Ehenichtigkeitsverfahren in der katholischen Kirche Ehemann bezeichnet Verfahren als "Irrsinn"

Bad Honnef · Ein sogenanntes Ehenichtigkeitsverfahren ist bis heute der einzige Weg, eine zivilrechtlich geschiedene Ehe von der katholischen Kirche annullieren zu lassen. Zwei Paare aus der Region berichten, wie Kölner Kirchengerichte über sie urteilten.

 Ein glückliches Paar auch nach so vielen Jahren: Barbara und Manfred Menzel vor der Kirche in Bad Honnef.

Ein glückliches Paar auch nach so vielen Jahren: Barbara und Manfred Menzel vor der Kirche in Bad Honnef.

Foto: Frank Homann

Hatte Manfred Menzel vor seiner ersten Ehe, also vor inzwischen mehr als 40 Jahren, schon mal Geschlechtsverkehr gehabt? Ach, ja? Hat er denn da verhütet? Und wo genau sei er damals mit der Frau zusammengekommen?

Diese seltsamen Fragen stellte dem Kunsthändler aus Bad Honnef im Mai 2013 ein Kölner Kirchengericht. Und im Nachgang drei Zeugen der Verwandtschaft und Bekanntschaft ebenso. Als Irrsinn bewertet Menzel heute, was ihm vor dem Kirchengericht widerfuhr. Bizarr und peinlich. Warum nur musste er unter anderem sein vormaliges Intimleben vor wildfremden Leuten ausbreiten? „Ich wusste vorher einfach nicht, dass das Ganze eine Inquisition wird“, sagt Manfred Menzel heute.

Was er mit „das Ganze“ meint, ist nur den wenigsten Menschen geläufig: das sogenannte Ehenichtigkeitsverfahren. Das kann derjenige bei seinem Bistum beantragen, der einmal katholisch getraut war, aber nach der zivilrechtlichen Scheidung eine neue Beziehung eingegangen ist – und im Falle einer erneuten standesamtlichen Trauung gegen Kirchenrecht verstößt. Denn die Katholische Kirche handelt weiterhin nach dem Prinzip: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Gründe sind von weltlicher Natur

Das hat Konsequenzen, weiß der Bonner Kirchenrechtler Professor Norbert Lüdecke: „Wer gültig kirchlich geheiratet hat und nach einer staatlichen Scheidung zivil wieder heiratet, hat in den Augen der Katholischen Kirche auch heute die alternativlose Pflicht, sich zu trennen.“ Oder sich einem Kirchen-gericht zu stellen – mit der Bitte, die erste Ehe zu annullieren.

Die Gründe, sich dieses Verfahren anzutun, sind meist sehr weltlicher Natur: Die Geschiedenen oder ihre neuen Partner riskieren ansonsten ihre Anstellung in katholischen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern oder Altenheimen. Natürlich gibt es auch rein religiöse Gründe: Sie möchten wieder zu den Sakramenten zugelassen werden, etwa im Gottesdienst die Kommunion empfangen dürfen.

Im Fall der Menzels lagen die Dinge so, dass sich Ehefrau Barbara auf eine Stelle in einer katholischen Schule bewerben und ihr Ehemann ihr das ermöglichen wollte – indem er versuchte, seine gescheiterte erste Ehe, die er blutjung einging, vor einem Kirchengericht annullieren zu lassen. Nach dreißig Jahren Ehe wollte Manfred Menzel seiner Barbara also auch diesen Liebesdienst erweisen. So weit, so gut.

"Nur lügen wollte ich nicht"

Nachdem sie sich vorab informiert hatten, veranschlagten die Menzels bis zu eineinhalb Jahre Verfahrensdauer. „Ich wollte das gemeinsam mit der geliebten Frau, mit der ich nun 30 Jahre verheiratet bin und Kinder habe, durchstehen“, sagt der Bad Honnefer Kunsthändler im Gespräch mit dem General-Anzeiger. Er war bereit, auch die intimsten Fragen zu beantworten. „Nur lügen wollte ich nicht, und das habe ich dann auch nicht getan.“

Vielleicht zog sich der Prozess auch deshalb drei schmerzhafte Jahre hin, bis endlich die Streichung der ersten Ehe kirchenrechtlich vollzogen war. „Da war das Stellenangebot für meine Frau natürlich weg. Ein Wahnsinn“, sagt Menzel heute. Seine Frau ist inzwischen bei einem städtischen Gymnasium angestellt. Das Kapitel katholische Schule hat sie für sich abgeschlossen. Aber die Fassungslosigkeit über das Erlebte bleibt.

Er gehe nach wie vor erhobenen Hauptes durch die Welt, sagt Manfred Menzel und posiert mit seiner Frau fürs GA-Foto gerne vor der heimischen Kirche. „Aber ich wünsche mir, dass die Amtskirche endlich den heutigen Menschen gegenüber offen wird.“

"Glaubwürdigkeitszeugnis" für neue Partnerin

Der Kölner Pastoralreferent Peter Otten präzisiert: „Ich wünsche mir, dass niemand mehr Angst haben muss, mit dem Menschen zu leben, den er liebt.“ Otten ist selbst betroffen. Bis er seine seit langem geschiedene Partnerin endlich heiraten konnte, ohne Gefahr zu laufen, aus dem kirchlichen Dienst entlassen zu werden, vergingen leidvolle Jahre des Sich-Versteckens. Drei Jahre stand man dann vor dem Kirchengericht. Auch hier hagelte es Fragen aus dem Intim-bereich.

Für seine neue Partnerin musste ein „Glaubwürdigkeitszeugnis“ beschafft werden. Und dann stellte auch noch ein kirchlicher „Ehebandverteidiger“ ihre Vita in Frage und riet von der kirchlichen Auflösung ihrer ersten Ehe ab. Es rollte ein riesiger Stein auf die Liebenden zu, der sie zu zermalmen drohte, klagte Ottens Partnerin. Heute wolle seine Frau lieber „einen Deckel“ auf die schwere Zeit machen, sagt Peter Otten im Gespräch mit dem GA. Er selbst spreche weiter über seine Erfahrungen – und hoffe, dass sich heute endlich mehr Leute ebenfalls trauten, offen darüber zu sprechen: „Das Thema ist weiterhin mit Angst besetzt.“

Dabei wisse er im Einzugsbereich der Kirche sehr wohl von anderen für die Amtskirche „schwierigen privaten Verhältnissen“, die die Betroffenen offensichtlich auch weiter geheim halten wollten. Weil sie sich vor der „fatalen Prozedur“ des Ehenichtigkeitsverfahrens fürchten müssten. „Und das nicht ohne Grund“, seufzt Otten.

Zwölf Beratungsstellen

Auf Anfrage antwortet Sarah Meisenberger für das Erzbistum Köln, das Generalvikariat könne natürlich zu konkreten Personalfällen keine Stellung beziehen. Paaren in Not biete das Erzbistum aber eine Reihe von Möglichkeiten der Beratung und Seelsorge an. Es gebe zwölf Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen, die sich an Menschen mit persönlichen, familiären und partnerschaftlichen Krisen richteten.

Und wie viele Ehenichtigkeitsverfahren fallen im Bistum pro Jahr an? Es sei 2016 im Bistum Köln und im Bereich des Bistums Essen, für das Köln ebenfalls zuständig sei, zu 103 neuen Fällen in erster Instanz gekommen, so Meisenberger. Im Vergleich dazu habe es 2015 nur 82 neue Fälle gegeben. In zweiter In-stanz seien 2016 insgesamt 58 Ehen für nichtig erklärt worden, in acht Fällen hätten die Kirchengerichte die Ehen nicht aufgelöst. Und in dritter Instanz hätten die Gerichte im vergangenen Jahr 27 Mal entschieden, davon 20 Mal für eine Annullierung und sieben Mal dagegen, so Meisenberger.

Was zeigt, wie kompliziert die Verfahren dieser in der Öffentlichkeit weithin unbekannten Gerichte verlaufen. Allein für das Bistum Köln arbeiten 26 Richter. Dabei hatte Papst Franziskus im Herbst 2015 einige Änderungen ermöglicht. Seither muss die Feststellung einer Ehenichtigkeit nicht mehr in mindestens zwei Instanzen ermittelt werden. Jetzt reicht in der Regel eine Instanz.

Das ebenfalls von Papst Franziskus ermöglichte neue Kurzverfahren, wenn beide Ex-Partner es einvernehmlich beantragen und die Beweislage klar erscheint, werde allerdings in deutschen Kirchengerichten nicht angewendet, erklärt Norbert Lüdecke. „Die Streichung der verpflichtenden zweiten Instanz ist eine wirkliche Erleichterung, ändert aber nichts daran, dass man immer noch einem sogenannten Ehebandverteidiger oder ähnlich gestricktem Personal begegnen kann.“

Unter Druck der Kirche gelitten

Das Vorgehen des Kölner Gerichts im Fall Otten (von den beiden hier beschriebenen Fällen kenne Lüdecke nur diesen, sagt er) entspreche sehr wohl den Tatsachen. „Allerdings muss man fairerweise sagen, dass es an anderen Gerichten durchaus rücksichtvoller und klientenbezogener läuft“, versichert der Kirchenrechtler. Ehenichtigkeitsverfahren blieben weiter relevant für betroffene Beschäftigte im kirchlichen Dienst.

Einfach nur glaubensfeste Menschen wie die Bonnerin Maria Neubert (Name auf eigenen Wunsch geändert), die endlich im Gottesdienst wieder die Eucharistie empfangen möchte, werden sich der Prozedur wohl kaum stellen. „Die meisten Jahre meines Lebens habe ich als Ehefrau eines geschiedenen Mannes unter dem moralischen Druck meiner Kirche gelitten“, berichtet Maria Neubert bitter.

Die Kirche bestimme also darüber, dass sie als Katholikin und Mutter von katholisch getauften und erzogenen Kindern von den Sakramenten ausgeschlossen bleibe. „Das entspricht doch nicht der Botschaft Jesu.“ Sie werde von der Amtskirche nicht eingeladen, sondern ausgeladen. Sie habe immer wieder das Gespräch gesucht. „Ich bin doch ein tiefgläubiger Mensch.“ Aber ein Prozess komme für sie und ihren Mann auf keinen Fall in Frage.

Aber vielleicht gibt es für Maria Neubert noch Anlass zur Hoffnung: Vergangene Woche entschied die Deutsche Bischofskonferenz, wieder verheiratete Geschiedene „in Einzelfällen“ zur Kommunion zuzulassen.

Literatur zum Thema: Eva Müller: Richter Gottes – Die geheimen Prozesse der Kirche. Kiepenheuer & Witsch, 256 S., 14,99 Euro

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