Der Fall Anna "Das Geschehene sprengt jede Vorstellungskraft"
Bad Honnef · Der Tod von Anna (9), die vor rund vier Wochen in ihrer Honnefer Pflegefamilie gewaltsam zu Tode gekommen ist, beschäftigt weiter Polizei und Staatsanwaltschaft. Unterdessen teilte Annas Schuldirektor mit, dass auch die Schule im Vorfeld des tragischen Todes von Anna einmal Kontakt zum Königswinterer Jugendamt aufgenommen habe.
Noch ist der Schulhof leer, ist die Kletterlandschaft hinter dem Gebäude der Grundschule Am Reichenberg verwaist. Doch die Ferien neigen sich dem Ende zu. In zwölf Tagen werden rund 260 Kinder das Gelände bevölkern. An "normale" Vorbereitung auf das neue Schuljahr indes sei zurzeit nicht zu denken, sagt Schulleiter Wolfram Bockschewsky.
Denn ein Kind wird fehlen am 30. August: die neunjährige Anna aus Königswinter, die vor rund vier Wochen in ihrer Bad Honnefer Pflegefamilie gewaltsam zu Tode gekommen ist.
Bockschewsky teilte jetzt mit, dass auch die Schule im Vorfeld des tragischen Todes von Anna einmal Kontakt zum Königswinterer Jugendamt aufgenommen habe. Danach seien Mitarbeiter der Behörde zum Gespräch in Annas Grundschule gewesen, bestätigte auch Holger Jung, Rechtsrat der Stadt Königswinter, auf Anfrage.
Der Tod der Neunjährigen, die am 22. Juli in der Badewanne ertrunken war, beschäftigt Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Pflegeeltern befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft. Der Pflegevater hatte laut Staatsanwaltschaft zugegeben, das Kind beim Baden unter Wasser gedrückt zu haben, sich aber in Widersprüche verstrickt. Gegenstand der Ermittlungen ist ferner das Vorgehen der städtischen Jugendämter in den beiden Siebengebirgsstädten. Abschließend zu klären sein dürfte unter anderem, wann es welche Hinweise, Kontakte und Maßnahmen gegeben hat.
"Das Geschehene sprengt jede Vorstellungskraft. Es ist, als befände man sich unter einer Glocke", beschrieb Bockschewsky am Mittwoch seine Empfindungen, die er mit allen Kolleginnen teile. Der Tod des Kindes lasse einen fassungslos zurück, die "Trauer überdeckt im Moment alles".
Anna, die die dritte Klasse besucht hat, beschreibt er als fröhliches und freundliches Kind. "Sie hielt einem die Tür auf, wenn man schwere Taschen dabei hatte, war aufmerksam, lächelte", erzählt der 45-Jährige. Annas Leistungen und ihr Verhalten hätten "im normalen Bereich" gelegen. Der Schulleiter weiter: "Es gab zu keinem Zeitpunkt Auffälligkeiten, die uns Anlass gegeben hätten, das Jugendamt zu kontaktieren."
Warum er es dann doch tat, und zwar im Monat November, in dem es auch einen Polizeieinsatz bei Annas Pflegefamilie gegeben hatte? "Aufgrund von Vorgängen, die durch Dritte an mich herangetragen wurden", sagt Bockscheswky. Nacheinander kontaktierte er die Jugendämter in Bad Honnef und Königswinter. Das Jugendamt Königswinter ist wie mehrfach berichtet zuständig, da Annas Familie in der Drachenfelsstadt lebt. Es hatte das Kind auch der Obhut der Pflegefamilie übergeben.
Zeitnah nach diesem Kontakt hätten Mitarbeiter des Königswinterer Jugendamtes - übrigens einvernehmlich mit den Pflegeeltern - die Schule besucht. Dabei sei ausführlich über die gemeldeten Vorgänge gesprochen worden, so Bockschewsky. Laut Jung seien auch "Maßnahmen vereinbart worden"; nähere Angaben dazu machte er nicht.
In dem Gespräch, so der Schulleiter, habe er jedenfalls "sehr deutlich den Eindruck gewonnen, dass es fortan regelmäßige Kontrollen in der Pflegefamilie" geben werde: "Davon mussten wir ausgehen." Und darauf baute man.
Natürlich sei auch das Schulkollegium "sensibilisiert" gewesen. Bockschewsky: "Selbstverständlich sieht man in einem solchen Fall noch viel genauer hin."Allerdings habe es im schulischen Alltag Annas weiter keine Anzeichen für Probleme gegeben.
Von einer Wasserphobie, unter der das Kind gelitten haben soll, sei nichts bemerkt worden: Anna habe regulär am Schwimmunterricht teilgenommen; eine zeitweise Befreiung einzelner Schüler davon, wie sie auch bei Anna vorgelegen habe, sei nicht außergewöhnlich. Vieles, was man mittlerweile und "erst aus den Medien erfahren" habe, legt für den Pädagogen nahe, warum sich Anna nicht habe öffnen können - als ein Kind nämlich, das jedes Vertrauen in Erwachsene verloren hatte.
Bockschewsky legt Wert darauf, dass ihm keineswegs an Schuldzuweisungen gleich welcher Art gelegen sei und dementiert entsprechende Medienberichte. "Ich fühle mich nicht berufen, die Arbeit anderer zu beurteilen, noch, irgend jemandem oder einer Institution Schuld zuzuschieben. Es geht mir nur darum, die Rolle der Schule zu bestimmen." Gleichwohl stelle sich ein jeder die Frage, ob alles Nötige getan worden sei und ob es weitere Instrumente brauche, damit sich derart schlimme Ereignisse nie wiederholen.