Wo das Christkind eine Filiale hat Ein Besuch in der Caritas-Kleiderstube in Bad Honnef

Bad Honnef · In der Serie Zeit schenken haben Redaktionsmitarbeiter soziale Einrichtungen im Siebengebirge besucht und geholfen. In der Bad Honnefer Kleiderstube der Caritas hat GA-Redakteurin Katrin Janßen herausgefunden, dass es dort um mehr als warme Wintermäntel geht.

Um zehn Uhr stehen bereits 18 Kunden vor dem Geschäft. „Eher wenige“, sagt Ilse Bungarz mit einem Schulterzucken. „Viele glauben, dass wir in der Woche vor Weihnachten schon zu haben.“ Dann dreht sie den Schlüssel um. Sie und ihr Team von der Kleiderstube Bad Honnef sind dann schon zwei Stunden in dem Laden an der Bergstraße. Haben gemeinsam gefrühstückt und alles vorbereitet. Viel zu tun haben sie für mich nicht. Dazu ist das Team zu gut organisiert.

Seit 1985 ist Bungarz die Leiterin der Kleiderstube, aber den Begriff hört sie nicht gerne. „Wir sind ein Team, basta.“ Vortänzerin fällt ihr spontan ein. Sie lacht. Aber wie immer man es nennt, klar ist: Bei ihr laufen seit mehr als 30 Jahren die Fäden der Caritas-Einrichtung an der Bergstraße zusammen.

Erste Aufgabe: Das Sortieren der gespendeten Kleidung. Dieser Sack ist vorbildlich. Gewaschen, gebügelte Röcke, Hosen, Blusen, T-Shirts. Dennoch legt Bungarz das ein oder andere beiseite. „Das können wir nicht verkaufen, das ist nicht gefragt.“ Wie eine erfahrene Verkäuferin in einem Modegeschäft hat sie über die Jahre ein Gespür dafür entwickelt. Davon abgesehen ist Winter. Niemand braucht jetzt Sommerklamotten. Bungarz zeigt auf die über den Schränken im Hinterzimmer gestapelten Kisten. „Alle voll.“ Aber der nächste Sommer, der kommt bestimmt.

Die Kunden, die an diesem Morgen in das Geschäft drängen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Wohnungslose auf der Durchreise, Hartz-IV-Empfänger, Flüchtlinge, Arbeitslose, aber auch Alleinerziehende, Kinderreiche oder Rentner. „Ja“, sagt Bungarz und nickt heftig, „auch im reichen Bad Honnef gibt es einen Bedarf. Einen großen.“ Wer 800 Euro Rente erhält, davon Miete bezahlen muss, der hat am Ende des Monats nicht viel übrig. „Aber gerade bei den Rentnern haben sich viele nach dem Krieg durchgekämpft, denen fällt es schwer, um etwas zu bitten.“

Empathie der handfesten Art

Wer Bungarz dann beobachtet, der spürt, dass sie die Lebensgeschichten ihrer Kunden kennt. Nicht, weil sie ihr aufgezwungen werden, sondern weil es sie interessiert. Sie selbst würde es nie sagen, aber Ilse Bungarz ist eine Frau mit viel Empathie. Allerdings der handfesten Art. „Mit Sozialromantik hat das alles hier nichts zu tun“, sagt sie. Da sind die Flüchtlinge, die die Kleiderstube mit einem Basar verwechseln. Da sind die deutschen Sozialhilfeempfänger, die aggressiv reagieren, wenn nicht mehr als ein Geschenkgutschein an Weihnachten 'rumspringt. Da sind die Eltern, die ihre Kinder am Regal mit den Spielen Chaos produzieren lassen. Und jene, die trotz der günstigen Preise die Ware in großer Menge vermeintlich unbeobachtet in ihrer Tasche verschwinden lassen.

Und nicht nur die. Auch die Weihnachtsdeko hat sich über die vergangenen Wochen dezimiert. „Das tut weh“, sagt Bungarz ganz offen. „Man hilft, gibt Ratschläge, man engagiert sich ehrenamtlich, und dann wird man beklaut.“ Ja, das gehe ihr an die Nieren. Und ja, auch wenn sie das ihrem Mann nie beichten würde, sie nimmt das mit nach Hause. An ihrer Berufung zweifelt sie deswegen aber keinen Moment.

Wir sortieren die Wintermäntel neu. Zwischen schlichten Jacken hängen elegante Mäntel, manche mit Pelzbesatz. Die Honnefer sind spendabel. Aber längst nicht alle. Viele geben die Spenden nicht während der Öffnungszeiten ab, sondern stellen Säcke einfach vor die Tür, irgendwann. Was die Ehrenamtlichen darin finden, ist nicht immer schön. Dreckig, zerschlissen, es fehlen Knöpfe, die Reißverschlüsse sind kaputt. „Das können wir natürlich nicht verkaufen“, sagt Bungarz mit einem leicht irritierten Blick. Man mag zwar die Kleiderstube sein, aber einen gewissen Standard haben sich die Frauen gesetzt.

Dennoch wird das, was nicht verwertet werden kann, in den seltensten Fällen entsorgt. Abnehmer der Spenden sind dann beispielsweise die Rumänienhilfe, Bethel, die Honnefer Nähstube in der Konrad-Adenauer-Schule oder das Tierheim. Bungarz' Mann schleppt die Säcke ins Auto und bringt sie den Empfängern.

13 Helfer zwischen 55 und 83 Jahren sind derzeit ehrenamtlich für die Kleiderstube tätig. Sie alle bringen sich unterschiedlich ein, Bungarz möchte keinen missen. Das fängt schon beim gemeinsamen Frühstück an, erzählt sie in dem liebevoll weihnachtlich geschmückten Aufenthaltsraum der Kleiderstube. „Wir treffen uns um acht zum gemeinsamen Frühstück.“ Es klopft. Bungarz' Mann steht vor der Tür. „Die Blumen?“, fragt er. Seine Frau hat für jede Ehrenamtliche einen Amaryllis-Strauß besorgt. „Das muss sein“, sagt sie wieder mit dem typischen Schulterzucken. „Man muss auch mal Danke sagen.“ Das ist für sie so selbstverständlich wie die gemeinsamen Touren, die die Ehrenamtlichen unternehmen.

Nicht jeder ist zufrieden

Und dabei ein Wort, das sie nicht immer von ihren Kunden hört. Zu Weihnachten hat die Kleiderstube ein besonderes Angebot. Dank der Spenden des Gymnasiums Nonnenwerth und der seit 2010 existierenden Spendenaktion der Katholischen Frauengemeinschaft sowie des von der Kleiderstube selbst erwirtschafteten Geldes können die Mitarbeiter im Dezember Gutscheine und Geschenke verteilen.

Doch nicht jeder ist zufrieden, mancher verlangt mehr. Und kann dann auch schon mal laut und aggressiv werden. Dafür gibt es den Knopf an der Kasse. „Wenn der gedrückt wird, kommen wir alle anmarschiert.“ Und in diesem Moment sieht die freundliche Bungarz so furchteinflößend aus, dass man sofort glaubt, dass jeder Rowdy umgehend die Flucht ergreift.

An diesem Tag ist jedoch kein Randalierer in Sicht. Stattdessen durchstöbern ein paar Frauen mit Kopftuch, eine Afrikanerin und drei Rentnerinnen das Angebot, suchen nach Kleidung und vielleicht nach einem Geschenk für die Enkelkinder. Eine alte Dame zieht immer wieder verschiedene Mäntel hervor, studiert sie und probiert sie an. Nur, um sie schließlich doch wieder an den Ständer zu hängen. Schließlich fasst sie sich ein Herz und bringt den Mantel zur Kasse. „Was kostet der?“ Neben der Kasse liegt ein Zettel mit den Preisen, zwischen 50 Cent und fünf Euro. Bungarz gibt der alten Dame den Mantel schließlich umsonst mit. „Die hat ihn nötig“, sagt sie.

Auf dem Weg zurück in die Redaktion komme ich an einem Modegeschäft vorbei. Im Schaufenster hängt ein Kleid. 800 Euro steht auf dem Preisschild darunter. So viel, wie die Rentnerin im Monat zum Leben hat. In diesem Moment bin ich unendlich froh, dass das Christkind eine Außenstelle an der Bergstraße hat.

Die Kleiderstube öffnet wieder am Dienstag, 9. Januar. Danach ist sie immer dienstags von 10 bis 17 Uhr an der Bergstraße 5 zu erreichen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort