ringener Kindergarten.

In einigen Bölinger Familien ist Palm Jahr für Jahr Gast. Er geht zur Rheumaliga, in seine frühere Arbeitsstätte, die Volksbank Bad Neuenahr, zur Adventsfeier der Ringener Senioren und zur Ringener Feuerwehr. "Da wird eine Liste mit guten und bösen Taten verlesen, aber der Sack bleibt zu", weiß er.

Als der Nikolaus früher zu Palms eigenen Kindern kam, war der Vater leider immer bei irgend einer Versammlung. "Du hast etwas verpasst, der Nikolaus war da", begrüßte ihn der Nachwuchs, wenn er nach Hause kam. Jetzt freuen sich die Enkel über den freundlichen Besuch aus dem Himmel.

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