Alte Obstsorten im Siebengebirge Ein Revival für Ölligsbirne und Grünapfel

Siebengebirge · Vor 100 Jahren wuchsen die alten Obstsorten noch in Königswinter und Bad Honnef, inzwischen sind sie nur noch auf Streuobstwiesen zu finden. Die Biologische Station Rhein-Sieg-Kreis und der Landschaftsverband Rheinland wollen mit einem gemeinsamen Projekt ihr Überleben sichern.

 Obstverkostung: Professor Jürgen Rolle, Horst Becker und Barbara Bouillon lassen sich an der Löwenburg die regionalen Früchte schmecken.

Obstverkostung: Professor Jürgen Rolle, Horst Becker und Barbara Bouillon lassen sich an der Löwenburg die regionalen Früchte schmecken.

Foto: Frank Homann

Die Ölligsbirne war ein echter Zufallstreffer. Als Barbara Bouillon vor einigen Jahren in Bockeroth an einer alten Hofanlage vorbeifuhr, stach ihr der knorrige Baum vor der Tür gleich ins Auge. „Ja, das ist eine Ölligsbirne“, bestätigte ihr die betagte Bewohnerin des Hauses. „Aus den Früchten haben wir früher Birnenkraut gekocht.“

Bouillon, Biologin und Pomologin der Biologischen Station Rhein-Sieg-Kreis, sicherte sich einen Asttrieb dieser Birnensorte, die vor rund 100 Jahren im ganzen Pleiser Hügelland bekannt war, heute jedoch zumeist nur noch auf Streuobstwiesen zu finden ist. Und neuerdings auch in dem Handbuch „Lokale und regionale Obstsorten – neu entdeckt“, das das Netzwerk Kulturlandschaften des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) und die Biologischen Stationen im Rheinland jetzt herausgegeben haben.

Im Jahr 2008 hatte der LVR das Projekt angestoßen, das quasi einer Bestandsaufnahme aller lokalen Obstsorten – Äpfel und Birnen ebenso wie Pflaumen, Kirschen und Pfirsiche – im Rheinland gleichkam. „Lokale und regionale Obstsorten im Rheinland – vom Aussterben bedroht!“ hieß der Titel damals. „Und es war, wie wir heute wissen, tatsächlich fünf vor zwölf“, so Professor Jürgen Rolle, Vorsitzender des LVR-Kulturausschusses, der das Handbuch gemeinsam mit Bouillon und Horst Becker, Staatssekretär beim NRW-Umweltministerium, an der Löwenburgwiese vorstellte. „Eine ganze Reihe verschiedener Lokalsorten, von denen es damals nur noch wenige Altbäume gab, wäre ohne dieses Projekt heute schlicht ausgestorben.“

In Deutschland gab es rund 1000 Apfelsorten

Beispiel Apfel: Rund 1000 Sorten waren um 1900 allein in Deutschland dokumentiert, tatsächlich dürfte die Zahl noch weitaus höher gelegen haben. Heute sind dagegen nur noch wenige Sorten im Anbau, die zudem genetisch eng verwandt und somit zum Beispiel anfälliger für Krankheiten sind. „Die regionalen Obstsorten verschwinden und damit auch das Wissen um ihre Besonderheiten“, sagt Bouillon, greift in eine Kiste und holt einen olivgrün glänzenden Apfel heraus.

„Der Grünapfel“, erklärt sie, „gedeiht zum Beispiel auf der Löwenburgwiese prächtig. Und das, obwohl das Areal eine Ostexposition hat und in einer Senke liegt. Diese Sorte hatte sich im Laufe vieler Jahrzehnte seiner Umgebung perfekt angepasst, andere Apfelsorten hätten da keine Chance.“

Wie Bouillon haben sich Mitarbeiter von insgesamt 13 Biologischen Stationen im Rheinland seit 2008 auf Spurensuche begeben und insgesamt 100 alte Obstsorten aufgetan, die teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr angepflanzt wurden. Teils aufgrund eigener Recherchen, teils aber auch nach Hinweisen aus der Bevölkerung vor Ort bestimmten sie die Sorte, retteten sogenannte Edelreiser der Altbäume und über Abveredelungen damit auch die Sorte. Und deckten ganz nebenbei auch noch einen jahrhundertealten Marketingcoup auf: Bei der Apfelsorte „Kaiser Wilhelm“, die seit etwa 1880 in ganz Deutschland weit verbreitet war, handelt es sich eigentlich um die alte rheinische Apfelsorte mit dem weniger verkaufsfördernden Namen „Peter Broich“, von der Altbäume heute noch etwa in Wesseling und in der Eifel stehen.

Experten haben ein Handbuch veröffentlicht

An ausgewählten Standorten wurden diese fast vergessenen Obstbäume nun wieder angepflanzt. An der Löwenburgwiese stehen damit neben dem Grünapfel nun auch einige Exemplare des Aegidienberger Seidenhemdchens, ein saftiger Apfel, der noch bis vor einigen Jahrzehnten vor allem in den Ortslagen Aegidienberg, Himberg und Retscheid sowie Teilen Asbachs zu finden war. „Einige dieser Obstsorten haben durchaus das Potenzial, den Weg wieder zurück in die Obstbaumschulen und damit in den Handel zu finden“, ist sich Rolle sicher.

100 Steckbriefe dieser alten Sorten sind auch in dem jetzt erschienenen Handbuch veröffentlicht, daneben haben die Experten 80 Namen von verschollenen beziehungsweise noch gesuchten Lokalsorten des Rheinlands – vom Sandapfel über die Etscheider Butterbirne, die Boitzeburger Kirsche bis zur Aprikose von Wachendorf – zusammengetragen. „Nur was wir kennen, können wir auch schützen“, sagt Bouillon. „Mit dem Projekt ist ein super Anfang gemacht worden, aber es besteht noch viel Forschungsbedarf.“

Die Ölligsbirne in Bockeroth steht heute übrigens nicht mehr: Zwei Jahre, nachdem Bouillon ihn entdeckt hatte, musste der alte Baum aus Gründen der Verkehrssicherheit gefällt werden.

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