Interview mit Flüchtlingshelferin aus Bad Honnef „Die Menschen fühlen sich wie Tiere“

BAD HONNEF · Theresa Quast aus Bad Honnef-Himberg ist zu Weihnachten ins Flugzeug gestiegen, um daheim mit der Familie zu feiern. Statt Geschenke bringt die 25-Jährige jedoch Erlebnisse und Bilder mit nach Hause: Als Helferin im griechischen Flüchtlingscamp Frakapor erlebt sie menschliches Leid und Elend hautnah mit. Im Interview spricht sie darüber.

 Zeltstadt in einer Lagerhalle: Bitterkalt, keine Heizung, nur selten Strom. Im Camp Frakapor werden Babys bei Minusgraden geboren.

Zeltstadt in einer Lagerhalle: Bitterkalt, keine Heizung, nur selten Strom. Im Camp Frakapor werden Babys bei Minusgraden geboren.

Foto: privat

Theresa Quast: Ich konnte einiges von den Menschen lernen. Unter anderem, welche Bedeutung die eigene Familie hat. Mir wird täglich erzählt, wie sehr die Familienmitglieder fehlen, die entweder im Krieg oder auf der Flucht verstorben sind oder sich in einem anderen Land aufhalten. Daher möchte ich Weihnachten mit meiner Familie verbringen, und darauf freue ich mich sehr. Da ich kurze Zeit später wieder zurück nach Sindos gehen werde, sehe ich mich zum Glück erst in ein paar Monaten wieder damit konfrontiert, wie schwer es ist, in den Alltag zurückzufinden. Über Vorträge versuche ich, das Erlebte in diese andere Welt zu integrieren.

Seit wann engagieren Sie sich in der Flüchtlingshilfe?

Quast: Im Oktober 2015 begann ich mit „Kreuzberg hilft“, einer Berliner Bürgerinitiative, geflüchtete Menschen zu unterstützen. Wir versorgten die Menschen mit Kleidung, planten Aktivitäten wie Kino- und Theaterbesuche sowie Kochabende. Privat half ich bei der Wohnungssuche und dem Erlernen der deutschen Sprache. Meine Fassungslosigkeit über die vielen Toten in der Ägäis und über den nicht vorhandenen politischen Willen, den Menschen auf der Flucht zu helfen, ließ mich den Schweizer Michael Räber kontaktieren. Michael hatte die Privatinitiative Swisscross.help ins Leben gerufen und war mit wenigen Helfern zu dieser Zeit an den Stränden der griechischen Insel Lesbos aktiv.

Wie oft waren Sie in den griechischen Flüchtlingslagern?

Quast: Ich bin nun zum vierten Mal in Griechenland tätig. Im Dezember 2015 nutzte ich zum ersten Mal meine Semesterferien, um auf Lesbos humanitäre Hilfe zu leisten. Hier empfingen wir nachts die Boote, halfen mit Hilfe von Leuchtstrahlern medizinische Notfälle zu erkennen und versorgten die Menschen mit Kleidung, Decken und Wasser. Danach unterstützte ich die Menschen, die in Idomeni festsaßen, seit September helfe ich im Camp Frakapor.

Wie leben die Menschen dort?

Quast: Sie leben in Zelten, die in einer leer stehenden Lagerhalle gegenüber einer Kläranlage aufgestellt wurden. In der Halle herrscht neben dem Geruch nach Fäkalien beißende Kälte, da sie zu drei von vier Seiten offen ist. Es gibt keine geschlossenen Räume, geschweige denn Heizung oder warme Duschen. Das Elektrizitätssystem bricht ständig zusammen, sodass die Bewohner sich selten einen Tee kochen können. Daher wärmen sie sich an offenen Feuerstellen in der Halle. Das führt aufgrund des Qualms zu Gesundheitsschäden und enormer Brandgefahr. Hinzu kommen unzureichende medizinische Versorgung sowie mangelhafte Hygiene. Babys werden bei Minusgraden im Zelt geboren.

Wie können Sie vor Ort helfen?

Quast: Vor Ort kann ich den Menschen auf Augenhöhe begegnen und sie in ihrer schweren Situation unterstützend begleiten. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Da die Menschen nun seit Monaten in ihrer Selbstentfaltung gehemmt werden, versuchen wir ihnen die Möglichkeiten zu bieten, sich weiterzuentwickeln und weiterzubilden. Wir beschaffen Lernutensilien, Wolle und Stricknadeln. Ich konnte mit Spenden ein Zelt zu einem Schneiderladen umfunktionieren. So haben ein paar Bewohner eine Aufgabe.

Wie wird Ihre Hilfe von den Menschen angenommen?

Quast: Ich frage regelmäßig nach, ob die Menschen mit unserer Unterstützung zufrieden sind und welche Wünsche offen bleiben. Sie erzählen mir, dass sie glücklich darüber sind, dass Swisscross.help sich ihrer angenommen hat. Es ist ihnen sehr viel wert, nicht nur versorgt, sondern auch als Individuum gesehen zu werden.

Wie klappt die Verständigung?

Quast: Sehr viele der Bewohner Frakapors sprechen ein Englisch, das ausreicht, um sich zu verständigen. Sollte es zu Schwierigkeiten kommen, findet man immer jemanden, der übersetzen kann. Kleinste Brocken Arabisch und Kurdisch helfen mir weiter. Ansonsten verständigen wir uns mit Händen und Füßen oder Papier und Stift oder Übersetzung per Handy.

Gibt es ein Erlebnis, das Sie ganz besonders bewegt hat?

Quast: Mir fallen viele Erlebnisse ein. Dennoch gab es eine Situation im Dezember letzten Jahres, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist: Plötzlich ging alles wieder ganz schnell. Viele Menschen, alle durchnässt bis oben hin. Es war leider schon das siebte Boot in dieser Nacht, sodass uns der Kleidungsvorrat ausgegangen war. Ein kleiner Junge wurde mir in die Arme gedrückt, höchstens drei Jahre alt. Er schaute mich mit großen Augen an. Ich quetschte eine Rettungsdecke unter all seine Kleidung, bedeckte damit so viel Haut wie möglich. Das Kind roch nach Urin, die Windel und die Kleidung waren vom Meerwasser durchnässt. Er beobachtete still, was ich tat. Als ich ihn dann in eine unserer letzten Decken wickelte, grinste er mich mit einem breiten Lächeln an. Ich hielt ihn im Arm und wartete darauf, dass seine Mutter oder sein Vater auftauchen. Ein anderer kleiner Junge setzte sich neben uns. Ebenfalls komplett durchnässt und am ganzen Körper zitternd. Ich begann auch ihn mit einer Rettungsdecke zu versorgen. Plötzlich kniete sich ein Mann neben mich und fing bitterlich an zu weinen. Sein Gesicht hielt er in seinen Händen. Die Worte, die er herausbekam: „Mother dead, father dead“ werde ich nie vergessen. Es war viel wert, dass ich in diesem Moment meine Hand in seinen Nacken legen konnte, um ihm Trost zu spenden.

Wie erleben die Menschen ihren Aufenthalt im Flüchtlingscamp?

Quast: Es berührt mich jedes Mal von Neuem, wenn mir die Menschen erzählen, dass sie sich wie Tiere fühlen. Sie würden gefüttert und fern der Stadt gehalten, können aber nur in den Zelten die Zeit absitzen. Auch Adel Bablis, der Student aus Syrien, mit dem ich häufiger zusammenarbeite, erklärt immer wieder, dass sie Menschen seien. Die Weltanschauung der Menschen wird von Tag zu Tag schlechter. Das Trauma endet nicht. Sie fühlen sich verurteilt, bevor versucht wurde, sie kennenzulernen. Seit neun Monaten harren sie nun aus und die Ungewissheit, wann und wohin es weitergeht, zermürbt ihren Geist.

Wo sind die Helfer untergebracht und wie klappt die Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort?

Quast: Wir sind zu zweit oder zu dritt in Studios mit einer kleinen Küchenzeile untergebracht. Miete und Lebensunterhalt zahlen wir selbst. Swisscross.help ist ein internationales Team, unter uns sind einige Griechen. So haben wir zwar gute Kontakte zum griechischen Militär, die die Entscheidungsgewalt über das Camp Frakapor haben, aber dennoch verläuft die Zusammenarbeit schleppend. Weder um Elektrizität noch um Heizung bemühen sie sich. Es wird darauf verwiesen, dass Frakapor nur ein temporäres Camp sei. Eine Schließung ist aber nicht in Aussicht.

Was wünschen Sie sich fürs Neue Jahr?

Quast: Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich, wie in den vorherigen Jahren, weitere Menschenrechtler zusammenfinden und verbünden, und dass dies noch lange nachwirken wird. Und dass sich unsere Politiker davon eine große Scheibe abschneiden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort