Azubi in Bad Honnef 56-Jähriger beginnt Ausbildung als Goldschmied

Siebengebirge · Rund 25 Jahre hat Hans-Peter Ulrich in Bad Godesberg als Kieferorthopäde gearbeitet. Jetzt ist er freiwillig der Azubi - In einem Alter, in dem die einen an vorgezogenen Ruhestand denken und andere auf Weltreise gehen.

 Zweite Berufslaufbahn: Hans-Peter Ulrich am Arbeitstisch in der Goldschmiedewerkstatt.

Zweite Berufslaufbahn: Hans-Peter Ulrich am Arbeitstisch in der Goldschmiedewerkstatt.

Foto: Frank Homann

Hans-Peter Ulrich arbeitet an einem filigranen Schmuckstück. Ein kreisrunder Anhänger, die Oberfläche zart ziseliert. Das Muster, das Ulrich zunächst auf Papier entworfen und dann bei dem Kunden Gefallen gefunden hat, wirkt wie ein antikes Ornament. Erstmals darf er dafür mit Gold arbeiten - sein Lehrmeister hat ihm grünes Licht gegeben. Und das ist durchaus nicht selbstverständlich für jemanden, der vor knapp drei Monaten in Bad Honnef bei Georg Zumsande seine Ausbildung zum Goldschmied begonnen hat. Im Alter von 56 Jahren.

Jeans, das Hemd rot-weiß-kariert, dunkelblaue Kittelschürze. Der Bart ist etwas angegraut, das Haar auch, die Brille sitzt fest auf der Nase. Konzentriert arbeitet Ulrich an diesem Morgen an seinem Werktisch in dem Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert. Er sieht nicht aus wie jemand, der mit Mitte 50 sein Leben noch einmal über den Haufen schmeißt. Und doch hat er genau das getan.

Rund 25 Jahre hat Ulrich, der mit seiner Frau in Oelinghoven lebt, als Kieferorthopäde gearbeitet. Viele Jahre hat er eine eigene Praxis in Bad Godesberg geführt, war für seine Patienten "der Herr Doktor", für seine Angestellten der Chef. Jetzt ist er freiwillig der Azubi - in einem Alter, in dem die einen an vorgezogenen Ruhestand denken und andere auf Weltreise gehen. Warum?

Ulrich macht sich die Antwort nicht leicht. "Mir hat das Handwerkliche gefehlt", sagt er schließlich. "Natürlich war das auch in meinem Beruf als Kieferorthopäde wichtig. Aber ich hatte zugleich die Verantwortung für meine Mitarbeiter, für die Praxis, gegenüber meinen Patienten: Das Handwerkliche nahm nur noch einen kleinen Teil ein."

Irgendwann vor ein paar Jahren habe er begonnen sich zu fragen, ob er diesen Beruf bis Mitte 60 weitermachen wolle. Oder ob es da noch etwas anderes gebe, bei dem er seine Kreativität, das scharfe Auge, das Geschick der Finger, anders einsetzen könne. "Und dabei vielleicht sogar etwas Bleibendes schaffen kann", sagt er. "Denn Zähne richten ist nichts, was im Anschluss ein Leben lang hält. Man muss sich immer kümmern, sonst war die Mühe vergebens. Bei einem Schmuckstück ist das anders."

Schon immer habe er diese beiden Seiten gehabt: Den Spaß am Handwerk hat er vom Vater mitbekommen, der als Elektriker arbeitete, das Kreative von der Mutter, einer Schneidermeisterin. "Ein Berufseignungstest in der Schule ergab für mich damals zwei Optionen: Zahnarzt oder Goldschmied", erzählt er und grinst. "Das ist kein Witz." Als braver Sohn, wie er sagt, habe er damals natürlich Zahnmedizin studiert. Nie sei es ihm in den Sinn gekommen, dass es auch anders hätte laufen können. Bis er seiner Frau zur Silberhochzeit etwas Besonderes habe schenken wollen: einen handgefertigten Ring. "Aus Silber mit einer Perle nach eigenem Entwurf." Bei einem Kursus in Oberpleis habe er das Stück gefertigt. "Das war die Initialzündung."

Dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bis der Entschluss gereift und in die Tat umgesetzt war. 2018 übergab Ulrich seine Praxis an eine Nachfolgerin und suchte nach einem Ausbildungsplatz zum Goldschmied. Er musste nicht lange suchen. "Georg Zumsande war meine erste Wahl", sagt er. Mit dem Ring und einer gleichfalls selbstgefertigten Brosche sei er bei dem Goldschmied vorstellig geworden. "Können Sie sich vorstellen, mich auszubilden?", habe er gefragt. Zumsande konnte. Nach einem Praktikum im Frühjahr unterschrieb Ulrich seinen Ausbildungsvertrag. Erster Arbeitstag: 5. August.

"Es ist nicht immer einfach", sagt Ulrich knapp drei Monate später. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Seine Frau und viele seiner Freunde hätten ihn bei seiner Entscheidung unterstützt. "Aber natürlich muss man sich einen solchen Schritt auch leisten können", sagt der 56-Jährige ehrlich. "Ich muss damit nicht mehr meinen Lebensunterhalt verdienen."

Sein Arbeitstag dauert von 9 bis 18.30 Uhr, inklusive anderthalb Stunden Pause. Das Zeitkorsett sei eng, alles konzentriere sich auf die Ausbildung, für Hobbys und Freunde bleibe kaum Zeit. Zweimal in der Woche fährt er zur Berufsschule nach Köln: Um 5 Uhr aufstehen und um 6.15 Uhr den Zug nehmen, Unterricht in den Hauptfächern, Fachkunde, zusätzlich Fachberichte zu Hause verfassen. Die meisten seiner Mitschüler seien zwischen 16 und 25 Jahren alt. In den ersten Tagen habe ihm ein Lehrer gesagt: Sie brauchen sich nicht vorzustellen, sie sind Gesprächsstoff der ganzen Schule. "Zuerst dachte ich: Die Schule ist der saure Apfel, in den ich beißen muss", sagt Ulrich. "Mittlerweile ist der Apfel nicht mehr sauer." Es gebe an der Schule einige Exoten. Er selbst ist mittlerweile stellvertretender Klassensprecher.

Dreieinhalb Jahre Lehre liegen vor ihm, und bislang hat er seinen Schritt nicht bereut. "Der Beruf ist unglaublich vielfältig, es gibt viel zu lernen über Chemikalien, Materialien, die verschiedenen Arbeitsschritte. Wenn ich bei meiner Arbeit bin, denke ich an nichts anderes, da braucht es volle Konzentration." Auch wenn es sicher schwere Momente gebe, sei er fest entschlossen, die Ausbildung durchzuziehen.

Dann greift Ulrich noch zu seinem Handy und zeigt ein Bild von seinem ersten Arbeitstag: Eine Schultüte mit Süßigkeiten liegt auf seinem Arbeitstisch. "Da wusste ich: Hier sitzt du richtig."

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