Fall Anna Angeklagte räumt die Manipulation der Akten ein

BONN/SIEBENGEBIRGE · Erstmals hat sich am zweiten Prozesstag die angeklagte Mitarbeiterin des Königswinterer Jugendamts vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn geäußert. Die 46-Jährige war für die im Juli 2010 von ihrer Honnefer Pflegemutter in der Badewanne ertränkte neunjährige Anna zuständig. Die Staatsanwaltschaft wirft der 46-Jährigen fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch vor.

Detailliert beschrieb Verteidigerin Astrid Aengenheister, die die Einlassung ihrer Mandantin verlas, wie es zur Unterbringung Annas in der Pflegefamilie kam, welche Überlegungen im Jugendamt angestellt wurden und dass die mittlerweile rechtskräftig wegen Mordes verurteilte Pflegemutter der Angeklagten "unsympathisch" gewesen sei. "Aber auf Sympathie kam es nicht an, und gegen die Familie sprach nichts."

In der Einlassung ging es auch um das schwierige Verhältnis zwischen der leiblichen Mutter und der Pflegemutter. Anna sei in Gesprächen immer sehr traurig geworden, wenn es um ihre leibliche Mutter gegangen sei, von der sie enttäuscht gewesen sei. Dabei habe sie die Nähe zur Pflegemutter gesucht.

Zwar wäre ihr auch aufgefallen, dass Anna sich in ihren Briefen ans Jugendamt, in dem sie den Abbruch des Kontakts zur leiblichen Mutter wünschte, sehr erwachsen ausdrückte. Aber da sie gewusst habe, dass Anna sich in Therapie befinde und darüber gesprochen wurde, habe sie gedacht "sie würde daher ihre Gefühle mit den Worten Erwachsener ausdrücken".

Die Psychologin habe zudem bestätigt, dass Anna sich aufgrund einer Traumatisierung in früher Kindheit selbst verletze. Es habe keinen Grund gegeben, an den Aussagen der Pflegemutter zu zweifeln. Über die Methoden, mit der die Pflegemutter Anna quälte, habe die Jugendamtsmitarbeiterin erst im Strafverfahren erfahren und sie sei entsetzt gewesen. Solche Methoden lehne sie strikt ab und wäre sofort eingeschritten.

Dass sie die Akte manipulierte und Vermerke schredderte, gab die Angeklagte zu. Allerdings könne sie sich in der Rückschau ihr Handeln nur vor dem Hintergrund der psychischen Belastung erklären. Und: Der damalige Jugendamtsleiter habe deutlich gemacht, dass er gegen die Herausgabe der sogenannten Handakte sei.

Dabei handelt es sich um eine Akte, die "höchstpersönliche Daten des Sachbearbeiters" enthält. Der Leiter der Rechtsabteilung habe hingegen auf eine komplette Herausgabe bestanden. Als sie dem Amtsleiter davon erzählt habe, sei dieser wenig begeistert gewesen. Sie habe sich aufgefordert gefühlt, die Akte auszudünnen, und in dieser Situation keinen klaren Gedanken fassen können.

Unter normalen Umständen hätte sie die Akten dem Amtsleiter auf den Tisch gelegt, da sie als Sachbearbeiterin gar nicht um den richtigen Umgang gewusst habe. Sie selbst habe sich so schwere Vorwürfe gemacht, dass sie nicht auf die Fachpflegefamilie für Anna bestanden habe, dass sie wegen Suizidgefahr mit Medikamenten behandelt worden sei und sich bis 2012 in psychologischer Behandlung befunden habe. In der anschließenden Befragung durch das Gericht kristallisierten sich weitere Punkte heraus.

So zeigte sich bei der genaueren Betrachtung des Lebenslaufs, dass die Angeklagte sich gerade in den Bereichen Essstörungen bei Mädchen und Traumapädagogik weitergebildet hatte. Und noch ein Punkt beschäftigte das Gericht. Denn auch wenn die Sachbearbeiterin davon ausging, dass Anna nicht gequält wurde, so habe sie doch spätestens seit März 2009 annehmen müssen, dass sich Anna selbst verletzte - und dies vermutlich auch weiter tun würde. Dennoch sei nie eine Vorstellung in der Jugendpsychiatrie in Erwägung gezogen worden.

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